Wer mit Menschen über die Digitalisierung spricht, trifft sehr oft auf sehr extreme Meinungen. Entweder: Technik und neue Erfindungen retten uns vor allem, auch dem Weltuntergang. Oder: Technik ist des Teufels, bald pflegen Roboter unsere Omis und übernehmen im Anschluss die Weltherrschaft. Die Wahrheit liegt wie meistens in der Mitte und ist darum deutlich langweiliger: Ganz oft kann digitale Technik helfen, Probleme zu bekämpfen, alleine lösen allerdings fast nie.
Ein Beispiel: das Start-up Not Just A Jewel des vierköpfigen Gründerinnenteams um die Modedesignerin und Kommunikationsexpertin Susana Gomez. Not Just A Jewel verkauft Armreife, die gleichzeitig der Selbstverteidigung dienen, sie sind vor allem für Frauen gedacht. Die Armreife sind keine Waffe, weil man die leicht falsch bedienen könnte oder weil sie gegen einen selbst eingesetzt werden könnten, sagt Gomez. Stattdessen lösen sie entweder einen lauten Ton aus, der Angreifer abschrecken soll, oder einen stillen Alarm, der Freunde, Familie oder auch die Polizei per SMS alarmiert und an den Standort der Schmuckträgerin lotsen soll.
Die Idee dazu kam Gomez, als sie eines Nachts durch das dunkle, verregnete Berlin radelte, sie war gerade 40 Jahre alt geworden und dachte an die eigene Jugend zurück. Ihre Eltern hatten es geschafft, loszulassen. Sie hatte nie das Gefühl, dass sie sich Sorgen um sie machten, obwohl es noch keine Handys gab und sich Gomez als Mädchen und junge Frau tatsächlich in der einen oder anderen brenzligen Situation wiederfand. Würde ihr das mit ihren Töchtern ähnlich gelingen? Sie hörte von Freunden, die ihre Kids per Tracking-App verfolgten und wollte das für sich nicht. "Ich wollte etwas mitgeben können, das mir und ihnen ein besseres Gefühl gibt, ohne Überwachung." Nach einigem Hin und Her kam sie auf die Idee mit dem Armband, suchte sich Mitgründerinnen und startete das kleine Unternehmen.
"Wir wollen die Frauen stärken."
Natürlich kann so ein Armband nicht jede Gewalttat gegen Frauen verhindern. Es kann nicht allein dafür sorgen, dass Mädchen und Frauen oder Menschen, die wegen ihrer Hautfarbe oder aus welchen Gründen auch immer attackiert werden, sofort nachts joggen gehen oder angstfrei allein aus dem Club mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause fahren können. Aber das smarte Armband, ausgestattet mit einer winzigen Sirene und GPS, das auch funktioniert, wenn man gerade kein Handy dabeihat oder es einem weggenommen wurde, kann zumindest helfen. "So viele Menschen, vor allem so viele Frauen, haben schlechte Erfahrungen gemacht und haben daraufhin Vermeidungsstrategien entwickelt", sagt die Gründerin. "Sie haben den Schlüssel in der Hand, um sich zur Not verteidigen zu können, sie tun so, als ob sie telefonieren, sie nehmen abends ein Taxi oder gehen abends nicht aus dem Haus. Sie bewegen sich nicht frei", sagt Gomez. Ihr Produkt soll dafür sorgen, dass sie sich sicherer fühlen und sich selbst helfen können, es soll Freiheit zurückgeben. "Wir wollen die Frauen stärken."
Gomez selbst ist nie etwas ganz Schlimmes passiert, aber sie kennt viele Geschichten - und seit sie das Unternehmen gegründet hat, erzählen ihr noch viel mehr Menschen von ihren schlimmen Erlebnissen. "Es macht etwas mit einem, wenn man an so einem Produkt arbeitet." Viele erzählen von ähnlichen Reaktionen, und auch in den kleinen gefährlichen Situationen in ihrer Jugend ging es Gomez so, dass sie sich selbst nicht gut helfen konnte. "Ich war in einer Art Schockstarre", sagt sie. Darum wollte sie etwas erfinden, das man sehr unauffällig und intuitiv bedienen kann. Die Technik dahinter zu entwickeln, war eine riesige Herausforderung, unter anderem, weil sie sehr klein sein muss, um in das Armband zu passen, das ja nicht klobig und hässlich sein soll.
Unterstützung von Entwicklern, Experten, Mentoren und Helfern aller Art und Geschlecht war leicht zu finden, viele Menschen wollten ihr und ihren Co-Gründerinnen helfen, erzählt Gomez. Das liege daran, dass viele die Idee gut finden - Technik, die zwar nicht die Welt rettet, aber zumindest für manche Menschen etwas besser macht. "Und der Faktor ,Frau in Tech' hilft auch", sagt sie und grinst. "Wenn ein Team von vier Frauen mit einem innovativen technischen Produkt im Gepäck anklopft, öffnen sich viele Türen. Da wirft man gerne mal schnell etwas in den 3-D-Drucker für wenig Geld. Frauengeführte Tech-Unternehmen sind leider nach wie vor eine Seltenheit, und das muss sich ändern. Der Support ist überall zu spüren. Ich kann es nur allen Frauen empfehlen, diesen Aufwind zu nutzen."