Konjunktur:Schlusslicht Deutschland

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Die Arbeitslosigkeit steigt, die Verunsicherung von Bürgern und Unternehmen ist so groß wie selten. Im Bild Arbeiter der Meyer-Werft in Papenburg. (Foto: Thomas Imo/imago/photothek)

Während andere Industriestaaten wachsen, könnte die hiesige Wirtschaft 2023 um 0,6 Prozent schrumpfen. Und einen Schuldigen haben die großen Forschungsinstituite auch ausgemacht.

Von Alexander Hagelüken und Claus Hulverscheidt, München, Berlin

Es war eine Veranstaltung zum Vergessen für Olaf Scholz, denn die Botschaften, die die fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute dem Bundeskanzler mitgebracht hatten, hätten schlechter kaum sein können: Die deutsche Wirtschaft schrumpft, die Arbeitslosigkeit steigt, und die Verunsicherung von Bürgern und Unternehmen ist so groß wie selten. Vor allem aber: Die Bundesregierung ist aus Sicht der Experten in dieser kritischen Lage nicht etwa ein stabilisierender Faktor, sondern trägt mit einer widersprüchlichen Politik sogar noch zu den Problemen bei.

Tatsächlich klingt der Befund alarmierend. Während nämlich die anderen großen Volkswirtschaften der Welt allesamt wachsen, sagen die Experten für Deutschland einen Rückgang der Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 0,6 Prozent voraus. Damit fällt ihre Schätzung um fast einen Prozentpunkt schlechter aus als noch im Frühjahr. Ein Minus beim Wachstum bedeutet am Ende auch weniger Einkommen für die Bürger. "Der wichtigste Grund für die negativere Prognose ist, dass sich die Industrie und der private Konsum langsamer erholen, als wir im Frühjahr erwartet haben", sagt Oliver Holtemöller, Vizepräsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH).

Durch den russischen Überfall auf die Ukraine sind vor allem die Preise für Energie und Lebensmittel stark in die Höhe geschnellt. Den Bürgern verbleibt entsprechend weniger Geld im Portemonnaie, was wiederum dazu führt, dass viele Menschen ihren Konsum reduzieren. Um die Teuerungswelle zu bremsen, hat zudem die Europäische Zentralbank ihre Leitzinsen deutlich angehoben. Das trifft vor allem die Baubranche.

Auch energieintensive Betriebe wie etwa Chemieunternehmen stellen wegen der höheren Strom- und Gaspreise deutlich weniger her. Besonders exportabhängige Firmen leiden wiederum unter den wirtschaftlichen Problemen in China und auf anderen Absatzmärkten. Die fünf Konjunkturinstitute - neben dem IWH das Münchner Ifo-Institut, das Kieler IfW, das RWI aus Essen und das Berliner DIW - rechnen deshalb damit, dass die Produktion in Deutschland im dritten Quartal dieses Jahres noch einmal spürbar sinken wird. Auch am Arbeitsmarkt macht sich die trübe Situation bemerkbar. So gehen die Experten für dieses Jahr von knapp 2,6 Millionen Erwerbslosen aus, das wären fast 200 000 mehr als 2022.

Was die Diagnose für die Bundesregierung besonders schmerzhaft macht, ist der Umstand, dass die Wirtschaftsforscher ihr vorwerfen, durch eine falsche Wirtschaftspolitik Bürger und Unternehmen noch zusätzlich zu verunsichern. Das gelte insbesondere für die Energiepolitik, die von "Kleinteiligkeit" und "Kurzatmigkeit" geprägt sei. Statt etwa mit dem Heizungsgesetz in die Keller der Bürgerinnen und Bürger hineinzuregieren, müsse die Koalition endlich ein klares Gesamtkonzept vorlegen, sagt Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. Dabei müsse es vor allem darum gehen, das Angebot an erneuerbaren Energien rasch und deutlich zu erhöhen und zugleich die Verwendung fossiler Brennstoffe Schritt für Schritt unattraktiv zu machen. Im Mittelpunkt sollte dabei aus Sicht der Experten eine weitere Anhebung der CO2-Strafabgabe stehen. Allerdings müsse es einen sozialen Ausgleichsmechanismus geben, da sich nicht alle Bevölkerungsgruppen einen Anstieg etwa des Benzin- oder des Gaspreises leisten könnten.

Was dagegen nicht helfe, sei eine "Subventionslotterie" zugunsten einzelner Branchen oder gar Unternehmen, sagen die Fachleute. Staatshilfen seien nicht nur hinderlich beim Versuch, Strom zu sparen, da sie Energie künstlich verbilligten. Sie verursachten vielmehr auch hohe Kosten für die Steuerzahler und führten zu Mitnahmeeffekten, da bestimmte Bevölkerungsgruppen die Subventionen eigentlich gar nicht benötigten. Das gelte auch für den geplanten Industriestrompreis - eine Art Preisdeckel, mit dem Habeck verhindern will, dass wichtige Grundstoffhersteller etwa aus der chemischen Industrie in Länder mit deutlich niedrigeren Strompreisen abwandern und damit auch nachgelagerten Branchen schaden könnten.

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Die Preissteigerung beträgt nur mehr 4,5 Prozent. Im August waren es noch 6,1 Prozent. Und es dürfte weiter nach unten gehen.

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Für nächstes Jahr erwarten die Institute ein Wachstum von 1,3 Prozent

Aus Sicht der Wirtschaftsforschungsinstitute gibt es für einen solchen Trend bisher keinerlei Belege. Wer den Strompreis künstlich verbillige, halte vielmehr den notwendigen Strukturwandel in der Wirtschaft auf, sagt IWH-Experte Holtemöller. Vielleicht sei es sinnvoller, bestimmte Produkte künftig aus dem europäischen Ausland zu importieren, statt ihre Herstellung in Deutschland dauerhaft zu subventionieren. Es sei nicht sinnvoll, "Industrien, die nicht mehr wettbewerbsfähig sind, im Land zu halten", meint auch IfW-Ökonom Kooths.

Zu den wirtschaftlichen Risikofaktoren in Deutschland zählen die Volkswirte im Übrigen auch das sich verändernde gesellschaftliche Klima. Zwar seien die daraus resultierenden Konjunkturrisiken noch nicht messbar. Langfristig aber hätte es gravierende Folgen, wenn etwa rechte Politiker durch migrationsfeindliche Gesetze oder Rhetorik den Zuzug dringend benötigter ausländischer Fachkräfte verhinderten oder Linke das Recht auf Eigentum in Frage stellten, so Holtemöller.

Hoffnung macht den Experten dagegen, dass die Phase der raschen und kräftigen Leitzinserhöhungen bald zu Ende gehen könnte und die Kaufkraft der Menschen dank teils kräftiger Lohnerhöhungen wieder steigt. Für nächstes Jahr erwarten die Institute daher wieder ein Wachstum von 1,3 Prozent. Zur Erholung beitragen soll auch ein Abflauen der Inflationsrate: Nach 6,1 Prozent Teuerung in diesem Jahr gehen die Forscher für 2024 nur noch von 2,6 Prozent aus. 2025 sollen es sogar nur noch 1,9 Prozent sein.

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