Welthandel:So will Europa sich aus Chinas Griff befreien

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Das niederländische Unternehmen ASML liefert manche seiner Maschinen zur Herstellung von Chips auf Druck der Vereinigten Staaten nicht mehr nach China. (Foto: Bart van Overbeeke/ASML)

Kann Europa eine offene Volkswirtschaft bleiben und sich gleichzeitig abschotten? Die EU-Kommission nimmt sich genau das vor. Aber es gibt da ein Problem.

Von Jan Diesteldorf, Brüssel

Zu Hause irgendwo, im Rucksack oder in der Jackentasche - fast jeder hat etwas, das es ohne ASML nicht gäbe. Smartphones, Laptops, der neue Wäschetrockner, all diese Dinge mit hochmodernen Chips, auf die Maschinen des niederländischen ASML-Konzerns Schaltkreise im Nanometerbereich gezeichnet haben. Das Unternehmen aus Veldhoven, 40 000 Mitarbeiter, gut 21 Milliarden Euro Jahresumsatz, ist mit seinen Fotolithografie-Verfahren der wichtigste Ausrüster der Chipindustrie. Und es liefert, das ist neu, auf Druck der USA seit bald vier Wochen seine neuesten Geräte nicht mehr in China. Die niederländische Regierung hatte dem Konzern die entsprechenden Exportlizenzen entzogen.

Der Fall ASML ist das bislang konkreteste Beispiel dafür, was De-Risking bedeutet, die Risikominderung im Umgang mit einem der wichtigsten Handelspartner Europas. Es zeigt, wie sich die USA die China-Politik der EU wünschen: Im Einklang mit der US-Regierung sollte Europa den Export von Schlüsseltechnologien in die Volksrepublik beschränken, da wäre ASML nur der Anfang. Und es veranschaulicht, wohin die EU steuern könnte, wenn es nach den Ideen der Europäischen Kommission ginge. Deren Präsidentin Ursula von der Leyen hat im März vor einem Jahr in einer Grundsatzrede zu China deutlich gemacht, dass sie im Wettbewerb der Großmächte sehr nah an Washington zu verorten ist.

Aber von der Leyen führt eben eine Behörde, die von 27 Staaten getragen wird. Das Problem: Deren Haltung zu China ist so heterogen, dass eine gemeinsame Linie schwierig zu ziehen ist. Weshalb die Kommission auch nur einen zaghaft-vorsichtigen Versuch unternimmt, den Begriff De-Risking in europaweit einheitliche Regeln zu übersetzen. Am Mittwoch stellte sie ein entsprechendes Paket aus Diskussionspapieren, Empfehlungen und einer Gesetzesreform vor.

Es ist die nächste Stufe der "Strategie der Wirtschaftssicherheit", die im vergangenen Juni noch auf ein 14-seitiges Empfehlungsschreiben passte. Nun tastet man sich langsam heran an Investitions- und Exportkontrollen auf EU-Ebene. Damals wie heute betont die Kommission zwar, es gehe nicht um China, sondern es handle sich um ein "umfassendes Konzept", was den Hauptadressaten aber nur hinter diplomatischer Sprache versteckt.

"Die vergangenen Jahre haben uns harte Lektionen erteilt."

Im Vordergrund stehen Risiken im Zusammenhang mit Auslandsinvestitionen in der EU und mit Investitionen europäischer Unternehmen im Ausland; es geht um sogenannte Dual-Use-Güter, die zu zivilen und militärischen Zwecken eingesetzt werden können, sowie um Überlegungen zu Forschung und Entwicklung, um den Abfluss kritischen Wissens ins Ausland stärker zu kontrollieren. "Die vergangenen Jahre haben uns harte Lektionen zu den Risiken zu großer Abhängigkeit erteilt", sagte Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrovskis mit Blick auf die Covid-19-Pandemie und Russlands Krieg gegen die Ukraine. Um die Offenheit der EU zu bewahren, müsse man diese Risiken angehen, sagt Dombrovskis.

Am weitesten geht die Kommission mit dem ersten Teil des Pakets, einer Reform der Verordnung zum Screening ausländischer Direktinvestitionen in der EU. Die gilt seit drei Jahren und sollte den Rahmen vereinheitlichen, um Investitionen ausländischer Akteure innerhalb der EU von staatlicher Seite zu prüfen und womöglich zu untersagen. Die - am Ende von Berlin genehmigte - Übernahme eines Hamburger Hafenterminals durch die chinesische Reederei Cosco ist dafür ein Beispiel.

In Zukunft soll jeder Mitgliedstaat Investitionen im Bereich kritischer Technologien überprüfen müssen. "Ein erheblicher Anteil der ausländischen Direktinvestitionen in der EU" gehe "nach wie vor in Mitgliedstaaten, die nicht über einen Screening-Mechanismus verfügen", heißt es in dem Vorschlag. Bislang verfügten nur 22 Mitgliedstaaten über solche Screening-Systeme auf nationaler Ebene. So blieben möglicherweise kritische Investitionen unerkannt.

Wann eine Investition als kritisch eingestuft wird, hängt demnach davon ab, ob sie die "Sicherheit oder öffentliche Ordnung" negativ beeinflussen kann, mit Blick etwa auf kritische Infrastrukturen wie beispielsweise die Breitbandversorgung oder Stromnetze. Künftig sollen auch Investitionen innerhalb der EU genauer in den Blick genommen werden, wenn der in einem EU-Land ansässige Investor von Akteuren in Drittstaaten kontrolliert wird.

Bei Investitionen von EU-Unternehmen im Ausland hält sich die Kommission noch zurück. Das umstrittene "Outbound Investment Screening", wie es von der Leyen bereits in ihrer China-Rede forderte, bleibt einstweilen ein Konzept ohne Gesetzesgrundlage. Im Sommer will die Behörde dazu Empfehlungen präsentieren. Daraufhin sollen die Mitgliedstaaten ein Jahr lang strategisch wichtige Wirtschaftsbereiche beobachten und Daten sammeln. Erst dann, also Mitte 2025, könnten konkrete EU-weite Maßnahmen folgen.

Ähnlich vorsichtig geht die Kommission beim Thema Exportkontrollen von Dual-Use-Gütern vor. Zwar sieht sie hier noch zu viele Lücken auf nationaler Ebene und hält einen einheitlichen Ansatz für geboten. Wie der aussehen könnte, soll aber zunächst ein "politisches Forum" klären, in dem sich die Mitgliedstaaten mit der Kommission beraten.

Im Herbst hatten die Beamten in Brüssel eine Liste mit 14 kritischen Technologien vorgelegt, von denen zunächst vier genauer untersucht werden sollten. Dazu gehören neuartige Halbleiter und Maschinen zu deren Herstellung, künstliche Intelligenz, Quantencomputer und -technologien sowie Biotechnologie. Die Ergebnisse wollte die Kommission ursprünglich bis Jahresende vorstellen, hat das aber jetzt auf Februar vertagt.

Der Grünen-Europaabgeordnete und China-Experte Reinhard Bütikofer hält die "Strategie der maßvollen Ambition", für die sich die Kommission entschieden habe, grundsätzlich für richtig. "Die Vorschläge, die jetzt auf den Tisch kommen, sind allerdings das bare Minimum dessen, was nötig ist", sagt er. Er halte ein Investment Screening auch bei Investitionen ins Ausland für nötig. Bis es das europaweit geben und bis die Kommission auch bei Exportkontrollen wie im Fall ASML mitreden könnte, wird aber noch viel europäisches Geld und Know-how nach China fließen.

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