EU:Woher die Milliarden für den Klimaschutz nehmen?

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Moderatorin Alexandra Föderl-Schmid im Gespräch mit (v.l.) EU-Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness, Mathieu Klein, Bürgermeister in Lothringen (beide im Video), Österreichs Arbeitsminister Martin Kocher und Liechtensteins Regierungschef Daniel Risch. (Foto: Friedrich Bungert)

Spitzenpolitiker diskutieren darüber, wie die Finanzbranche beim Kampf gegen Menschenhandel und den Klimawandel helfen kann - und was die EU tun sollte.

Von Björn Finke, Berlin

Liechtenstein hatte lange einen schlechten Ruf, galt als Paradies für Geldwäscher und Steuerhinterzieher. Doch die Regierung des Fürstentums hat die Regeln verschärft und duldet die schmutzigen Machenschaften nicht mehr. Stattdessen wird nun das Image des sauberen Niedrigsteuer-Finanzplatzes gepflegt. Dazu passt auch die Initiative, die Regierungschef Daniel Risch am Dienstagabend beim SZ-Wirtschaftsgipfel in Berlin vorstellte. Der 43-jährige Konservative rief die neue Bundesregierung dazu auf, bei einer internationalen Kampagne gegen moderne Sklaverei und Menschenhandel mitzuwirken, die Liechtenstein angestoßen hat. Die Initiative namens FAST soll die Finanzbranche dafür sensibilisieren, wie sie das Geschäft der Schmuggler erschweren kann.

"Die weltweite Sklaverei ist ein starker Gegner. Daher müssen wir alle Kräfte mobilisieren", sagte Risch, der seit März den 40 000-Einwohner-Staat zwischen Österreich und der Schweiz führt. Mit einer Beteiligung könnte die neue deutsche Regierung "ein deutliches Signal für die sozial nachhaltige Entwicklung unserer Welt setzen". Die drei anderen Podiumsteilnehmer begrüßten die Initiative - wobei darunter kein deutscher Politiker war. Mit Risch diskutierten stattdessen EU-Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness, der österreichische Arbeitsminister Martin Kocher sowie Mathieu Klein, Bürgermeister von Nancy in Lothringen und Mitglied im Sprecherteam von Anne Hidalgo, der sozialdemokratischen Präsidentschaftskandidatin.

"Die weltweite Sklaverei ist ein starker Gegner": Liechtensteins Regierungschef Daniel Risch. (Foto: Johannes Simon)

Der per Video zugeschaltete Klein sagte, die Kampagne habe seine volle Unterstützung, und er könne hier vielleicht auch für die künftige französische Präsidentin sprechen. Österreichs parteiloser Minister Kocher nannte den Vorstoß "wichtig"; Kommissarin McGuinness versicherte ebenfalls per Video, dass Liechtenstein bei diesem Problem auf die EU als "Verbündeten und Freund" zählen könne.

Frankreich will die Schuldenunion - was will Berlin?

Weniger Einigkeit herrschte bei dem anderen großen Thema in der Diskussionsrunde: der Frage, wie Regierungen und Wirtschaft in Europa die nötigen Milliardeninvestitionen für Klimaschutz aufbringen können. Der französische Sozialdemokrat Klein warb dafür, den Corona-Hilfstopf der EU auszuweiten und länger laufen zu lassen. Der Fonds sei "bisher eindeutig unzureichend", sagte der 45-Jährige. Er erhoffe sich von der neuen Bundesregierung Unterstützung für einen ehrgeizigeren Ansatz.

Damit ist Klein ganz auf Linie von Präsident Emmanuel Macron. Für den 807 Milliarden Euro schweren Fonds nimmt die Kommission im großen Stil Schulden auf, für welche die Staaten gemeinsam geradestehen - eine Premiere. Aus dem Topf überweist die Behörde dann Zuschüsse an die Mitgliedsländer. Diese schuldenfinanzierte Umverteilung ist bislang als einmalige und befristete Unterstützungsaktion angelegt. Doch Macron und Italiens Regierungschef Mario Draghi wollen gemeinsame EU-Schulden für ein üppiges Brüsseler Budget als Dauereinrichtung festschreiben.

