Brexit-Entscheidung:Warum der Brexit weltweit den Wohlstand gefährdet

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Es ist nicht ausgeschlossen, dass aus dem Finanzzentrum London nun ein mächtiges Steuerparadies wird, das Geld aus anderen Ländern abzieht. (Foto: Bloomberg)

Das Votum beruht auf der Haltung: "Wir gegen die." Dabei hat die Staatengemeinschaft gerade erkannt, dass sie mit wirtschaftlicher Kooperation besser fährt.

Kommentar von Bastian Brinkmann

Natürlich herrscht jetzt erst mal Chaos, an den Finanzmärkten, in den Köpfen. Der Brexit stellt infrage, was jetzt aus Großbritannien wird, und was aus der EU. Hinter der knappen Entscheidung der Briten steht eine Mentalität. Sie heißt: "Wir gegen die." Das ist eine gefährliche wirtschaftspolitische Einstellung. Sie verheißt nichts Gutes für die britische Zukunft - und sie gefährdet weltweit Wohlstand.

Das klingt zunächst paradox. Denn "Wir gegen die" ist der Schlachtruf des Wettbewerbs, und der schafft bekanntlich den Wohlstand der Nationen, so zumindest die verkürzte Lesart. In der Tat lebt die moderne Marktwirtschaft davon, dass Firmen im Wettbewerb stehen und darum kämpfen, die besten Produkte möglichst billig anzubieten. Allerdings braucht diese Auseinandersetzung Spielregeln: Die Staaten müssen einen fairen Rahmen schaffen, in dem der Wettbewerb stattfindet.

Jahrzehntelang gab es aber ein Problem: Die Staaten ließen nicht ihre Konzerne gegeneinander antreten, sondern ihre Spielregeln. Am deutlichsten zeigt sich das im internationalen Steuerwettbewerb. Auf den ersten Blick erlangt ein Land einen Vorteil, wenn es seinen heimischen Firmen einen Steuerrabatt gewährt. Die können dann mehr investieren - und es zieht neue Unternehmen an, die sich in dem Land ansiedeln.

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Bei den Steuern geriet dieser Wettbewerb allerdings außer Kontrolle. Mitte der 80er-Jahre mussten Konzerne in Industriestaaten noch rund 40 Prozent ihrer Gewinne versteuern. Der Wert hat sich bis heute fast halbiert. Das zeigt eine Studie des Internationalen Währungsfonds, die auch deutlich macht, warum das passiert ist: Alle Staaten haben sich gegenseitig nach unten gezogen, sich immer wieder mit niedrigen Steuersätzen unterboten - bis Steueroasen nur noch null Prozent verlangten.

Draufgezahlt haben die Bürger, die selbst mehr Steuern zahlen und mit weniger Lehrern und schlechteren Straßen leben müssen. Und auch für die Steueroasen hat sich die Entwicklung in der Regel nicht gelohnt: Viele karibische Offshore-Paradiese nehmen erst das Geld der deutschen Reichen und bekommen dann noch Entwicklungshilfe von deutschen Steuerzahlern, weil die Nullsteuern nicht reichen, um die Staaten zu finanzieren. Der Steuerwettbewerb kennt nur Verlierer.

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Die fünftgrößte Volkswirtschaft hat sich für Abschottung ausgesprochen

Erst vor Kurzem hat die Staatengemeinschaft erkannt: Das internationale Steueraufkommen könnte viel höher sein, wenn die Staaten zusammenarbeiten würden. Das Bankgeheimnis steht praktisch weltweit vor dem Aus, für Briefkastenfirmen wird das Geschäft erschwert. Als Nächstes sind die multinationalen Konzerne dran, die ihre grenzüberschreitenden Steuertricks offenlegen sollen. Diese Fortschritte funktionieren, weil alle zusammenarbeiten. Aber: Wenn nur ein Land ausschert, kann alles in sich zusammenfallen.

Darum ist die Brexit-Entscheidung so riskant für den weltweiten Wohlstand. Sie könnte die internationale wirtschaftspolitische Debatte enorm zurückwerfen. Die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt hat gerade allen anderen Ländern zugerufen: Wir setzen lieber auf "Wir gegen die" als auf Kooperation. Diese Ideologie der Abschottung hat Steueroasen groß gemacht - und es ist nicht ausgeschlossen, dass aus dem Finanzzentrum London nun ein mächtiges Steuerparadies wird, das Geld aus anderen Ländern abzieht.

Das Prinzip Kooperation, es ist aber nicht nur auf Steuern begrenzt. Auch in der Handelspolitik ist es entscheidend, fair zusammenzuarbeiten, damit alle profitieren. Das heißt natürlich nicht, alle eigenen Interessen auszublenden. Selbstverständlich müssen Staaten in internationalen Verhandlungen egoistisch sein, mindestens ein bisschen. Die deutschen Verbraucher können froh sein, wenn die Europäer sich in den Verhandlungen mit den Amerikanern über das Freihandelsabkommen TTIP in vielen Punkten durchsetzen, wie die TTIP-Papiere gezeigt haben. Doch in manchen Punkten ist der Verbraucherschutz in den USA sogar strenger als in Europa. Es wäre also besser für alle, wenn sich nicht nur die Europäer oder nur die Amerikaner durchsetzen. Gemeinsam geht es besser.

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