Mitten in der Erholung von der Corona-Krise rutscht Deutschland erneut in eine Rezession. Die von den Energiepreisen hochgetriebene Inflation reduziert die Einkommen, so dass die Menschen weniger konsumieren. "Der russische Angriff auf die Ukraine und die daraus resultierende Krise auf den Energiemärkten führen zu einem spürbaren Einbruch", sagt Torsten Schmidt vom RWI-Institut. Nach der von vier Forschungshäusern am Donnerstag präsentierten Herbstprognose schrumpft die deutsche Wirtschaft 2023 um 0,4 Prozent. Das Institut für Makroökonomie (IMK) erwartet sogar minus ein Prozent.
Wer den Wirtschaftseinbruch verursacht, benennen die Institute der Herbstprognose klar. Die Konjunktur verschlechterte sich bereits nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar. Nachdem Russland nun seine Gaslieferungen stark reduziert hat, sei ein erheblicher Teil des Gasangebots weggefallen - und die Preise in die Höhe geschossen. Die hohen Energie- und Lebensmittelpreise nehmen den Menschen viel Kaufkraft, analysiert RWI-Konjunkturchef Schmidt: "Sowohl einkommensschwache Haushalte als auch Unternehmen sind deshalb auf weitere Unterstützung der Politik angewiesen. Bei den Unternehmen ist allerdings darauf zu achten, dass es nicht zu dauerhaften Subventionen kommt."
Wahrscheinlich kein Gasmangel
Immerhin ist im Winter dank aufgefüllter Speicher bei normaler Witterung nicht mit einem Gasmangel zu rechnen, so RWI, Ifo, IWH und IfW in ihrer gemeinsamen Herbstprognose. Die Versorgungslage bleibe aber angespannt. Die Gaspreise dürften mittelfristig deutlich über dem Niveau vor der Krise liegen. Das bedeute für Deutschland einen permanenten Wohlstandsverlust. Die Wirtschaftsleistung fällt demnach dieses und kommendes Jahr um zusammen 160 Milliarden Euro geringer aus.
Die Forscher haben deshalb ihre Prognose für dieses Jahr halbiert und erwarten nur noch 1,4 Prozent wirtschaftliches Wachstum. 2023 schrumpfe die Wirtschaft. Erst im Jahr darauf soll sie wieder um knapp zwei Prozent expandieren. Die Energiedelle in der Wirtschaftsleistung würde damit weit geringer ausfallen als durch den Corona-Einbruch 2020. Sollte allerdings der Ukraine-Krieg eskalieren, die Preise noch stärker steigen oder Gasmangel Fabriken stilllegen, wird die Wirtschaft kommendes Jahr stärker schrumpfen.
Inflation im kommenden Jahr noch höher
Die Bürger werden die Preissteigerungen noch stärker zu spüren bekommen. "Der massive Anstieg der Energiepreise durch den russischen Angriffskrieg und die eingestellten Gaslieferungen stellt einen in der Nachkriegszeit einmaligen Preisschock für die deutsche Wirtschaft dar", urteilt Sebastian Dullien, Direktor des IMK-Instituts. Der Börsenpreis für Energie sei seit 2019 um 1000 Prozent gestiegen. "Bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ist das größtenteils noch nicht angekommen, da viele Haushalte längerfristige Verträge mit ihren Versorgern haben. Der überwiegende Teil der Preissteigerungen wird im kommenden Winterhalbjahr zu Buche schlagen." Die Bundesregierung solle Haushalte und Unternehmen durch wirkungsvolle Energiepreisdeckelungen entlasten.
Laut Herbstprognose fällt die Inflation nächstes Jahr mit 8,8 Prozent sogar noch höher als aus dieses Jahr. Erst 2024 beruhigten sich die Preissteigerungen wieder.
Die hohe Teuerung führt dazu, dass viele Beschäftigte inflationsbereinigt Lohneinbußen erleiden, so Guido Baldi vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): "Gerade Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen drohen so in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten. Viele Menschen und Unternehmen blicken trotz der bisher beschlossenen Entlastungspakete der Bundesregierung mit großen Sorgen in die Zukunft." Diese Ängste bremsten die Konsum- und Investitionsneigung zusätzlich und drohten die Rezession zu verschärfen.
Unternehmen spüren die Krise
Baldi schätzt, dass die Folgen von Wladimir Putins Angriff auf die Ukraine Deutschland dieses und kommendes Jahr etwa fünf Prozent Wachstum koste. Die Energiekrise entwickele sich auch für die deutsche Industrie zum Hauptproblem. "Preissteigerungen für Energie auf der einen und Unsicherheit auf der anderen Seite dämpfen die Umsätze und die Geschäftserwartungen," so DIW-Forscherin Laura Pagenhardt.
Die Unternehmen spürten auch, dass der Krieg in der Ukraine über Energieschocks und andere Faktoren in den meisten entwickelten Volkswirtschaften zu deutlich geringeren Wachstumsraten führt. Die chinesische Wirtschaft werde zudem durch Corona-Lockdowns und die schwelende Immobilienkrise gebremst. All das hemmt die exportorientierte deutsche Wirtschaft. Dienstleister wie Handel oder Gastronomie dagegen leiden unter dem reduzierten Konsum.
Wenigstens kaum Sorgen um den Job
Immerhin brauchen sich die meisten Menschen momentan keine Sorgen um einen Arbeitsplatzverlust zu machen. "Zwar dürfte die Nachfrage nach neuen Arbeitskräften angesichts der konjunkturellen Schwächephase zurückgehen", so RWI-Konjunkturchef Schmidt. "Die Unternehmen werden aufgrund des Fachkräftemangels in vielen Bereichen aber bestrebt sein, den vorhandenen Personalbestand zu halten." Die Zahl der Arbeitslosen sinke dieses Jahr noch. 2023 steige sie um 150 000 auf 2,56 Millionen. Das sind aber immer noch weniger als im vergangenen Jahr.