Geld:So macht der billige Euro jetzt den Alltag teuer

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SZ-Collage: Stefan Dimitrov (Foto: Imago)

Für einen Euro gibt es jetzt nur noch genau einen Dollar. Lässt sich gut merken. Hat aber gravierende Folgen - für Unternehmen, Urlauber und Verbraucher.

Von Harald Freiberger, Victor Gojdka, Stephan Radomsky, Sonja Salzburger und Markus Zydra, München/Frankfurt

Um 11.39 Uhr, so erschien es, wollten sich manche Börsenhändler schlicht einen Scherz erlauben. Auf den Bildschirmen der Währungsprofis war der Euro schon den ganzen Morgen über gesunken, tiefrot eingefärbt. Sekündlich stierten die Händler auf ihre Computer und warteten auf jenen Moment, an dem ein Euro nur noch exakt einen Dollar wert sein würde. Um 11.39 Uhr dann war ein Euro auf den Finanzcomputern der Profis noch exakt 1,0001 Dollar wert. Die Gemeinschaftswährung war also nur noch ein Zehntausendstel vom Gleichstand mit dem Dollar entfernt. Und machte kehrt.

Danach legte der Euro wieder leicht zu, was man für die feine Ironie des Finanzmarkts halten mag. Dennoch drückten viele Kommentatoren ein Auge zu und sprachen vom Gleichstand des Euro mit dem Dollar. Denn wenn Währungskurse wanken, geht es um mehr als die vierte Nachkommastelle. In den vergangenen zwölf Monaten hat der Euro schließlich mehr als 15 Prozent an Wert verloren - und das spüren Unternehmen, Urlauber und Verbraucher direkt im Portemonnaie. Die SZ beantwortet die drängendsten Fragen.

Warum sinkt der Euro gerade so stark?

Stark oder schwach - der Trend einer Währung ist immer auch ein Symbol. Steigt eine Devise kräftig, reflektiert das auch die Stärke der dahinter stehenden Wirtschaft. Umgekehrt ist der schwache Euro ein Zeichen dafür, dass Europas Wirtschaft gegenüber der US-Wirtschaft an Gewicht verloren hat. Das liegt zum einen daran, dass Europa vom Krieg in der Ukraine stärker betroffen ist. Zum anderen daran, dass die Zinsen in den USA schon viel höher liegen als in den Euro-Staaten. Die Konsequenz: Viele Anlageprofis schieben daher gerade viel Geld in die USA und den Dollar. "Die amerikanische Notenbank Fed ist sehr viel aggressiver vorgegangen mit ihren Zinserhöhungen, die EZB hinkt hinterher", sagt Dirk Schumacher, Chefvolkswirt beim Anlagehaus Natixis. Da der Devisenmarkt so sensibel auf den klaffenden Zinsunterschied zwischen Europa und den USA reagiert, gab der Euro zuletzt deutlich nach.

Was bedeutet das für die deutsche Wirtschaft?

Eigentlich könnte der langjährige Exportweltmeister Deutschland profitieren: Eine schwächere Währung ist tendenziell gut für Exporteure, ausgeführte Waren werden billiger. Will ein ausländisches Unternehmen bei einem deutschen Schraubenhersteller eine Schräubchenpackung im Wert von 100 Euro kaufen, muss es nun weniger Dollar dafür bezahlen - und ordert deswegen vielleicht mehr. "Aber wir leben aktuell in keiner normalen Welt", sagt Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka-Bank.

Seit Ausbruch des Ukraine-Krieges greift der Effekt nicht mehr so eindeutig: Im Juni haben deutsche Firmen erstmals für mehr Geld Waren ins Land importiert als exportiert. Von der Menge her wurden gar nicht so viel mehr Waren importiert, nur ihr Wert in Euro und Cent hat sich stark verteuert - auch wegen der explodierenden Energiepreise. "Für die deutschen Unternehmen in der Masse entfaltet ein schwacher Euro auf Dauer negative Wirkung", resümiert Devisenexperte Ulrich Leuchtmann von der Commerzbank. Kaufen deutsche Firmen im Ausland Waren in Dollar, müssen sie dafür nun schließlich mehr Euro zahlen.

Wie wirkt sich der Gleichstand von Euro und Dollar auf Verbraucher aus?

Der Dollar ist noch immer die globale Leitwährung: Fast alles, was Käufer und Verkäufer auf dem Weltmarkt handeln, rechnen sie in der US-Währung ab. Ist der Euro schwach, verteuert das alle global gehandelten Waren für die Verbraucher hierzulande. Schließlich müssen sie, wie gesagt, mehr Euro zahlen, um für den gleichen Dollar-Betrag einzukaufen.

