SPD in Bayern:"Wir haben uns zu früh festgelegt"

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  • Neuwahlen, Minderheitsregierung oder eine neue große Koalition? Nach den geplatzten Sondierungen über eine Jamaika-Koalition gibt es verschiedene Optionen.
  • Allerdings ist unklar, ob die SPD bereit wäre, von ihrem Nein zu einer großen Koalition abzurücken.
  • Zahlreiche SPD-Politiker in Bayern sprechen sich dafür aus, Gespräche mit der Union aufzunehmen.

Von Maximilian Gerl, Andreas Glas, Olaf Przybilla und Christian Rost

Soll die SPD im Bund nun doch wieder mitregieren oder nicht? Über diese Frage debattieren auch die Genossen in Bayern intensiv. In einem Punkt zumindest herrscht weitgehend Einigkeit: Neuwahlen sind die schlechteste Lösung.

Für Kerstin Gardill, Vorsitzende der SPD im mittelfränkischen Altdorf und designierte Landtagskandidatin in Markus Söders künftigem Stimmkreis Nürnberg-Ost, wäre eine Verweigerungshaltung der Sozialdemokraten fatal für die Partei. In der großen Koalition habe die SPD mindestens so viele sozialdemokratische Themen durchgesetzt wie in der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder. "Natürlich ist beim Mindestlohn noch Luft nach oben", sagt Gardill, "trotzdem war und ist das politisch eine große Nummer".

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Ob die Sozialdemokraten von ihrem kategorischen Nein zu einer großen Koalition abrücken, lassen sie offen.

Durchgesetzt habe es die SPD, und zwar in der großen Koalition. Gardill ist Historikerin. Die Ablehnung von Verantwortung passe ihrer Auffassung nach gar nicht zur historischen Rolle ihrer Partei. "Wir standen gerade in Zeiten des Umbruchs immer für Veränderung, für Verantwortung und Vernunft", sagt die 41-Jährige.

"Wir haben immer gefragt: Wie wollen wir in einer Gesellschaft zusammenleben?" Gerade in einer schwierigen Situation könne das Land deshalb Sozialdemokraten in Regierungsverantwortung sehr gut brauchen. Neuwahlen zum Bundestag? Das wäre für Gardill die schlechteste aller Möglichkeiten.

Günther Knoblauch, SPD-Landtagsabgeordneter aus Mühldorf, fordert vor allem mehr Transparenz. Es müsse nun ein offener Dialog stattfinden, wie man die Zukunft gestalten könne. Für die Öffentlichkeit sei nicht nachvollziehbar, woran die Jamaika-Sondierungen gescheitert seien; was hängen bleibe, sei das Bild, wie sich die Beteiligten "hinter verschlossenen Türen nicht einig" werden konnten. "Ich war 24 Jahre lang Bürgermeister, da muss man auch Lösungen suchen", sagt er. Neuwahlen halte er deshalb für nicht sinnvoll - genauso wenig wie die Verweigerungshaltung der SPD zu einer großen Koalition.

Knoblauch knüpft die große Koalition allerdings an Bedingungen. Wichtige SPD-Themen - etwa bei der Rente, dem Wohnungsbau oder sozialen Arbeitsverhältnissen - müssten in einem Koalitionsvertrag eindeutig zugesichert und festgeschrieben werden. Und die Alternative, eine Minderheitsregierung, toleriert von der SPD? "Na ja, dann kann ich auch gleich mit in die Regierung."

Den internen Führungsstreit um SPD-Chef Martin Schulz will er nicht überbewerten, solche Diskussionen hätten ja eine gewisse Tradition in der Partei. Als Beweis verweist Knoblauch auf Sigmar Gabriel. "Kaum dass er nicht mehr Chef ist, steigt er in den Umfragen. Martin Schulz könnte gerade machen, was er will, es wäre immer verkehrt."

Die künftige Regener Landrätin Rita Röhrl findet es "absolut richtig", wie sich die Sozialdemokraten nach der Bundestagswahl positioniert haben. "Wer so abgewatscht wird, kann nicht hergehen und über eine große Koalition reden." Nun aber habe sich die Lage geändert. Nach dem Jamaika-Aus sei "der Wähler zornig auf alle Parteien. Da hielte ich es für einen verhängnisvollen Fehler, uns in eine neue Wahl zu stürzen", sagt Röhrl. "Letztlich geht es um Verantwortung", deshalb müssten Union und SPD "auf alle Fälle miteinander reden.

Wenn man sich dann in Sachfragen nicht einig wird, ist das was anderes." Die Idee einer Minderheitsregierung findet Röhrl "charmant und auch romantisch. Aber die Gefahr, dass man dann keine handlungsfähige Regierung hat, halte ich für relativ groß." Über mögliche Gespräche mit der Union sagt Röhrl: "Lasst den Martin Schulz wieder von der Leine, und dann wird er das schon gut machen."

