Autoindustrie:Prüfer sieht keine Anzeichen für Zwangsarbeit bei VW in Xinjiang

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"Die Mitarbeitenden sind überdurchschnittlich bezahlt und haben wenig zu tun", sagt Prüfer Markus Löning über die knapp 200 Beschäftigten von VW in Ürümqi (Urumtschi). (Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa)

Menschenrechtler kritisieren VW seit Jahren für seinen Standort im chinesischen Xinjiang. Nun hat der Autobauer ein Audit vornehmen lassen. Mit den Ergebnissen will VW zwei Probleme loswerden.

Von Saskia Aleythe, Christina Kunkel und Florian Müller, Wolfsburg

Es ist einer der kleinsten Standorte des Volkswagen-Konzerns, aber er macht den Konzernlenkern wohl am meisten Kopfzerbrechen: Ürümqi. Noch knapp 200 Beschäftigte, keine Produktion, nur Inbetriebnahme von Fahrzeugen für den lokalen Markt. Doch weil das Werk eben genau dort steht, wo der chinesische Staat nach Ansicht von Menschenrechtlern einen Genozid an Minderheiten verübt, muss sich VW schon seit Jahren rechtfertigen. Jetzt soll der Befreiungsschlag kommen, in Gestalt von Markus Löning, einem früheren Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung. Dieser hat mit seiner Beratungsfirma vor Ort in der Fabrik die Arbeitsbedingungen geprüft und sagt: "Wir konnten keine Hinweise auf oder Belege für Zwangsarbeit bei den Mitarbeitenden finden."

Seine Mitarbeiter konnten die Fabrik nach vorheriger Anmeldung laut eigenen Angaben frei begehen. "Besondere Sicherheitsmaßnahmen konnten wir nicht feststellen." Sie hätten die Arbeitsverträge und Gehaltszahlungen aller 197 Mitarbeitenden der vergangenen drei Jahre geprüft und 40 Interviews geführt. Alle sind seit mindestens vier Jahren direkt angestellt. "Die Mitarbeitenden sind überdurchschnittlich bezahlt und haben wenig zu tun", sagte er bei der Vorstellung der Ergebnisse am Dienstag in Wolfsburg.

VW-Rechtsvorstand Manfred Döss gab sich ob dieses Befunds sichtlich entspannt, was die Tätigkeiten der Firma in China angeht. Das Audit habe den internationalen Standards entsprochen. Er betonte zudem, dass VW bei dem Werk nur Minderheitseigner ist. Der Shanghaier Staatskonzern SAIC hält die Mehrheit, die Joint-Venture-Verträge gehen bis 2029. SAIC musste sein Einverständnis für die Prüfung geben. Dass er dies nun erstmals getan hat, kann auch als Zugeständnis der chinesischen Regierung an den Westen gewertet werden. Diese steht derzeit wirtschaftlich stark unter Druck und will nach dem Null-Covid-Desaster wieder attraktiv für ausländische Investoren werden.

Ökonomisch ist das Werk in Xinjiang für VW kaum von Bedeutung

VW war zuletzt selbst immer mehr unter Druck geraten, was den Standort in Xinjiang angeht. Die Menschenrechtsorganisation ECCHR hatte im Sommer Beschwerde vor dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) gegen VW, BMW und Mercedes-Benz eingelegt. Keines der Unternehmen hätte Beweise geliefert, dass sie auf das Risiko von Zwangsarbeit in Zulieferbetrieben in der Uiguren-Region in angemessener Weise reagieren würden. Seit diesem Jahr sind Unternehmen gesetzlich verpflichtet, menschenrechtliche Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette einzuhalten.

Ökonomisch ist das VW-Werk von geringer Bedeutung. Es wurde 2012 gebaut, als die chinesische Regierung in einer großangelegten Kampagne die Westprovinzen wirtschaftlich entwickeln wollte. Von 2013 an haben die Mitarbeiter dort noch Santanas zusammengeschraubt, bei einer Kapazität von bis zu 50 000 Autos im Jahr. Doch der Markt hat sich nicht wie erhofft entwickelt, mittlerweile schraubt keiner mehr, von den einst 650 Mitarbeitern sind nur noch 200 übrig. Ein Viertel davon gehört ethnischen Minderheiten wie den Uiguren an. Sie bereiten im Jahr rund 10 000 Fahrzeuge für die technische Inbetriebnahme auf. Das bedeutet etwa Fahrwerk einstellen, Fahrassistenzsysteme kalibrieren, Dichtigkeitsprüfung und Qualitätsabnahme. Anschließend werden die Autos zu lokalen Händlern gebracht. Lokale Zulieferer gibt es laut VW keine.

Kritiker monieren jedoch, VW würde mit der Fabrik Zugeständnisse an die chinesische Regierung machen, um keine Nachteile auf dem dortigen Markt zu erfahren - und mit seinem Namen als Feigenblatt für chinesische Menschenrechtsverletzungen in der Region herhalten. Da unabhängige Fabrikinspektionen im Überwachungsstaat nur schwer möglich sind, könnten sich Unternehmen "nicht auf Audits verlassen, um ihre menschenrechtliche Sorgfalt zu erfüllen", erklärte die ECCHR zudem in ihrer Bafa-Beschwerde.

Auch Löning, der nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Menschenrechtsbeauftragten 2014 seine Beratungsfirma gründete, will seine Befunde nicht überbewerten: "Die Situation in China und Xinjiang und die Herausforderungen bei der Datenerhebung für Audits sind bekannt", sagte er. Sein Mandat sei nur auf die 197 Mitarbeitenden der Firma in Ürümqi beschränkt gewesen. Was der chinesische Staat also sonst in dem Autonomen Gebiet macht, will Löning nicht bewerten.

Doch könnte das VW-Audit als Blaupause für andere deutsche Konzerne dienen, denn nicht nur Volkswagen hat mit Anschuldigungen zu kämpfen. Auch BASF, das seit 2016 in der Stadt Korla in Xinjiang zwei Gemeinschaftsunternehmen für die Produktion von Chemikalien unterhält. Chinesischer Partner ist die Firma Markor, an der wiederum der Staatskonzern Zhongtai beteiligt ist. Zhongtai steht allerdings seit Ende September auf der Sanktionsliste der USA, weil es in Zwangsarbeit verstrickt sein soll. Unter den 120 Mitarbeitern in Korla befinden sich laut BASF allerdings "derzeit keine Uiguren". BASF hatte laut eigenen Angaben zuletzt Anfang 2023 ein "internes Audit" vorgenommen. Dabei seien keine Hinweise auf Zwangsarbeit gefunden worden. Nun will der Konzern aber noch einmal extern prüfen lassen und steht dafür in "konkreten Gesprächen mit einer renommierten Prüfungsgesellschaft". Die Prüfung soll kommendes Jahr stattfinden.

Die Audit-Ergebnisse könnten dazu führen, dass sich VW zweier lästiger Probleme entledigt: Zum einen wird das Bafa für die Prüfung der Beschwerde auf die Ergebnisse zurückgreifen. Zum anderen hatte die US-Ratingagentur MSCI dem Konzern eine "Red Flag" verpasst, einen Risikohinweis, woraufhin etwa das Sparkassen-Wertpapierhaus Deka die Aktien aus den nachhaltigen Produkten entfernte. Die rote Flagge würde VW wohl schon gerne wieder loswerden.

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