Anlagebetrug im Internet:Es braucht Spezialeinheiten aus Polizei und Staatsanwälten

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Datensicherheit wird immer wichtiger. (Symbolbild) (Foto: dpa)

Anlagebetrug im Netz ist allein in Europa ein Milliardengeschäft. Millionen Menschen sind betroffen und die Strafverfolger tun sich schwer, über die Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten.

Essay von Uwe Ritzer

Was scheinbar immer hilft, ist eine Verschwörungstheorie. Der Art etwa, dass ein prominenter Mensch wie Lena Meyer-Landrut oder Dietrich Mateschitz mit neuartigen, digitalen Geldanlagen im Internet Unsummen verdiene, ein Komplott aus Großbanken, Politikern und natürlich auch Medien, das er aber aus dunklen, eigennützigen Motiven heraus vor der Öffentlichkeit geheim halten wolle. Solche Geschichten mögen noch so krude daherkommen - es gibt genug Menschen, die alles glauben, wenn man ihnen nur weismacht, dass böse Mächte ihnen etwas vorenthalten.

Manchmal geht das Märchen von der wundersamen Geldvermehrung aber auch so: Junge Existenzgründer hätten sensationelle Algorithmen zum schnellen Reichwerden entwickelt und damit die prominenten Juroren der TV-Show "Die Höhle der Löwen" begeistert. Viele seriöse Medien hätten schon darüber berichtet; dazu werden die Logos von Spiegel, Bild, ZDF, Zeit oder auch SZ gezeigt. Selbst schuld, wer da nicht einsteigt und investiert, lautet die Botschaft dahinter.

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Es ist eine ziemlich üble Masche, aber sie verfängt. Beileibe nicht nur bei wenigen Dummen und Leichtgläubigen, sondern bei vielen Kleinanlegern, die in Niedrigzinszeiten nach lukrativeren Alternativen zu Sparbuch oder Festgeldkonto suchen. Das tun sie bevorzugt im Internet. Dort fallen nicht nur in Deutschland Zigtausende Menschen auf solche in Stil und Diktion wie Nachrichtenseiten aufgemachten Fake News herein, die als Anzeigen, Pop-ups und über soziale Netzwerke durch das Netz gejagt werden. Das Versprechen vom großen Geld bei geringem Einsatz und mit nur wenigen Klicks, verbunden mit den erfundenen Geschichten über reich gewordene Promis und revolutionäre Algorithmen lockt sie schließlich auf Internet-Tradingplattformen.

Die Opfer investieren scheinbar in Rohstoffe oder Aktien, doch die Anlagen existieren gar nicht

Kurz dort registriert, pumpen sie Geld in vermeintliche Anlagegeschäfte mit Kryptowährungen, Rohstoffen, Aktien, Indizes oder binären Optionen. Es beginnt mit wenigen Hundert Euro. Umgehend suggeriert der Computerbildschirm individuelle Kursgewinne, welche die menschliche Gier nach noch mehr Rendite wecken. Psychologisch geschulte Telefonberater, die sich als "Broker" ausgeben, befeuern geschickt die Freude und entlocken den Anlegern immer mehr Euro. Bei alledem kann der Berater der Sparkasse oder Raiffeisenbank um die Ecke mit seinen bescheidenen Angeboten scheinbar nicht mithalten.

Alles sieht täuschend echt aus und wirkt professionell. Tatsächlich landet das vermeintlich investierte Geld umgehend in den Kassen internationaler Verbrecherbanden. Die Anlagegeschäfte, um die es angeblich geht - es gibt sie in Wahrheit überhaupt nicht. Will jemand seinen Einsatz zurück oder "Gewinne" abschöpfen, bricht der Kontakt zu "Brokern" und Plattform ab, und niemand ist mehr erreichbar. Am Ende steht häufig der Totalverlust aller Einsätze.