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Sebastian Koch, Unterbezirkschef der SPD Regensburg, lehnt eine große Koalition "nicht aus Trotz oder aus parteitaktischen Gründen ab". Für Koch "muss es inhaltlich passen, und da habe ich meine Zweifel, dass sich die Union so weit in unsere Richtung bewegen wird". Er findet, die SPD dürfe eine große Koalition erst dann "nicht mehr kategorisch ablehnen, wenn die Union zu erkennen gibt, dass sie in wichtigen sozialdemokratischen Anliegen mitzieht". Als Beispiele nennt er: Nachbesserung bei der Erbschaftssteuer, Anhebung des Mindestlohns, Familiennachzug bei Flüchtlingen. Eine Minderheitsregierung hält Koch für "eine echte Chance für eine lebendige Demokratie". Doch findet er "die aktuelle außenpolitische Lage dafür zu herausfordernd".

Der Lindauer Oberbürgermeister Gerhard Ecker hat bereits am Tag nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche seinen Parteifreunden, der SPD-Bundestagsabgeordneten Ulrike Bahr und ihrem Kollegen Karl Heinz Brunner, einen Brief geschrieben und darin gemahnt: "An erster Stelle steht Deutschland, an zweiter Stelle steht Europa - und sonst gar nichts." Wie man nur an Neuwahlen denken könne, verstehe er nicht: "Da greife ich mir ans Hirn", sagt Ecker.

Angesichts der weltpolitischen Lage müsse eine stabile Regierung in Deutschland gebildet werden, um gemeinsam mit Frankreich etwas voranzubringen. Die SPD müsse also in den sauren Apfel beißen und erneut eine große Koalition eingehen. Eine Minderheitsregierung unter der Führung von Kanzlerin Angela Merkel sei keine Option, so der OB: "Damit ist sie nur erpressbar."

Von einer Minderheitsregierung hält auch Olivia Haußmann nichts. Die Vorsitzende des SPD-Ortsvereins im Augsburger Stadtteil Inningen hat sich aber noch nicht entschieden, welche Option die bessere ist: eine Neuauflage der großen Koalition oder Neuwahlen. Dies spiegelt auch die Stimmung in ihrem Ortsverband wider. Bei einer Diskussion jüngst habe es Stimmen gegeben, die einen kompletten Neuanfang mit politisch unbelastetem Personal gefordert hätten, auf der anderen Seite hätten sich Mitglieder auch fürs Weiterregieren ausgesprochen.

Haußmann selbst tendiert zur Fortsetzung der Koalition mit der Union: "Es war eine gute Politik in den vergangenen Jahren, wir haben viel erreicht." Die Kommunalpolitikerin gibt aber auch zu bedenken, dass die SPD bei einer Kehrtwende ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setze. "Wir haben uns zu früh festgelegt."

Maximilian Bär, der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Nürnberg-Zerzabelshof, warnt sowohl vor einer erneuten großen Koalition als auch vor Neuwahlen. Die SPD müsse sich in der Opposition erneuern, findet Bär. Und als Jurist müsse er konstatieren, dass das Grundgesetz vor Neuwahlen hohe Hürden gesetzt hat. "Völlig zu Recht", wie Bär findet.

Der Rechtsanwalt plädiert stattdessen für eine von der SPD tolerierte Minderheitsregierung und sieht darin eine historische Chance für die Demokratie. Müsse eine Regierung in jeder Sachfrage um Mehrheiten ringen, bedeute dies eine Stärkung des gesamten Parlaments. Daran, an der Schwäche der Debatten im Bundestag, habe dieses Land in den vergangenen Jahren gekrankt. Und dies habe unter anderem zum Aufstieg der AfD geführt.

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Martina Baumann, Bürgermeisterin im fränkischen Neunkirchen am Sand, sieht die Sozialdemokraten in einer unkomfortablen Lage: "Wir sind in einer Lose-lose-Situation." Trete man wieder in eine große Koalition ein, so sehe man sich mit dem Vorwurf konfrontiert, aus der Wahlniederlage keine Konsequenzen zu ziehen. Beharre die SPD auf die Rolle als größte Oppositionspartei, so werde sie stigmatisiert. "Dann heißt es, wir sind staatspolitische Verweigerer."

Baumann, 45, sieht die Lösung in einer SPD-tolerierten schwarz-grünen Minderheitsregierung. Als Kommunalpolitikerin wisse man, wie das geht, sich immer wieder aufs Neue Mehrheiten suchen zu müssen. Auf der Ebene der Gemeinden funktioniere diese Orientierung an Sachfragen hervorragend. Das, glaubt Baumann, müsste für eine beschränkte Zeit auch auf Bundesebene möglich sein.

"Man muss auf jeden Fall versuchen, Gespräche zu führen", sagt Brigitte Bachmann, Bürgermeisterin in Birgland (Kreis Amberg-Sulzbach). Dass die SPD zunächst in die Opposition wollte, fand sie richtig. Schließlich sei die Wahl "eine Ohrfeige" gewesen. "Aber so, wie sich das jetzt darstellt, kann man das nicht machen", sagt Bachmann. Zumal die SPD nach dem Jamaika-Aus "in einer viel besseren Verhandlungsposition" sei. "Wir können das jetzt auf Augenhöhe machen und Ansprüche stellen."

Allerdings müsse die Bundes-SPD endlich erkennen, was die Menschen wirklich bewege. Altersarmut, Bildungsgerechtigkeit - zwei Themen, bei denen sich Bachmann mehr Profil erwartet. Über Schulz sagt sie: "Wenn er auch die Basis vertritt, dann kann ich mir vorstellen, dass er es weiter macht."

© SZ vom 24.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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