Sozialbericht:Bayerns versteckte Armut

Kiste mit gespendeten Lebensmitteln in Augsburg, 2015

Sichtbare Bedürftigkeit: Bei Tafeln, wie der in Augsburg, erhalten Menschen, denen es finanziell nicht gut geht, Lebensmittel.

(Foto: Johannes Simon)

Im neuen Sozialbericht zieht die Staatsregierung eine positive Bilanz. Doch auf den zweiten Blick werden die sozialen Probleme im Freistaat deutlich. Die Opposition spricht von "Manipulation".

Von Dietrich Mittler

Das Sozialministerium hat sich mit dem nun vorliegenden vierten Berichts zur sozialen Lage in Bayern Zeit gelassen. Der Bericht hätte nach Angaben der Landtagsopposition bereits im Herbst 2016 fertig sein sollen.

Am Dienstag nun zog Sozialministerin Emilia Müller (CSU) eine erste Bilanz über 541 Seiten Inhalt: "Wir haben in Bayern ein Niveau an Wohlstand, Beschäftigung, Wirtschaftskraft und sozialer Sicherheit erreicht, das es hier noch nie zuvor gegeben hat."

Im Freistaat seien die wenigsten auf staatliche Hilfeleistungen angewiesen, die Armutsgefährdungsquote sei um mehr als ein Drittel niedriger als im restlichen Bundesgebiet, auch seien die Einkommen in Bayern mit die höchsten in Deutschland.

Und dennoch haben 63 Prozent der Bevölkerung im Freistaat Zweifel daran, dass die sozialen Unterschiede in Bayern gerecht sind. Dieses Grundgefühl, dass es im an sich reichen Bayern soziale Ungerechtigkeit gibt, hat seinen Grund.

Die Einkommensschere klafft immer weiter auseinander, die Differenz zwischen Gut- und Niedrigverdienern nimmt zu, wenn auch geringer als im restlichen Deutschland. "Die Kluft zwischen Arm und Reich ist gerade in Bayern Realität", sagt Thomas Beyer, der Landesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt in Bayern. Der Sozialbericht 2017 sei ein "Dokument dieser Spaltung".

Armutsrisiko: Dass es auch im prosperierenden Bayern genug soziale Probleme gibt, zeigt sich im neuen Sozialbericht. Angefangen bei der Armutsgefährdung. Fakt ist: Bayern weist die zweitniedrigste Armutsgefährdungsquote aller Bundesländer auf. Fakt ist aber auch: Die Quote ist im Freistaat leicht angestiegen: von 11,1 Prozent im Jahr 2011 auf 11,6 Prozent im Jahr 2015.

Im landesweiten Vergleich ist die Quote in Mittelfranken (14 Prozent) und Oberfranken (13,6 Prozent) am höchsten, was Peter Bauer, den Sozialexperten der Freien Wähler, zur Kritik veranlasst, in Bayern gebe es nach wie vor "ein Wirtschaftsgefälle zwischen Nord und Süd" - trotz aller Beteuerungen der CSU.

Den besten Wert erzielt Oberbayern mit 8,9 Prozent. Alarmierend ist: Die Armutsgefährdungsquote von Kindern unter 18 Jahren liegt mit 12,3 Prozent über dem Landesschnitt. Menschen ab 65 Jahre und älter liegen bezüglich des Armutsrisikos gar 1,8 Prozentpunkte über dem westdeutschen Wert (11,6). Und: In Bayern waren 2013 etwa 2,5 Prozent der Bevölkerung dauerhaft armutsgefährdet.

Die Grünen-Sozialexpertin Kerstin Celina wirft dem Sozialministerium vor, die Zahlen durch "statistische Manipulationen" gar noch geschönt zu haben. Während in früheren Sozialberichten das bayerische Nettoeinkommen als Berechnungsgrundlage gedient habe, werde im neuen Bericht das deutlich niedrigere bundesweite Nettoeinkommen zu Grunde gelegt. "Dadurch sinkt die Armutsgefahr plötzlich rechnerisch von 14,6 auf 11,6 Prozent", sagte Celina. Tatsächlich sei sie kontinuierlich "auf mindestens 14,8 Prozent gestiegen".