Beispiel Energie: In Dollar gerechnet, legte der Preis der Nordsee-Ölsorte Brent an den Rohstoffbörsen innerhalb eines halben Jahres um gut 21 Prozent zu - in Euro lag das Plus aber sogar bei fast 38 Prozent. Tanken wurde für Verbraucher in Europa also zusätzlich teurer, egal ob fürs Auto oder die Heizung im Keller. Manche Experten fürchten bereits eine Währungs-Energiepreis-Spirale: "Durch den schwachen Euro wird die ohnehin schon teure Energie noch teurer", sagt Finanzexperte Thomas Altmann von QC Partners.

Und was heißt der schwache Euro für USA-Urlauber?

Die USA sind hierzulande nicht ohne Grund die beliebteste Fernreisedestination, vor der Pandemie besuchten rund zwei Millionen Deutsche im Jahr das Land. Ob mit dem Camper durch Kalifornien oder Christmas Shopping in New York: Die Vereinigten Staaten bieten Touristen zahlreiche Möglichkeiten, einen tollen Urlaub zu verbringen.

Der schwache Euro wird sich aber in der Urlaubskasse aller Europäer bemerkbar machen - vor allem angesichts der ohnehin schon stark angezogenen US-amerikanischen Hotelpreise. In Hotspots wie New York, Miami oder Las Vegas werden aufgrund einer starken Inlandsnachfrage und Personalengpässen mittlerweile bis zu 500 Dollar für ein Standardzimmer verlangt, berichtet das Touristik-Fachmagazin fvw. Wer sich seine Reise individuell zusammenstellt, werde den Preisanstieg sofort spüren.

Pauschalreisende haben immerhin den Vorteil, dass die Veranstalter die Preise für 2022 bereits ausgehandelt haben, bevor es zum Gleichstand zwischen Euro und Dollar kam. "Große Preissteigerungen sind hier erst im kommenden Jahr zu erwarten, sofern der Dollarkurs so bleibt", sagt ein Tui-Sprecher. Aber auch Pauschalreisende werden bei Ausflügen, Restaurantbesuchen oder Einkäufen mehr bezahlen müssen als früher.

Macht der schwache Euro den Frankfurter Notenbankern schlechte Laune?

Man könnte annehmen, dass ein schwacher Euro in den Frankfurter Doppeltürmen der Europäischen Zentralbank für eine Menge langer Gesichter sorgt. Genau genommen ist das aber eine Sache der historischen Umstände: Im Jahr 2002 war die EZB ganz froh darüber, dass ein Euro exakt einem Dollar entsprach - denn die Parität war Ausdruck neuer Stärke. In den Monaten und Jahren zuvor hatte der Euro-Kurs mit bis zu 0,89 Dollar noch deutlich darunter gelegen, eine Schmach für die damals noch junge Währung.

Im Mai 2014 hingegen notierte der Euro bei 1,39 Dollar. Europas Währung war stark wie selten in ihrer Geschichte, doch der harte Euro bremste den Aufschwung. Daher senkte der damalige EZB-Präsident Mario Draghi den Leitzins auf null Prozent und begann, Staatsanleihen zu kaufen. Der Euro-Kurs fiel binnen 15 Monaten bis auf 1,09 Dollar. Und was meinte die EZB damals? Draghi war sehr zufrieden mit der Entwicklung, denn er brauchte den schwachen Euro, um Europas Wirtschaft anzukurbeln. Die Quintessenz: Ob bei den Notenbankern also ein schwacher oder ein starker Euro für gute Laune sorgt, ist eine Frage der Umstände.

Fällt der Euro jetzt immer weiter?

Experten wollen nicht ausschließen, dass ein Euro bald weniger als ein Dollar wert sein könnte. Zumindest am Dienstag wollten es die Währungshändler offenbar nicht zum Äußersten kommen lassen, kauften fleißig Euro und drückten den Euro-Kurs von der Gleichstandslinie am späten Vormittag ein bisschen nach oben.

In einer Umfrage des Datenanbieters Reuters unter Währungsexperten glaubten Teilnehmer auch mittelfristig nicht an einen Kollaps des Euro. Vielmehr dürfte die US-Notenbank Fed ihre Zinsen in den kommenden Monaten vielleicht weniger kräftig anheben als noch vor ein paar Wochen erwartet, parallel dürfte die Europäische Zentralbank mit Zinserhöhungen beginnen. Im Vergleich würden Zinsanlagen in Europa dann nicht mehr ganz so unattraktiv wirken, wieder mehr internationales Anlagegeld anlocken - und den Euro stärken. In ihren Prognosen rechnen die Währungsexperten daher in einem Jahr mit einem Eurokurs von 1,10 Dollar. Prognosen sind jedoch bekanntlich schwierig.

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