Unkrautvernichter:EU vertagt umstrittene Glyphosat-Entscheidung

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In Deutschland ist die Entscheidung zu Glyphosat einmal mehr kompliziert. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Die erforderliche Mehrheit für eine Neuzulassung kommt in Brüssel nicht zustande. Die deutsche Regierung enthält sich der Stimme. Was das bedeutet und wie es nun weitergeht.

Von Michael Bauchmüller und Josef Kelnberger, Brüssel/Berlin

Die Entscheidung über eine neuerliche Zulassung des umstrittenen Unkrautvernichters Glyphosat in der Europäischen Union wird vertagt. Bei einer Abstimmung im zuständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel kam am Freitag in Brüssel nicht die erforderliche Mehrheit zustande, wie die EU-Kommission mitteilte. Die deutsche Regierung enthielt sich der Stimme. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen spricht sich zwar für ein Verbot von Glyphosat aus, doch der Koalitionspartner FDP legte sein Veto ein.

SCoPAFF heißt im EU-Jargon der Ausschuss, der in Sachen Glyphosat die Entscheidung trifft. Er wird geleitet von einem Vertreter der EU-Kommission, aber auch Vertreter der 27 EU-Staaten sitzen mit am Tisch. Die Kommission hat vorgeschlagen, die Zulassung für zehn Jahre zu erneuern. Basis dafür ist eine Ende Juli veröffentlichte Untersuchung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa). Sie sah keine inakzeptablen Gefahren, lediglich Datenlücken. Für die Untersuchung hatte die Efsa eigenen Angaben zufolge in einem dreijährigen Verfahren Tausende Studien und wissenschaftliche Artikel betrachtet.

Die WHO hatte Glyphosat als "wahrscheinlich krebserzeugend" eingestuft

Die Studienlage ist, was die Gefahren von Glyphosat betrifft, allerdings widersprüchlich. Die Krebsagentur der Weltgesundheitsorganisation WHO hatte 2015 Glyphosat als "wahrscheinlich krebserzeugend" eingestuft, andere WHO-Einrichtungen und Forschungsverbünde kamen zu einem gegenteiligen Schluss. Kritiker weisen vor allem darauf hin, der Einsatz von Glyphosat gefährde die Artenvielfalt.

Für eine Entscheidung im SCoPAFF braucht es eine qualifizierte Mehrheit, was bedeutet: Es müssen 55 Prozent der Mitgliedstaaten zustimmen, und diese müssen 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Stärkste Befürworter sind die südeuropäischen Länder, allen voran Italien. Neben Deutschland enthielten sich am Freitag viele andere Regierungen, Frankreich zum Beispiel, das sich am Abstimmungsverhalten der Bundesregierung orientierte. Österreich zählte zu den wenigen Staaten, die klar gegen eine Neuzulassung votierten.

Wenn es keine qualifizierte Mehrheit dafür oder dagegen gibt, kann die Kommission laut EU-Regeln eine Berufungsinstanz anrufen. Das wird sie nun auch tun, voraussichtlich wird Mitte November wieder beraten. Falls auch diese Sitzung kein Ergebnis bringt, darf die Kommission allein entscheiden. Bis zum 15. Dezember soll das Verfahren abgeschlossen sein, denn dann läuft die Zulassung von Glyphosat aus.

Der vorliegende Gesetzentwurf der Kommission gibt den Mitgliedsländern Möglichkeiten, den Einsatz von Glyphosat zu begrenzen. Als Gründe werden etwa der Schutz des Grundwassers und Gefahren für die Biodiversität genannt. Die französische Regierung wünscht sich sehr viel weiter gehende Einschränkungen, wie Landwirtschaftsminister Marc Fesneau am Freitag erklärte. Das Gesetz müsse Wege zum Ausstieg aus der Glyphosat-Nutzung aufzeigen. In den nächsten Wochen muss sich erweisen, ob die Kommission solche Kompromisslinien sucht oder es darauf anlegt, am Ende aus eigener Kraft entscheiden zu können.

