Giftgasvorwürfe in Syrien:Oder doch eine kalkulierte Provokation der Rebellen?

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Syriens Regime und Russland unterstellen den Rebellen, mit einem inszenierten Giftgasangriff den UN-Sicherheitsrat auf ihre Seite ziehen zu wollen. Doch auch Assad hatte ein starkes Motiv. Seinen Truppen war es nicht gelungen, den Feind an einer strategisch wichtigen Stelle mit konventionellen Waffen zu vertreiben.

Von Paul-Anton Krüger

Als "vollkommen unlogisch" hat Syriens Machthaber Baschar al-Assad Vorwürfe zurückgewiesen, seine Soldaten hätten von Rebellen kontrollierte Gebiete bei Damaskus mit Chemiewaffen angegriffen. "Welcher Staat würde Chemiewaffen oder andere Massenvernichtungswaffen an einem Ort einsetzen, an dem seine eigenen Truppen konzentriert sind?", fragte er in der russischen Zeitung Iswestija.

Das Regime bestreitet vehement, für die Attacke verantwortlich zu sein und gibt den Rebellen die Schuld. Sie hätten ein klares Motiv, deutete auch Russlands Außenminister Sergej Lawrow an: Sie wollten mit einer inszenierten Attacke ein Eingreifen des Westens herbeiführen und den UN-Sicherheitsrat auf ihre Seite ziehen. Also eine kalkulierte "Provokation", wie er behauptet?

Tatsächlich fragt man sich, welches Motiv, welches Interesse das Regime an einem Chemiewaffeneinsatz gehabt haben könnte, welche Risikoabwägungen es traf - so es den Befehl dazu gab. Die Erklärung könnte in der militärischen Lage in den Vorstädten liegen: Seit Wochen stemmen sich dort die Truppen des Regimes gegen Vorstöße der Rebellen.

Umkämpft sind vor allem der Stadtteil Dschobar und die angrenzende Autobahn, die Damaskus mit dem alawitischen Kernland im Norden rund um die Stadt Latakia verbindet - eine der Lebensadern des Regimes. Lange war die Schnellstraße die Trennlinie: Westlich davon gehörte das Gebiet der Regierung, östlich davon den Rebellen. In den vergangenen Wochen attackierten diese immer wieder Regierungseinheiten, die nur mit schweren Panzern die Kontrolle über die Straße verteidigen konnten. Die Nadelstiche führten zu einer Gegenoffensive der Regierung. In diesem Kontext wurde das Gift verschossen.

Giftgaseinsatz ohne Genehmigung der Regierung?

Assads rhetorische Frage ist dabei nicht mehr als ein Ablenkungsmanöver: Die Regierungstruppen wussten, wo ihre eigenen Einheiten standen, wenn sie die Chemiewaffen eingesetzt haben. Deren Effekt lässt sich zudem lokal recht genau begrenzen; die Gefechtsköpfe der angeblich verwendeten Munition tragen jeweils nicht mehr als zehn Kilo Kampfstoff in sich.

Auch sind die Verbände der Armee dafür ausgebildet und ausgerüstet, in Gebieten zu operieren, in denen Chemiewaffen eingesetzt werden. Den Rebellen dagegen mangelt es an solchem Schutz. Mit konventionellem Bombardement aber war es Assads Truppen trotz der Lufthoheit nicht gelungen, sie zu vertreiben. Genau das lässt den Einsatz von Giftgas plausibel erscheinen.

Das Risiko, von den UN-Inspektoren an den Pranger gestellt zu werden, war gering: Sie dürfen keine Aussagen treffen, wer Chemiewaffen eingesetzt hat. Eine weitere Erklärung legen offenbar abgehörte Telefonate nahe: Lokale Truppenkommandeure könnten die Chemiemunition verschossen haben, ohne dass das Verteidigungsministerium dies befohlen oder genehmigt hatte.

© SZ vom 29.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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