In seiner Rede stellt der Vorstandsvorsitzende direkt nach der Begrüßung klar, dass er harte Botschaften zu verkünden hat: Thyssenkrupp, so sagt Miguel López laut Manuskript, könne "nicht so weitermachen wie bisher - das zu akzeptieren, fällt vielen schwer". Und das erzeuge deutlich zu vernehmende Reibungen. Der Deutsch-Spanier wird diese Worte am Freitag in einer Kongresshalle in Bochum sprechen, bei der Hauptversammlung des kriselnden MDax-Mitglieds. Zu der werden 1400 Besucher erwartet. Den Text veröffentlichte der Industriekonzern vorab.
Der 58-Jährige führt das Essener Unternehmen mit weltweit fast 100 000 Beschäftigten erst seit Juni. Die harsche Diagnose kann daher durchaus als Kritik an seinen Vorgängern verstanden werden. Davon gab es zuletzt einige - López ist nach Heinrich Hiesinger, Guido Kerkhoff und Martina Merz schon der vierte Konzernchef seit 2018. Der gebürtige Frankfurter verordnete Thyssenkrupp bereits kurz nach seinem Amtsantritt ein "Performance-Programm", um profitabler zu werden und gegenüber Wettbewerbern aufzuholen.
In seiner Rede beschreibt López aber ganz offen, dass Investoren das Vertrauen verloren hätten: Diese sagten ihm, dass jeder neue Thyssenkrupp-Chef bessere Zeiten versprochen und dann enttäuscht habe. "Der Glauben an die Erneuerungskraft unseres Unternehmens hat schwer gelitten. Wir müssen uns zurückkämpfen", fordert der frühere Siemens-Manager. Der führt einen Gemischtwarenladen. Dem Konzern gehört Europas größtes Stahlwerk; daneben ist er als Maschinenbauer, Automobilzulieferer, Werkstoffhändler und Betreiber von Marinewerften tätig. Die börsennotierte Tochter Nucera fertigt Elektrolyseure, also Anlagen zur Erzeugung von klimafreundlichem Wasserstoff - ein Zukunftsmarkt.
Das Problem ist, dass dieser Gemischtwarenladen seit Jahren zu wenig Geld verdient und schlechter als Rivalen abschneidet. "Das bremst unsere Investitions- und Innovationskraft", sagt López. Und es zermürbe die Mannschaft: "Niemandem macht es Spaß hinterherzulaufen."
Der Konzernchef lobt, dass der Ruf bei Kunden und die Qualität der Produkte prima seien. Es hapere jedoch daran, "technische Stärke in wirtschaftlichen Erfolg" umzusetzen: "Wir stehen uns oft selbst im Weg; uns fehlt es an kommerziellem Gespür und unbändigem Siegeswillen." Dies klingt nach einer ziemlichen Watsche für das bisherige Management. Das von López angeordnete Performance-Programm widmet sich darum unter anderem der Verbesserung der Leistungskultur.
In der Rede betont der Firmenlenker noch einmal, es gehe bei der Initiative in erster Linie darum, das Wachstum zu erhöhen, etwa durch neue Geschäftsmodelle. Und nicht um Kostensenkungen oder gar konkrete Stellenabbauziele. Trotzdem sei dieser Wandel mühsam und anstrengend für die Beschäftigten.
Wie nötig Anstrengungen sind, zeigen die Zahlen für das im September beendete Geschäftsjahr. Da stand unter dem Strich ein Verlust von gut zwei Milliarden Euro, weil López den Wert der Stahlsparte in der Bilanz herabsetzen musste. Für diesen Bereich sucht der Chef einen Partner oder Käufer - ein Ansinnen, an dem seine direkte Vorgängerin Merz scheiterte. Beim Werftengeschäft, dem Weltmarktführer für nicht-atomgetriebene U-Boote, fahndet der Manager ebenfalls nach Investoren.
"Gigantische Mengen grüner Energie" sind nötig
Beim Stahl verhandelt der Firmenchef mit dem tschechischen Milliardär Daniel Křetínský. Dessen Energieunternehmen EPH soll 50 Prozent der Anteile an der Sparte kaufen. Die Stahlindustrie investiert gerade in Anlagen, die Roheisen nicht mit Koks und Kohle, sondern klimafreundlich mit Wasserstoff und Ökostrom gewinnen. Deshalb werden Hüttenwerke künftig "gigantische Mengen grüner Energie" benötigen, wie López in seiner Rede sagt. Energie werde für bis zur Hälfte der Kosten stehen. Daher kann die Partnerschaft mit einem Stromversorger der Stahlsparte nützen, so das Kalkül.
Allerdings mache die miese Stahlkonjunktur die Verhandlungen "nicht leichter", klagt der Manager. Ein zusätzliches Problem sind die Pensionsverpflichtungen über 2,6 Milliarden Euro in diesem Geschäftsbereich. Am Ende muss Thyssenkrupp Křetínský vielleicht noch Geld mitgeben, damit er die Lasten übernimmt.
López fordert zudem weitere Hilfen der Politik für die Stahlbranche. Hiesige Konzerne investierten in teure, klimafreundliche Produktionsverfahren, stünden aber auf dem Weltmarkt in Konkurrenz zu Rivalen, die mit den bisherigen billigeren Methoden "aggressiv" Marktanteile erobern wollten, sagt er: "Wir müssen teuflisch aufpassen, auf diesem sehr komplexen Transformationspfad als Unternehmen nicht aus der Bahn geworfen zu werden." Dass Thyssenkrupp die Kurve kriegt, ist also nicht ausgemacht.