Automobilindustrie:ZF Friedrichshafen muss sparen

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ZF Friedrichshafen verdient sein Geld mit Technik für Pkw, Lkw, Nutzfahrzeuge, Industrie und Baumaschinen. Gerade steckt der Konzern im größten Umbruch seiner Geschichte. (Foto: ZF)

Der weltweit drittgrößte Autozulieferer steigert seinen Umsatz, hat aber hohe Schulden. Firmenchef Holger Klein will deshalb jetzt sechs Milliarden Euro einsparen - mit unangenehmen Folgen für die Belegschaft.

Von Tobias Bug und Christina Kunkel

Am Bodensee gibt es keine Kekse mehr. Die Mitarbeiter von ZF Friedrichshafen müssen gerade aufs Geld schauen, sich Fragen stellen wie: Muss es sein, dass wir Gästen Gebäck reichen oder Kaffee ausschenken? Bestellen wir die neue Büroausstattung oder tut es die alte noch? Ist die Dienstreise zum Werk in die USA wirklich nötig? Brauchen die Angestellten diese oder jene Weiterbildung?

Die allermeisten dieser Fragen werden beim drittgrößten Automobilzulieferer der Welt am Bodensee derzeit mit einem klaren Nein beantwortet. Alle Mitarbeiter spüren den Sparzwang jeden Tag und sind zunehmend genervt davon, jede Ausgabe rechtfertigen zu müssen. Bei einigen leidet die Motivation, hört man aus der Belegschaft, andere springen selbst ein: Und bezahlen die Gästebewirtung aus eigener Tasche.

ZF Friedrichshafen hatte Anfang vergangenen Jahres 11,5 Milliarden Euro Schulden und eine jährliche Zinslast von einer halben Milliarde Euro zu tragen. Um die Verbindlichkeiten schneller abzubauen, hat der Vorstandsvorsitzende Holger Klein seiner Belegschaft kürzlich strenge Sparvorgaben gemacht. Insgesamt sechs Milliarden Euro, so will es Klein, muss der Konzern in zwei Jahren einsparen. Fast jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland könnte den Sparmaßnahmen zum Opfer fallen. Viele Mitarbeiter sind verunsichert, hört man aus dem Betriebsrat, vom Vorstand erwarten sie einen konkreten Zukunftsplan für ZF. Wo soll es hingehen und wie?

"Insgesamt ist das ein zufriedenstellendes Ergebnis"

Auch die guten Jahreszahlen, die der Vorstand am Donnerstag digital verkündete (eine Pressekonferenz vor Ort mit Kaffee und Keksen war wohl zu teuer), kaschieren die Sorgen am Bodensee nicht: In allen Bereichen erreichte der Zulieferer mit seinen Antrieben und Technologien für Pkws, Nutzfahrzeuge und Industrie das obere Ende der Zielprognosen. Der Umsatz stieg um 6,5 Prozent auf 46,6 Milliarden Euro, die Umsatzrendite auf 5,1 Prozent. "Insgesamt ist das ein zufriedenstellendes Ergebnis", sagt ZF-Chef Klein bei der Präsentation, "das aber kein Grund ist, sich auszuruhen." Der Chef will den Stiftungskonzern, dessen größter Anteilseigner die Stadt Friedrichshafen ist, "wettbewerbsfähig in schwächelnden Märkten" machen.

Trotz eines guten Geschäftsjahres hat ZF-Chef Holger Klein seinem Autozulieferer ein strenges Sparziel verpasst. (Foto: Markus Altmann/ZF)

Klein, der erst seit gut einem Jahr die Geschäfte am Bodensee leitet, konnte 2023 Schulden abbauen und die Verbindlichkeiten unter die Zehn-Milliarden-Marke drücken. Dafür stoppte er das einstige Prestigeprojekt, die Entwicklung eigener autonomer Shuttles. Für die Achsenfertigung ist er ein Joint Venture mit Foxconn eingegangen, aus der Laserscanner-Technologie Lidar ist er ausgestiegen, und das Airbag-Geschäft gliedert er gerade aus.

Das laufende Jahr, sagt Klein, werde "wirtschaftlich sehr schwierig". Der Automarkt in Europa wächst zwar wieder, ist aber noch weit vom Vor-Pandemie-Niveau entfernt, ähnlich ist es in den USA und der chinesische Markt ist wegen der dortigen einheimischen Konkurrenz umkämpft. Dazu kommen hohe Zinsen, teure Energie, Inflation und die geopolitischen Konflikte.

ZF steckt wie alle Zulieferer in der Krise

So steht der Konzern auch symbolisch für die Krise der Zuliefererindustrie. Dort waren die Gewinnmargen schon immer kleiner als bei den Herstellern, die gerne auch die Preise drückten, besonders in der Corona-Pandemie, als viel weniger Autos gebaut wurden. Allerdings rächt sich bei vielen Zulieferern jetzt auch, dass sie in entscheidende Zukunftstechnologien entweder gar nicht erst einstiegen oder von großen Tech-Konzernen abgehängt wurden. Beim autonomen Fahren setzen die Hersteller immer weniger auf ZF, Continental oder Bosch, sondern auf neue Player wie Mobileye oder Horizon Robotics. Auch die Entscheidung, nicht in die Batteriezellfertigung zu investieren, dürfte mancher Zulieferer heute bereuen. Die Frage, welche Rolle deutsche Zulieferer in Zukunft spielen werden, ist also durchaus berechtigt - und wie viele Menschen es dafür braucht.