Alleinerziehende: Mit 36,7 Prozent ist die Armutsgefährdungsquote bei Alleinerziehenden besonders hoch, errechnet auf der Basis von 2015. Zumeist sind alleinerziehende Mütter von Armut betroffen - und mit ihnen ihre Kinder. Im Gegensatz zu den alleinerziehenden Vätern sind alleinerziehende Frauen zudem häufiger für mehr als nur ein Kind verantwortlich.

Frauen sind im Alter stärker von Armut bedroht als Männer

Dies erschwert ihnen "die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zusätzlich", wie es im Bericht heißt. Im Vergleich zu anderen Familienformen - Ehepaare oder nicht eheliche Lebensgemeinschaften - sind Alleinerziehende besonders häufig auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen (14,5 Prozent).

Arbeitslose: Bayern, so sagt Sozialministerin Emilia Müller, biete dank der guten wirtschaftlichen Lage hervorragende Arbeitsmarktchancen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten war im Juni 2016 mit 5,3 Millionen Menschen "so hoch wie nie", wie es im Bericht heißt. Und dennoch war die Zahl der Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt 2016 mit etwa 250 600 um 3800 Personen höher als im Jahr 2012.

Durch die gestiegene Zahl der Beschäftigten ist die Arbeitslosenquote von 2016 mit 3,5 Prozent dennoch "der niedrigste Wert seit Erhebung" im Jahre 1994, heißt es im Bericht. Drängend ist hier nach wie vor das Problem der Langzeitarbeitslosen - insbesondere da fast 30 Prozent der älteren unter ihnen als "geringqualifiziert" gelten.

Migranten: Menschen mit Migrationshintergrund sind in Bayern viel häufiger ohne Job als Personen ohne Migrationshintergrund (errechnet auf der Datenbasis von 2014). Ähnlich schlecht fiel die Bilanz bei Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit aus. Im Sozialbericht wird darauf hingewiesen, dass Bayern sowohl für Personen mit Migrationshintergrund (75,4 Prozent) als auch für jene mit ausländischer Staatsangehörigkeit (75,6 Prozent) Erwerbsquoten aufweise, "die weit über den Werten für Deutschland lagen".

Was nichts daran ändert: Jugendliche und junge Erwachsene mit Migrationshintergrund schaffen schwerer den Sprung auf den Arbeitsmarkt. So liegen die noch nicht Volljährigen unter ihnen 10,1 Prozent unter der Vergleichsgruppe ohne Migrationshintergrund. 2014 hatte jeder fünfte Einwohner Bayerns einen Migrationshintergrund.

Statistisch gesehen verfügte diese Gruppe über ein monatliches Nettoeinkommen von 1416 Euro - im Schnitt 300 Euro weniger als Personen ohne Migrationshintergrund im Portemonnaie haben. Die Armutsgefährdung für Migranten, darauf weist die Landtags-SPD hin, sei mit 22,4 Prozent im Jahr 2015 immer noch sehr hoch.

Alte Menschen: Rentner und Pensionäre weisen im Vergleich zu Bayerns Gesamtbevölkerung "mit 17,2 Prozent einen erhöhten Wert bei der Armutsgefährdung auf", heißt es im Sozialbericht. Die Höhe der Bestandsrente betrug bei Mehrfachrentenbeziehern 1113 Euro, bei Einzelrenten lag die durchschnittliche Höhe bei nur 796 Euro im Monat. Insbesondere Frauen sind laut Bericht im Alter stärker von Armut bedroht als Männer, was sich auch auf ihr niedrigeres Einkommen im Berufsleben zurückführen lasse.

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