Cathie Wood, man kann es nicht anders sagen, blies der Wind ins Gesicht. Als die Star-Fondsmanagerin dem Börsensender CNBC vor wenigen Tagen am Strand von Miami ein Interview gab, wackelten im Hintergrund die Palmen, wehten Woods lange Haare quer über ihre Stirn. Man könnte Woods Lage kaum besser beschreiben: Denn der Flaggschiff-Fonds der Tech-Aktien-Investorin hat seit Jahresbeginn fast die Hälfte seines Werts verloren. Obwohl die Wall-Street-Ikone ihren Anlegern eigentlich 50 Prozent Gewinn verspricht - pro Jahr wohlgemerkt.
Hatten viele Anleger Woods rote Fondsbilanz monatelang nur als Spezialfall einer überaus riskanten Strategie abgetan, sorgen sich nun auch konventionelle Anleger um die Tech-Aktien: Die Titel des Streaming-Giganten Netflix krachten Mitte vergangener Woche um mehr als 30 Prozent ein, binnen nur weniger Stunden. Der technologielastige Nasdaq Composite hat seit Jahresbeginn schon rund 17 Prozent verloren, ein drastischer Verlust. Aus den Siegeraktien der vergangenen Dekade scheinen binnen Wochen ungeliebte Stiefkinder zu werden. Manche Börsenprofis sprechen gar schon von einem Paradigmenwechsel am Parkett.
Auslöser dürfte eine Meldung von Netflix Dienstag vergangener Woche gewesen sein, Punkt 22.09 Uhr. In der achten Zeile einer komplizierten Tabelle hatten Finanzexperten ausgemacht, dass der Streamingdienst Netflix zwischen Januar und März rund 200 000 Kunden verloren hat. "Wir haben damit einen tiefen Bruch gesehen", sagt Tech-Experte Christoph Schmidt von Fegra Capital. Zuvor hatte Netflix immer mehr Kunden angelockt, schlimmstenfalls einmal stagniert. Aber gesunken? Das waren die Nutzerzahlen des Giganten seit zehn Jahren nicht mehr. Für Anleger und Zuschauer war es wie in einer guten Netflix-Serie: ein echter plot twist, eine radikale Kehrtwende in der Erzählung.
Die Reaktion an den Börsen kam prompt, nachbörslich verlor die Aktie ein Viertel ihres Wertes in weniger als einer halben Stunde. Mit dem Start des regulären Aktienhandels am Folgetag bauten die Papiere ihre Verluste auf mehr als 30 Prozent aus. Prompt kündigte das Unternehmen an, künftig härter gegen Passwort-Sharing vorgehen zu wollen und Kunden bald vielleicht auch Werbung zu zeigen.
Paypal, Meta, Peloton, alle Papiere leiden
An den Börsen aber schien es, als hätte Netflix wie ein Dominostein eine ganze Kette in Bewegung gebracht. Aktien von Paypal krachten plötzlich ein, Titel der Facebook-Mutter Meta sanken um acht Prozent, die gehypten Aktien des digitalen Fitnessunternehmens Peloton fielen gar um neun Prozent. "Plötzlich wurden auch Aktien in Mitleidenschaft gezogen, die mit Netflix gar nichts zu tun haben", sagt Marktstratege Andreas Lipkow von der Direktbank Comdirect.
Denn auf einmal sehen Anleger bei fast jedem Tech-Wert Warnzeichen: Apple? Könnte zum Opfer der Inflation werden, wenn sich Menschen aus der Mittelschicht zweimal überlegen, ob sie ein teures Gadget brauchen. Amazon? Könnte Probleme bekommen, wenn es mit chinesischer Ware wieder Lieferprobleme gibt. Die Facebook-Mutter Meta? Dürfte in die Bredouille geraten, weil bei jungen Nutzern längst nicht mehr Facebook angesagt ist, sondern Konkurrent Tiktok mit seinen Videoschnipseln. "Jetzt sehen wir die Bremsspuren", sagt Tech-Experte Christoph Schmidt. Auch wenn zumindest die großen Tech-Giganten meist noch Milliardengewinne einfahren.
Es wäre der Anfang vom Ende eines dekadenlangen Börsenbooms der großen Tech-Aktien. In manchen Monaten waren allein die fünf größten Technologiewerte an der Börse so gewichtig, dass sie für rund 25 Prozent des US-Leitindex S&P 500 standen. So übermächtig, dass in manchen Jahren ihre Gewinne aus einem mäßigen Börsenjahr doch noch ein gutes machten. So gehypt, dass manche Profianleger in Negativzinszeiten Apple-Aktien tatsächlich als Parkplatz für überschüssiges Geld wie ein Tagesgeldkonto nutzten. Die Devise: Es kann doch eigentlich nichts schiefgehen. "Aber nichts ist in Stein gemeißelt", sagt Fondsmann Christoph Schmidt.
Dabei sehen Experten die größte Bedrohung für den Boom der Tech-Titel nicht einmal bei der Unternehmensstrategie, in Regulierungsphantasien mancher US-Politiker oder der Rückkehr vieler Arbeitnehmer aus dem Homeoffice. Stattdessen wirkt gerade eine tiefere Kraft an den Börsen auf die Tech-Titel ein: die Zinsen.
Vor allem kleinere Technologie-Aktien leiden unter hohen Zinsen
Über knapp eine Dekade hatten sich die großen Geldverwalter an eine Welt ohne Zinsen gewöhnt, in der mit sicheren Anlagen nichts zu verdienen war. Sich an riskanteren Technologiewerten zu probieren, schien da nicht allzu abwegig, gerade wenn Anleger auf hohe Gewinne spekulieren wollten. Doch in den vergangenen Monaten hat sich die Welt an den Finanzmärkten verändert, hat die US-Notenbank Fed im März zum ersten Mal wieder die Zinsen erhöht. Gleich vier Geldhüter der Europäischen Zentralbank orakelten dieser Tage, dass sie die Zinsen bereits im Juli gerne anheben würden.
Gerade kleinere Tech-Werte aber leiden unter höheren Zinsen, weil sie ihr gigantisches Wachstum auf Pump finanzieren. Bei anderen Titeln rechnen die Anleger erst in ferner Zukunft mit großen Gewinnen. Eine Aussicht, die nicht mehr so golden scheint, wenn sich mit Anleihen auch gute Erträge kassieren lassen. Und wenn vergleichsweise sichere zehnjährigen US-Staatsanleihen aktuell drei Prozent Rendite bringen ohne großes Risiko, dann scheuen viele Anleger die schwankungsanfälligen Tech-Titel sowieso. "Das ist ein Lawineneffekt, da können sich auch die großen Tech-Werte nicht mehr abkoppeln", sagt Experte Andreas Lipkow.
Starinvestorin Cathie Wood lässt sich von solchen Unkenrufen nicht irritieren. Sie kündigte kürzlich an, künftig nur noch in Titel zu investieren, die bei gleichbleibenden Zinsen reüssieren. Die 66-Jährige setzt wie im Casino auf Rot oder Schwarz - beides geht nicht.