Ob die neue Berliner Regierung den deutschen Widerstand gegen solche Ideen aufgibt, wie es sich Klein wünscht, ist aber ungewiss. Zwar fordern auch SPD und Grüne in ihren Wahlprogrammen, dass die EU aus dem Corona-Topf ein permanentes Investitionsbudget machen solle. Die FDP betont hingegen, dass der Fonds eine Ausnahme bleiben müsse, die EU dürfe nicht zur Schuldenunion werden. Im Sondierungspapier zum Start der Koalitionsverhandlungen wird das heikle Thema nicht erwähnt.

Kein Freund einer Schuldenunion: Martin Kocher, österreichischer Bundesminister für Arbeit. (Foto: Johannes Simon)

Österreichs Regierung gehört ebenfalls zum Lager der Gegner. Entsprechend äußerte Minister Kocher auf dem Podium Zweifel daran, ob EU-Regierungen überhaupt weitere Zuschüsse aus Brüssel benötigen. Die Zinsen für Kredite seien niedrig, und das Geld für Klimaschutzprojekte müsse ja nicht vom Staat stammen, sondern könne auch von privaten Investoren kommen, sagte Kocher, der vor seinem Wechsel in die Regierung Professor für Volkswirtschaftslehre war. Investoren zeigten immer mehr Interesse an diesen Vorhaben, daher sei er "optimistischer als vor einigen Jahren", was den Kampf gegen die Erderwärmung angehe.

Kommissarin McGuinness unterstützte Kocher: "Werden Mittel gezielt eingesetzt und nicht verschwendet, reicht das Geld ohne Zweifel aus", sagte die Irin, die in der Brüsseler Behörde für die Finanzmarktregeln zuständig ist. Private Geldgeber hätten viel "Appetit darauf, das Richtige zu tun und in eine nachhaltigere Zukunft zu investieren". Die Kommission fördert den Markt für grüne Geldanlagen mit einer Reihe von Gesetzen und Initiativen. So sollen künftig mehr Unternehmen darüber berichten müssen, wie sich ihre Geschäfte auf Umwelt und Soziales auswirken. Das soll umweltbewussten Fondsmanagern und Anlegern die Aktienauswahl erleichtern.

Kann Atomstrom als nachhaltig gelten?

Daneben legt die Behörde Standards für Öko-Anleihen fest und definiert in einer sogenannten Taxonomie haarklein, welche wirtschaftlichen Aktivitäten umwelt- und klimafreundlich sind und welche nicht. Dies soll verhindern, dass sich Konzerne als grün anpreisen, die es in Wirklichkeit nicht sind. Hochumstritten ist, ob auch Atomkraft als nachhaltig gelten soll - die Entscheidung darüber wird die Kommission bis Jahresende fällen. Deutschland ist dagegen, doch viele andere EU-Staaten, etwa Frankreich, Finnland oder osteuropäische Länder, sind dafür. Bundeskanzlerin Angela Merkel räumte in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters ein, dass es aufgrund der Mehrheitsverhältnisse wohl nicht möglich sein werde, die Einstufung als grüne Energiequelle abzuwenden.

McGuinness sagte, mit all diesen Initiativen ihrer Behörde werde das "Finanzsystem umorientiert". Die 62-jährige Christdemokratin aus Irland warnte, dass sich beim Klimaschutz das Zeitfenster bald schließe. Sie könne daher verstehen, dass viele junge Menschen wütend und ungeduldig seien. Zugleich höre sie oft von Kritikern, dass die EU zu ehrgeizig sei und "von Unternehmen und dem Finanzsektor zu viel" verlange, sagte McGuinness, die vor ihrem Wechsel in die Kommission 16 Jahre lang im EU-Parlament saß. "Aber wir haben keine Wahl: Wir wissen, welches Ziel wir erreichen müssen, und müssen nun mit unseren Instrumenten den Firmen und dem Finanzsektor sehr klare Wegweiser vorsetzen."

Minister Kocher nannte die Klimaschutz-Pläne der EU "eine große Herausforderung", betonte jedoch, sie böten auch Chancen für die Unternehmen auf dem Kontinent: "Europa ist stark bei Ingenieurskunst."

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