Diese Abzocke hat sich nicht nur zu einem Massenphänomen entwickelt, sondern steht wie keine andere Masche für eine neue Kriminalitätsform, die rasant um sich greift: Betrug bei Geldgeschäften im Internet. Strafverfolger, Wissenschaftler und Verbraucherschützer schlagen immer lauter Alarm. Sie sind sich einig: Der Schaden ist gewaltig, auch wenn er präzise nicht zu beziffern ist. Es fehlt an ausreichend fundiertem Datenmaterial. Was vor allem daran liegt, dass nicht einmal innerhalb Deutschlands, geschweige denn in der EU, eine amtliche Stelle die Fälle erfasst und bündelt. Die in Wien angesiedelte Opferorganisation Efri schätzt, dass Cyberkriminelle Anleger europaweit jeden Monat um eine Milliarde Euro prellen.

Eine einzige, mutmaßlich von einem Deutschen angeführte Bande, die 2019 in Österreich aufflog, soll Wiener Strafermittlern zufolge allein mehrere Tausend Europäer um "etwa 100 Millionen Euro pro Jahr" betrogen haben. Allein in Bayern stieg der von Strafverfolgern registrierte Schaden durch gefälschte Tradingplattformen zwischen 2015 und 2019 von knapp 100 000 auf mehr als 15 Millionen Euro. Der tatsächliche Verlust dürfte bei einem Vielfachen dessen liegen, denn längst nicht jedes Opfer erstattet Anzeige. Die einen schämen sich im Nachhinein für ihre Leichtgläubigkeit; andere glauben tatsächlich, ihr Geld bei riskanten Spekulationen verloren zu haben, und finden sich damit ab. Sie realisieren überhaupt nicht, dass sie betrogen wurden.

Rainer Böhme, Professor für Informationssicherheit an der Universität Innsbruck, schätzt "das Risikovolumen", wie er die potenzielle Schadensumme nennt, deutschlandweit auf mehrere Hundert Millionen Euro. Er gehört zu einer internationalen Gruppe von Wissenschaftlern, die 2019 das Internet als Tatort erforschte und dabei zu verblüffenden Erkenntnissen kam. In ihrer Studie " Measuring the Changing Cost of Cybercrime" fanden die Experten heraus, dass es inzwischen statistisch wahrscheinlicher ist, Opfer von Internetkriminalität zu werden, als von traditioneller Kriminalität wie körperlicher Gewalt, Einbruch oder Diebstahl. Sechs Prozent der Europäer, mithin also eine Zahl im mittleren zweistelligen Millionenbereich, sind bereits Opfer von Internetkriminalität geworden. In Großbritannien spielt sich der Nationalen Strafverfolgungsbehörde NCA zufolge jede zweite Straftat inzwischen in der Cyberwelt ab.

Wirtschaftskriminalität ist ein wesentlicher Teil all dessen. Denn Menschen mithilfe digitaler Technik auszurauben, ist für Verbrecher weitaus risikoloser, als sie physisch zu überfallen oder zu bestehlen. Für sie erschließt das Internet vor allem im Anlagegeschäft den anonymen Zugang zu einem potenziellen Milliardenmarkt, zu einem - im wahrsten Sinne des Begriffes - grenzenlosen Betrug.

Das wirft eine Reihe von Fragen auf. Wie gut sind die Strafverfolgungsbehörden auf diese Entwicklung vorbereitet? Reagieren sie darauf adäquat? Reichen die Werkzeuge und vor allem Kompetenzen von Polizisten und Staatsanwälten aus, um Taten aufzuklären, Täter zu verfolgen und dingfest zu machen? Kurzum: Sind die bestehenden Gesetze und Strukturen für all dies ausreichend?

Nein, sie sind es nicht.

Die Strafverfolger sind vielmehr nahezu chancenlos, sie müssen weitgehend auf Fehler der Gangster hoffen, denn ihre eigenen Möglichkeiten sind gemessen an denen der Verbrecher begrenzt. Die schiere Zahl und das Instrumentarium der Fahnder reichen bei Weitem nicht aus, um die Täter schnell und wirksam zu verfolgen. Allein weil in ihrem Radius national eingegrenzte Ermittler es mit grenzenloser Kriminalität zu tun haben.

