Regierungserklärung:Kapitän Söder verlässt das "Team Vorsicht"

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Für das Lockern der Corona-Maßnahmen bekommt Bayerns Staatsregierung im Landtag viel Zustimmung - auch von der Opposition. Doch Kritikpunkte gibt es immer noch genug.

Von Katja Auer und Johann Osel, München

Kein einziges Mal. Das Wörtchen "Vorsicht" kommt in der Regierungserklärung von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Mittwoch, sofern beim Zählen nichts durchgerutscht ist, in einer Dreiviertelstunde Redezeit gar nicht mehr vor. Das ist höchst ungewöhnlich für den Corona-Manager Söder, der sich ja seit Beginn der Pandemie stets zum Kapitän im "Team Vorsicht" deutschlandweit erkoren hatte. "Schutzwall", "Sicherheitsschranke" - das sind die neuen Schlagworte, die sehr oft fallen. Aber in der richtigen Balance mit "Freiheit" und "Eigenverantwortung". Die künftige Corona-Strategie sei "ein neues Kapitel", wie Söder sagt, angesichts der hohen Impfquote könne man nicht mehr "stur alte Konzepte aus der Schublade holen". Es handele sich jetzt um eine "Pandemie der Jüngeren und der Ungeimpften". Viele Bereiche des Lebens werden unter der 3G-Regel, also Zutritt für Geimpfte, Genesene und aktuelle Getestete, ganz geöffnet; allgemeine Kontaktbeschränkungen fallen weg, ebenso Regeln wie die Sperrstunde und die Pflicht zur FFP2-Maske. Anstelle des Inzidenzwerts bestimmt fortan eine Krankenhaus-Ampel die Pandemiepolitik.

Der Kurswechsel der Regierung - und damit Söders Abkehr vom Image des Mahners und Hardliners - mag wenige Wochen vor der Bundestagswahl kein Image-Schaden sein, im Gegenteil. Doch der Ministerpräsident begründet ihn, wie schon am Vortag nach den entsprechenden Beschlüssen seines Kabinetts, mit der Lage in der vierten Welle - in der dritten habe es kaum Impfstoff gegeben, in der ersten und zweiten Welle gar keinen. "Es braucht keinen Lockdown mehr und es wird auch keinen mehr geben." Die Inzidenz habe nun keine Rechtsfolge mehr, dafür gilt die Klinikampel - sie ist Richtschnur für Maßnahmen.

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Auf gelb springt die neue Ampel, wenn binnen einer Woche 1200 Betten, ob auf Intensiv- oder anderen Stationen, mit Corona-Patienten belegt sind. Höchststand in der Pandemie in Bayern bisher: 1700. Da sei also "immer noch Puffer", sagt Söder. Mit der Methodik werde auch Long-Covid erfasst, also Folgeschäden einer Infektion. Im Fall gelbe Warnstufe könnten etwa wieder Kontaktbeschränkungen greifen. Rot wäre die Ampel bei 600 belegten Intensivbetten mit Beatmung (Höchststand bisher: etwa 800). Die Zahlen, so Söder, seien "keineswegs willkürlich" festgelegt worden.

Der Impfstoff sei ein "Segen" - was hätten einstige Generationen "dafür gegeben, bei vergleichbaren Seuchen so schnell und kostenlos einen Impfstoff" zu haben. Die Kampagne solle forciert werden. Vielleicht müsse man noch mehr auf Skeptiker zugehen. Aber: "Eine Impfpflicht wird es nicht geben." Währenddessen spielt Hubert Aiwanger nebenan auf der Regierungsbank, der einzige nicht geimpfte Minister mit hinlänglich bekannten Einwänden, mit einem Fussel auf seiner Schreibtischplatte.

"Sind Sie die Postboten der Querdenker oder gar die Strippenzieher?"

Söder unterscheidet Skeptiker von den sogenannten Querdenkern - und sagt Letzteren den Kampf an. Menschen, die verunsichert sind, reiche die Staatsregierung die Hand, aber "bei extremen Querdenkern stellen wir ein Stoppschild auf". Man erwarte als Politiker kein Lob, aber man lasse sich nicht als "Diktatoren, Verbrecher und Kinderschänder" beschimpfen. Von der AfD erwarte er Klartext: "Sind Sie am Ende nur die Postboten der Querdenker oder gar die Strippenzieher?" In Richtung der AfD-Fraktion sagt er: "Sie müssen sich endlich von diesen Gruppen klar distanzieren." Deren Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner will sich von Söder keine Postbotin nennen lassen und kritisiert - wie üblich - die Beschlüsse der Staatsregierung scharf. Sie redet von der 3G-Regel als verdecktem Impfzwang und dass der Discobesuch wegen der geplanten PCR-Testpflicht zum "unerschwinglichen Luxus" werde.

Der Rest der Opposition ist oft "ganz bei Ihnen", wie Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann Söder mehrmals versichert, die Lockerungen stoßen auf breite Zustimmung. Ohne Kritik geht es dennoch nicht ab, Hartmann fokussiert sich auf die Schulen, für die er sich ein besseres Testkonzept wünsche. "Wir erleben das dritte Schuljahr mit Corona, Sie hätten genügend Zeit gehabt, das vorzubereiten", sagt Hartmann. So sollten etwa alle Schüler am ersten Schultag PCR-getestet werden.

SPD-Fraktionsvorsitzender Florian von Brunn will eine ehrliche Bilanz des Krisenmanagements der Staatsregierung sehen und leitet daraus gleich einen ganzen Forderungskatalog ab, der untere anderem eine Reform des Gesundheitssystems und die Stärkung von Behörden und Verwaltung vorsieht. "Wir können uns keinen Magerstaat mehr leisten", sagt Brunn.

FDP-Fraktionschef Martin Hagen lobt den Paradigmenwechsel, den seine Fraktion lange gefordert habe und schlägt einen Stichtag vor, an dem alle Corona-Maßnahmen enden sollen. Einen "Freiheitstag", der bei der Abstimmung später keine Mehrheit findet. Die neue Verordnung erwartungsgemäß schon. Fabian Mehring, parlamentarischer Geschäftsführer der Freien Wähler, hatte zuvor mit Selbstlob nicht gespart: "Diese Bayernkoalition ist die Benchmark und sie bleibt der Goldstandard beim Corona-Management in Deutschland."

Daran immerhin, am unbescheidenen Auftritt der Regierungskoalition, ändert so ein Paradigmenwechsel nichts.

© SZ vom 02.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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