Penzberg:Experten durchleuchten Marvel Fusion

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Im Auftrag der Stadt Penzberg haben Physiker und Strahlenforscher das Geschäftsmodell des Münchner Start-ups untersucht. Sie sehen keine Hindernisse für eine Ansiedlung am Nonnenwald - halten den Zeitplan des Unternehmens aber für ambitioniert

Von Alexandra Vecchiato, Penzberg

Ein ambitionierter Zeitplan, aber alles in allem eine gute Sache, an der renommierte Wissenschaftler mitwirken - das ist das Resümee der drei Experten, die dem Penzberger Stadtrat am Mittwoch zur Seite standen. Es geht um das Münchner Start-up Marvel Fusion, das sich auf einer Industriefläche im Nonnenwald ansiedeln möchte. Der Stadtrat soll im Januar in einer Sondersitzung über das Vorhaben abstimmen.

Kurz sah es so aus, als ob noch am Mittwochabend ein Votum zustandekommen würde. Die interfraktionellen Gespräche während einer Sitzungspause in der Stadthalle waren lebhaft. Indes erklärte Bürgermeister Stefan Korpan (CSU), als die Tagesordnung wieder aufgenommen wurde, dass er dem Gremium empfehle, über die Feiertage nochmals über das Projekt nachzudenken. Im Januar solle eine eigens für die Abstimmung über Marvel Fusion anberaumte Sitzung stattfinden, schlug er vor.

Die Fraktion Penzberg Miteinander hatte eine Liste zur Sitzung mitgebracht - mit Fragen von Bürgern, wie Anette Völker-Rasor betonte. Zu vier Themenkomplexen bezogen der Plasmaphysik-Professor Hartmut Zohm vom Max-Planck-Institut, der habilitierte Laserexperte Reinhard Kienberger von der TU München und Ursula Kastl, ehemalige Strahlenschutzbeauftragte der Firma Roche und Referentin für Strahlenschutz und Genehmigungsverfahren, Stellung. Letztere machte den Anfang.

Ein schwerer Atomunfall sei nahezu ausgeschlossen, sagen die Fachleute

Angetan von dem Projekt der Kernfusion im Nonnenwald zeigte sich Ursula Kastl die ehemalige Strahlenbeauftragte des Pharmakonzerns Roche. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Sie habe stets davon geträumt, dass eines Tages den Menschen unbegrenzte Energie mittels Kernfusion zur Verfügung stehen werde, sagte Kastl. Was die Verwendung des radioaktiven Isotops Tritium betreffe, so sei dies zu ihrer Zeit als Strahlenschutzbeauftragte auch beim Pharmaunternehmen Roche im Nonnenwald eingesetzt worden. Würden alle Auflagen beachtet, stelle die Verwendung keine Gefahr für die Bevölkerung dar. Tritium sei ein in der Natur vorkommendes Isotop. "Wenn Bürger Angst davor haben, dann müssen sie aufhören zu schnaufen", sagte sie. Einen GAU, also einen größtmöglichen anzunehmenden Unfall, könne er sich nicht vorstellen, sagte Zohm. Da müsse ein Flugzeug auf die Gebäude von Marvel Fusion fallen. Und selbst dann sei die Strahlung gering. Auch Kastl versuchte zu beruhigen. Kernfusion sei nicht gleichzusetzen mit Kernspaltung. Schalte man bei der Fusion den Strom ab, werde der Vorgang unterbrochen. Alles andere wäre "physikalisch widersinnig", betonte Kastl. Zohm sprach von einer Strahlenbelastung, wie sie bei Röntgengeräten in Krankenhäusern zu finden sei. Die Genehmigungsverfahren für die Verwendung radioaktiven Materials seien streng. "Die Hürden sind sehr hoch", sagte Zohm, was er aus eigener "leidvoller Erfahrung" als Professor in Garching bestätigen könne.

Durchaus seriös sind laut Zohm und Kienberger die von Marvel Fusion genannten Investitionskosten. Das Start-up gibt an, für den ersten Bauabschnitt 200 bis 300 Millionen Euro zu veranschlagen. Komplett ausgebaut sollen sich die Kosten auf 1,5 bis zwei Milliarden belaufen. Warum Marvel Fusion keine öffentlichen Fördermittel erhält, begründete Zohm so: In Deutschland gebe es einen Grundsatzbeschluss, die Magnetfusion zu fördern. Der Plasmaphysiker Zohm ist selbst in diesem Bereich tätig - sozusagen der entgegengesetzte Ansatz zur laserbasierten Kernfusion, die Marvel Fusion weiterentwickeln möchte. Es sei schwierig, in ein Förderprogramm reinzukommen, sagte er. Wegen fehlender Zuschüsse aus öffentlicher Hand auf eine mangelnde Glaubwürdigkeit von Marvel Fusion zu schließen, könne er nicht unterstützen.

Bis 2023 sollen 150 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, 500 bis 2028

Für realistisch halten beide Professoren auch die vom Start-up genannte Anzahl der Mitarbeiter. Bis 2023 sollen 150 neue Arbeitsplätze am Standort Penzberg geschaffen werden, 500 bis zum Jahr 2028. "In Garching haben wir 500 Mitarbeiter", sagte Zohm. Die Gefahr, dass die Hochleistungslaser, die Marvel Fusion zur kohlendioxidfreien Energiegewinnung einsetzen möchte, für anderes eingesetzt werden könnten, sehen die Wissenschaftler nicht. "Rüstung" sei kein starkes Argument, um die Ansiedlung des Start-ups nicht genehmigen zu wollen, betonte Zohm. Es gebe in der Bundesrepublik kein Atomwaffenprogramm. "Wir sind in Deutschland. Hier kommt keiner mit einem schwarzen Koffer vorbei, um Bomben zu kaufen." Kienberger erklärte, dass Hochleistungslaser vielseitig einsetzbar und gefragt seien. Penzberg könnte einer von fünf Standorten werden, "wo Wissenschaftler Schlange stehen werden, um zu forschen". Das sei für das Start-up profitabel.

Allein der Zeithorizont, den sich Marvel Fusion gesteckt hat, lässt Zohm an der Umsetzbarkeit zweifeln. Er glaubt nicht, dass das Kraftwerk 2030 funktionieren und saubere Energie produzieren werde. Dass die Zeitschiene nicht eingehalten werden könne, schätzt auch Kienberger. Andererseits: "Man muss ambitioniert sein." Den involvierten Wissenschaftlern, etwa Markus Roth und Georg Korn, traue er zu, Erfolg zu haben, so der Laserexperte. Das Risiko eines Misserfolgs laste aber auch nicht auf der Stadt Penzberg, sondern auf den Unternehmern und Investoren. Letztlich müsse der Stadtrat entscheiden, ob Marvel Fusion bauen und forschen dürfe, sagte Kienberger. Er halte das Projekt für machbar. Nun liegt der Ball bei den Fraktionen.

© SZ vom 18.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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