Nichts offenbart diese Schwächen besser als der massenhafte Anlagebetrug über die erwähnten Tradingplattformen. Die Betrugssoftware für die täuschend echten Computersimulationen wird in der Regel in Israel programmiert. Die sogenannten "Broker", welche den Opfern telefonisch das Geld aus der Tasche ziehen, sind in der Regel Mitarbeiter in Südosteuropa angesiedelter Callcenter. Als Betreiber der Online-Anlageplattformen sind in der Regel Briefkastenfirmen registriert. Bisweilen haben sie sogar Lizenzen, meist ausgestellt an Finanzplätzen mit zwielichtigem Ruf, auf Zypern zum Beispiel.

Über den Globus verteilte, in sich verschachtelte Tarn- und Scheinfirmen sind es auch, über die mafiös organisierte Banden das ergaunerte Geld jagen, um es schließlich versickern zu lassen. Es sind perfekte Konstrukte zur Geldwäsche im großen Stil. Die Drahtzieher sind ihrerseits äußerst mobil. Der im erwähnten Fall von der österreichischen Polizei-Eliteeinheit Cobra in Neustift im Stubaital festgenommene, mutmaßliche Bandenchef aus Deutschland hatte dort einige Monate gelebt. Munter wechselte er bis dahin seine Aufenthaltsorte. Trotz eines deutschen Passes und einer angeblichen Adresse auf Zypern stuften ihn die Behörden als "ohne festen Wohnsitz" ein.

Der Rechtshilfeapparat ist für das digitale Zeitalter zu schwerfällig

Dass er und mutmaßliche Komplizen überhaupt dingfest gemacht und ihr betrügerisches Gebilde zerschlagen werden konnte, feierten die beteiligten Stellen aus Österreich, Deutschland, Bulgarien und der Tschechischen Republik als Erfolg beispielhafter, grenzübergreifender Zusammenarbeit. Das ist nicht falsch; vor allem österreichische Ermittler hatten sich monatelang in den Fall gekniet und akribische Arbeit geleistet. Nur ist das nicht die Regel, sondern die krasse Ausnahme.

Um Anlagebetrug im Internet zu bekämpfen, reicht der Werkzeugkasten der Strafverfolger bei Weitem nicht aus. Während Kriminelle das Geld ihrer Opfer binnen Sekunden verschwinden lassen, behindern lange und umständliche Dienstwege die Fahnder. Auch verhältnismäßig simple Ermittlungsschritte können innerhalb der EU Monate dauern - etwa eine ausländische IP-Adresse zu identifizieren oder über Provider Betreiber der Anlageportale beziehungsweise Hintermänner einer Briefkastenfirma. Der standardisierte Rechtshilfeapparat ist für das digitale Zeitalter und dessen Anforderungen zu schwerfällig und viel zu behäbig.

Auch fehlt es an einer europaweiten Zentralstelle, die nicht nur Fälle und Daten bündelt, sondern auch Ermittlungen grenzübergreifend und zügig organisiert und über die dafür notwendigen Kompetenzen und Durchgriffsmöglichkeiten verfügt. Was wiederum voraussetzen würde, dass die Delikte europaweit rechtlich einheitlich bewertet und auch nach ein und demselben Ermittlungsschema bekämpft werden.

Doch das klappt ja nicht einmal innerhalb Deutschlands. Die föderale Struktur spielt den Cyberkriminellen in die Hände, wenn vergleichbare Fälle von Online-Anlagebetrug von Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften in verschiedenen Bundesländern unterschiedlich eingestuft und in einem Fall energisch verfolgt werden, während im anderen die Ermittlungen ziemlich schnell eingestellt werden. Nicht jedes Bundesland hat wie Bayern eine Zentralstelle Cybercrime, und wo es solche Spezialeinheiten gibt, sind diese zu wenig vernetzt, als dass sie schnell und reibungslos zusammenarbeiten könnten. Genau darauf aber kommt es bei der Bekämpfung digitaler Finanzkriminalität ganz wesentlich an: auf das Tempo.

© SZ vom 25.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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