Landwirtschaftsminister Özdemir hätte sich auch ein Nein vorstellen können

"Die Europäische Kommission hat sich mit ihrem Vorschlag verrannt", kommentierte die grüne Europaabgeordnete Jutta Paulus die Abstimmung. "Angesichts des rapiden Artenverlusts ist es dringend notwendig, dass die Kommission den Vorschlag für eine Wiederzulassung von Glyphosat gänzlich zurückzieht." Scharfe Kritik übte sie an der FDP, die auf Gesundheitsrisiken durch Glyphosat keine Rücksicht nehme.

Auch das Landwirtschaftsministerium verwies auf Risiken für die Artenvielfalt. "Sie ist Grundlage krisenfester und nachhaltiger Ernährungs- und Agrarsysteme", erklärte ein Sprecher von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir. "Wir hätten uns auch ein Nein vorstellen können." Aber immerhin habe es auch keine Mehrheit für die Genehmigung gegeben - das lässt zumindest die nächsten Schritte der Kommission offen. "Solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass Glyphosat der Biodiversität schadet, sollte sie keine Wiedergenehmigung von Glyphosat zulasten der Artenvielfalt durchsetzen", sagte Özdemir.

Die FDP-geführten Ministerien für Forschung und Verkehr sehen das offensichtlich anders. Letzteres ist auch für die Bahn verantwortlich, dem das Herbizid an Bahntrassen lange gute Dienste erwiesen hat. Wenn sich eine Bundesregierung nicht einigen kann, muss sie sich in Brüssel enthalten.

So war es schon einmal, 2017. Damals war Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) für ein Verbot, Agrarministerin Christian Schmidt (CSU) dagegen. Doch bei der Entscheidung in Brüssel setzte er sich über die Bedenken seiner Kollegin hinweg - und machte den Weg für eine Genehmigung frei. Seinerzeit sorgte das für ordentlich Zoff. Das wiederum hätte diesmal leichter sein können, denn immerhin gibt es im Koalitionsvertrag eine glasklare Sprache dazu: "Wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt." Das allerdings setze einen entsprechenden europäischen Rahmen voraus, heißt es im Landwirtschaftsministerium. Fehle der, habe auch die Bundesregierung national wenig Handhabe.

Allerdings hat mit dem Bayer-Konzern auch der größte Glyphosat-Hersteller seinen Sitz in Deutschland: Er kommt auf rund 40 Prozent Marktanteil an dem umstrittenen Pflanzenschutzmittel. In den letzten Tagen hat er auch alle Hebel in Bewegung gesetzt, bis hin zu einer Petition, die er einer Staatssekretärin aus dem Landwirtschaftsministerium übergeben hat. Das Unternehmen fürchtet nicht nur ein Verbot in Europa - sondern auch strenge Grenzwerte für Glyphosat in Importen. Denn jenseits der EU erfreut sich das Herbizid großer Beliebtheit.

Glyphosat ist ein sogenanntes Breitbandherbizid. Es vernichtet alle grünen Pflanzen, es sei denn, sie sind genetisch so verändert, dass ihnen das Gift nichts anhaben kann. Kein anderes Pestizid wird weltweit so häufig eingesetzt. Seit der Einführung 1974 habe sich die weltweite jährliche Einsatzmenge etwa um den Faktor 265 auf mehr als 800 000 Tonnen erhöht, heißt es bei der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft. Rund 90 Prozent würden in der Landwirtschaft eingesetzt. 2021 wurden in Deutschland laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit knapp 4100 Tonnen Glyphosat abgesetzt.

Der frühere US-Hersteller Monsanto, der nun zum Bayer-Konzern gehört, führte das Mittel unter dem Handelsnamen "Roundup" ein. Heute macht die Substanz nach Angaben der Glyphosate Renewal Group - eines Zusammenschlusses von Unternehmen, die das Mittel vertreiben - rund 25 Prozent des weltweiten Herbizidmarktes aus. Spanien, Italien und Frankreich haben demnach im Vergleich zu Deutschland oder Großbritannien einen doppelt bis fünffach höheren Verbrauch.

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