ARD-Talk "Maischberger":"Gabriel hat erkannt, dass er zu schwach ist"

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Die Runde bei Sandra Maischberger: Dirk Schümer, Susanne Neumann, Malu Dreyer, Sahra Wagenknecht, Andreas Scheuer und Hans Ulrich Jörges (Foto: WDR/Max Kohr)

Sigmar Gabriel konnte es nie jemandem recht machen. Nun wird sogar seine eigentlich als vernünftig erachtete Entscheidung, die Kanzlerkandidatur an Martin Schulz abzugeben, skandalisiert. So auch bei "Maischberger".

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Eigentlich sprach schon in den vergangenen Monaten einiges für das, was am Dienstag passiert ist. Trotzdem ist die Aufregung nun groß über die jüngste politische Nachricht aus Berlin: Ja, Sigmar Gabriel gibt seine erwartete Kanzlerkandidatur an Martin Schulz ab. Und ja, die Art und Weise, wie diese Stabübergabe vonstattenging, kann kritisch hinterfragt werden.

So auch bei Maischberger in der ARD am Mittwochabend. Geladen sind sechs Gäste, die an Martin Schulz als Kanzlerkandidaten eigentlich nichts Übles finden können, im Gegenteil (bis auf CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, aber der ist eh wieder mal so stark auf Krawall gebürstet, dass sogar die friedliebende Moderatorin ihn zwischendurch anfaucht: "Vorsicht hier!").

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"Es hätte auch ein bisschen besser laufen können"

Malu Dreyer als SPD-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz findet erwartungsgemäß salbungsvolle, wenn auch überraschte Worte, die stark daran erinnern, dass die SPD Taktik walten lässt, wo doch nun wirklich einmal überzeugende Inhalte gefragt wären. Bezeichnenderweise fällt ihr das dritte von Schulz' "drei großen Themen", neben "Sicherheit" und "sozialer Gerechtigkeit" aber gerade nicht ein. Zur Art der Verkündung merkt sie an: "Es hätte auch ein bisschen besser laufen können."

"Deutschlands bekannteste Putzfrau" und SPD-Mitglied Susanne Neumann ist vor allem deshalb empört, weil sie persönlich sich schon auf die Kanzlerkandidatur von Gabriel vorbereitet hatte.

Hans Ulrich Jörges vom Stern hat zunächst viel damit zu tun, stolz zu erklären, inwieweit sein Arbeitgeber an der Entscheidung Gabriels monatelang beteiligt gewesen sei - mittels eines offenbar sehr lange bearbeiteten Interviews. Er scheint dann auch neben Dreyer der Einzige in der Runde zu sein, der an einen Wahlsieg des SPD-Kandidaten glauben mag.

Wie links ist Martin Schulz?

Dirk Schümer fragt sich als Europa-Korrespondent der Welt, ob wirklich jemand denke, dass irgendjemand gegen die Kanzlerin gewinnen könne, und findet es schade, dass Schulz "mit seinen vielen Sprachen und seinem Charisma" erst in der EU und nun im innerdeutschen Rennen gegen Merkel verbraucht werde. Dem Kapitalismus sei es offenbar gelungen, europaweit den Sozialstaat zu untergraben. Das ist schon ganz schön links für einen Welt-Mann. Passenderweise trägt er rote Socken und outet sich als "großer Fan" von Martin Schulz.

Aber ist dieser Schulz denn wirklich ein Linker? Oder steht er, wie schon Frauke Petry von der AfD frohlockte, für das Scheitern der EU? Aus gut unterrichteter Quelle weiß Sahra Wagenknecht: Mit der Ausrichtung der SPD wie unter Oscar Lafontaine habe Schulz nicht viel zu tun, da sei er näher an Gabriel auf deutschem und an Juncker auf europäischem Parkett.

Auch sei der Abbau des Sozialstaates nicht wie eine Naturgewalt über Deutschland gekommen, sondern eine konkrete Auswirkung der hiesigen Sozialpolitik. Die Linke-Fraktionsvorsitzende glaubt: "Die sind einfach zu feige, sich mit den Mächtigen anzulegen." Gabriel habe "erkannt, dass er zu schwach ist". Doch die SPD sei "nicht deshalb im Umfragekeller, weil Gabriel unbeliebt ist, sondern weil sie für nichts mehr steht, was sie mal ausgemacht hat". Die SPD sei wesentlich verantwortlich für den großen Niedriglohnsektor in Deutschland. Der Abgang von Gabriel wende nur das "ganz große Desaster" bei der kommenden Bundestagswahl ab.

Nur? Man könnte meinen: immerhin. Und Gabriel dafür dankbar sein, dass er die Größe zeigt, seine Niederlage einzugestehen, bevor sie manifest wird. Die aktuellen Umfragewerte zeigen: Schulz ist mit Merkel gleichauf, was die Beliebtheit und die Chancen bei der Kanzlerwahl angeht. Je nach Umfrage, in puncto Glaubwürdigkeit sogar besser.

Man könnte sich nun also freuen. Für Gabriel, dass er mehr Zeit für seine junge Familie hat. Für die SPD, dass sie wieder einen chancenreicheren Kandidaten ins Rennen schickt. Und für Deutschland, dass die Bundestagswahl schon rein zahlenmäßig mal wieder ein wenig spannender wird.

Ist die SPD noch eine soziale Partei?

Viele Kritiker allerdings dürften sich darüber ärgern, dass der immer für eine Empörung geeignete Politiker aus dem Schussfeld gerät. Wobei: Er bleibt uns ja noch erhalten - als Außenminister. Dazu hatte dann auch Scheuer etwas Inhaltliches beizutragen an diesem Abend: Bei der derzeitigen angespannten außenpolitischen Lage mit zentralen Themen wie Trump und der Syrienkrise "brauchen wir starke Persönlichkeiten". Die sieht er offenbar nur außerhalb von Gabriel, eigentlich aber natürlich nur innerhalb der CSU.

"Tut mir leid, da geh' ich hoch wie Flitzkacke", ist Susanne Neumann an diesem Abend die Einzige, die sich auf Scheuers Krawall-Niveau einlässt. Und kritisiert, dass es ja nun gerade nicht die CSU oder CDU sei, die sich für soziale Verantwortung starkgemacht habe in den vergangenen Jahren.

Was bleibt von all der Aufregung? Gabriel hat es eigentlich nie jemandem recht machen können. Es wird wohl so bleiben. Und Schulz?

Auch da hat Neumann die passende Prognose parat - er verdiene eine Chance. Doch eines sei klar: Nur das Führungspersonal auszutauschen, reiche nicht aus. Da müsse mehr passieren, um das große Heer der Leiharbeiter wieder davon zu überzeugen, dass die SPD eine soziale Partei sei.

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