Industrie:Wieso sich Thyssenkrupp mit der IG Metall anlegt

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Miguel López vorige Woche auf der Bilanzpressekonferenz: Der neue Thyssenkrupp-Chef hat dem Unternehmen ehrgeizige Ziele verordnet. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Der neue Vorstandschef López bricht mit der Strategie seiner Vorgängerin und bündelt mehr Macht in der Zentrale. Die Gewerkschafter bei dem Industriekonzern lehnen das ab - und fühlen sich nun brüskiert.

Von Björn Finke, Düsseldorf

Bei der zweiseitigen Pressemitteilung geht es auf den ersten Blick nur um Vorstandspersonalien: Der Essener Industriekonzern Thyssenkrupp teilte am Mittwochabend mit, einen neuen Finanzvorstand gefunden zu haben und das Führungsgremium von drei auf fünf Personen zu erweitern. Diese Entscheidungen hatte der Aufsichtsrat des MDax-Unternehmens kurz zuvor gefällt. Doch hinter dieser Aufstockung verbirgt sich ein Bruch mit der bisherigen Strategie des Konzerns. Zudem droht Ärger mit den Gewerkschaften.

Die bisherige Strategie stammt von Martina Merz, die von 2019 bis Mai 2o23 Vorstandschefin war. Sie baute den Mischkonzern zu einer "Group of Companies" um: Die einzelnen, sehr unterschiedlichen Geschäftsbereiche sollten möglichst eigenständig arbeiten, wie unabhängige Unternehmen, und obendrüber gibt es nur eine schlanke Führung, eine Holding-Dachgesellschaft. Der Konzern mit weltweit fast 100 000 Beschäftigten betreibt Stahlwerke und Werften, er ist als Werkstoffhändler, Autozulieferer und Maschinenbauer tätig und hat mit Nucera eine Tochter im Zukunftsmarkt Wasserstoff.

Nach Merz' vorzeitigem Abgang übernahm im Juni der frühere Siemens-Manager Miguel López das Ruder. Und der verabschiedet sich nun vom Konzept eines schlanken Vorstands mit viel Freiheit für die Geschäftsbereiche. Stattdessen soll der aufgestockte Vorstand die Bereiche stärker führen, es gebe eine "Neuausrichtung des Vorstands auf die operative Steuerung", heißt es in der Mitteilung: Goodbye, Group of Companies.

Die Vorstände erhalten jetzt klare Zuständigkeiten für unterschiedliche Sparten. López selbst schaut auf den Geschäftsbereich, in dem klimafreundliche Produkte und Lösungen gebündelt sind. Da geht es etwa um Teile für Windräder oder um Maschinen zur Herstellung und Verarbeitung von grünem Wasserstoff. Zudem trägt der Deutsch-Spanier die Verantwortung für die kriselnde Stahlsparte. Der Manager sucht einen Partner für den Bereich und verhandelt gerade mit dem tschechischen Milliardär Daniel Křetínský. Das bisherige Vorstandsmitglied Oliver Burkhard bleibt zuständig für die Werften, für die Thyssenkrupp ebenfalls einen Käufer oder Partner finden will.

Der Konzern schreibt hohe Verluste

Das neue Vorstandsmitglied Volkmar Dinstuhl ist verantwortlich für den Autozulieferbereich, die neue Vorständin Ilse Henne für den Werkstoffhandel. Finanzvorstand Klaus Keysberg wird Thyssenkrupp verlassen, wie bereits vorher angekündigt. Im Frühjahr oder Sommer soll Jens Schulte den Posten übernehmen; er ist bislang Finanzvorstand des Glasherstellers Schott AG.

Dass López die Zügel anziehen will, zeichnete sich bereits im August ab. Da verordnete der 58-Jährige dem gesamten Unternehmen ein "Performance-Programm", um profitabler zu werden und zu Wettbewerbern aufzuholen. Der Fokus soll hier dem Manager zufolge nicht auf Einsparungen liegen, sondern darauf, gewinnträchtiges Wachstum zu schaffen. López sagte am Mittwoch, der Konzern habe für seine "ambitionierten Ziele eine verbindliche Zeitachse" - und mit dem erweiterten Vorstand werde man das Programm künftig "mit noch mehr Kraft vorantreiben können".

Thyssenkrupps Großaktionärin, die "Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung" in Essen, äußerte sich ähnlich: "In dieser neuen Aufstellung kann das sich gut ergänzende Gremium optimal mit dem herausfordernden Umfeld umgehen und das laufende Performance-Programm zielgerichtet fortsetzen", heißt es in einer Stellungnahme. Die Stiftung hält 21 Prozent der Aktien und finanziert ihre Fördertätigkeit mit den Dividenden des Konzerns.

Wie nötig Verbesserungen der Performance sind, zeigt die Bilanz des abgelaufenen Geschäftsjahres, die López vorige Woche präsentierte. Demnach verbuchte die Firma unter dem Strich gut zwei Milliarden Euro Verlust. Auch das bereinigte Betriebsergebnis sank um zwei Drittel auf gut 700 Millionen Euro, der Umsatz fiel um ein Zehntel.

Die Gewerkschafter lehnen die Aufstockung ab

Die Arbeitnehmervertreter halten allerdings nichts von der Aufstockung und dem Machtzuwachs des Vorstands. Im Aufsichtsrat stimmten die Gewerkschafter geschlossen gegen die Berufung von Dinstuhl und Henne, doch die Vertreter der Aktionäre hatten die Mehrheit knapp auf ihrer Seite, weil die Stimme von Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm doppelt zählt. Kompromissangebote der Arbeitnehmervertreter seien "vollständig ignoriert" worden, heißt es klagend in einer Mitteilung der IG Metall: "Diese Zäsur wird Spuren hinterlassen und dem bislang ausgewogenen und konstruktiven Dialog im Aufsichtsrat dauerhaft Schaden zufügen."

Die Gewerkschafter monieren, es passe nicht zusammen, den Vorstand fast zu verdoppeln, während woanders Ausgaben gekappt würden: "Überall laufen Sparprogramme, die Performance soll erhöht werden - der Druck ist maximal gestiegen, Investitionen wurden und werden weiterhin gestrichen bzw. eingefroren", heißt es da.

Das Verhältnis zwischen Vorstandschef López und der mächtigen IG Metall ist ohnehin angespannt. Die Betriebsräte fühlten sich nicht ausreichend informiert über die Verhandlungen über einen Einstieg des tschechischen Investors Křetínský bei der Stahlsparte. Auch das Performance-Programm schürt Ängste. Und nun verordnet López noch eine andere Führungsstruktur, offenbar gegen den Willen der Gewerkschaft. Der neue Chef scheint auf Harmonie keinen großen Wert zu legen.

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