ZF steckt in der größten Transformation seiner Geschichte. Auf dem Weg in die Elektromobilität vermag es Klein offenbar nicht, seine Belegschaft mitzunehmen. Die Worte, mit denen der Chef im Februar seinen Mitarbeitern die Einsparungen von sechs Milliarden Euro erklärt, klingen wenig begeisternd, mehr technisch als visionär: "Wir haben zwei Jahre Zeit, um unsere Strukturen und Prozesse zu optimieren, und damit unsere Organisation wettbewerbsfähig und bereit für die Transformation zur E-Mobilität zu machen", schreibt Klein in der Mitteilung, die der SZ vorliegt. Der Plan: ZF will günstiger Material einkaufen, sich Investitionen verkneifen, Kosten für Forschung und Entwicklung und für die Verwaltung kürzen, die Werke produktiver machen. Auch die Einnahmen sollen steigen - in anderen Worten: Seinen Lieferanten will ZF weniger zahlen und von seinen Kunden mehr für die eigenen Produkte verlangen. Der Betriebsrat ist skeptisch, ob das klappt - und er ist alarmiert.

Denn was Klein in der Mitteilung nicht anspricht, ist der Personalabbau. Ende des Jahres schließt ZF sein Werk in Gelsenkirchen, Ende 2027 den Standort Eitorf. In sechs Jahren könnte der Konzern 12 000 der 56 000 Stellen in Deutschland gestrichen haben, diese Zahl hat der Vorstand den Arbeitnehmervertretern vorgelegt, mit dem Hinweis: So viele Mitarbeiter gehen freiwillig, ohne dass sie auf der Straße stehen, durch Verrentung, Altersteilzeit, Aufhebungsverträge. Wo ZF zuvor zwei Mitarbeiter brauchte, um Verbrennergetriebe zusammenzuschrauben, benötigt es für den Elektromotor angeblich nur noch einen. ZF schult Mitarbeiter um, aber nicht in dem Ausmaß wie etwa VW. Beim Konzern heißt es, dass nicht aus jedem Getriebemonteur ein guter Elektroniker oder Bremstechnik-Spezialist werde.

Immerhin: Die Arbeitnehmervertreter sehen es als Anerkennung, dass die 50 000 Tarifmitarbeiter in Deutschland trotz aller Sparzwänge eine Umsatzbeteiligung von 1000 Euro für 2023 bekommen. Im Vergleich dazu, was Mercedes und Porsche auszahlen, ist die Prämie ein Witz.

Viele neue Technologien fertigt ZF im Ausland

Der Vorstand unternehme nicht genug, um die Beschäftigten an den deutschen Standorten zu halten, findet der Betriebsrat. Hightech-Technologien, heißt es bei ZF, wolle man weiterhin hierzulande ansiedeln und nur die Massenfertigung ins Ausland schicken, wo man weniger für Arbeitskräfte und Energie zahlen und nicht so viele Formulare ausfüllen muss. Aus Betriebsratskreisen erfährt man, dass innovative Elektroachsen für große deutsche Autohersteller tatsächlich zuerst hierzulande produziert würden. Allerdings nur in kleinen Stückzahlen, um Erfahrungen zu sammeln. Später würden die Achsen im serbischen Pančevo gefertigt, hört man. Dort finde die eigentliche Wertschöpfung statt.

Auch bei anderen Zulieferern läuft nicht alles rund: Bosch baut 7000 Stellen ab, Continental muss 400 Millionen Euro sparen und 1750 Stellen streichen. Dass ZF soviel mehr sparen muss, liegt an zwei teuren Zukäufen: Vor neun Jahren hat ZF den amerikanischen Konzern TRW für 12,4 Milliarden Euro geschluckt, seine Verbindlichkeiten aber bis 2019 zum Großteil abgebaut und auch dank des TRW-Umsatzes mit Scheibenbremsen, elektrischen Lenksysteme und Sicherheitsgurten refinanziert.

Davon beflügelt übernahm ZF im Mai 2020 für rund sieben Milliarden Euro den Nutzfahrzeugspezialisten Wabco aus den USA, auch, um sich weniger abhängig vom Pkw-Geschäft zu machen und auf dem margenstärkeren Lkw-Markt zu etablieren. Es war eine schwierige Zeit, um groß einzukaufen: Gerade hatte die Corona-Pandemie begonnen, die Nachfrage nach Fahrzeugen aller Größen war eingebrochen. Mit den Akquisen von TRW und Wabco hat sich ZF zu einem Riesenkonzern aufgeplustert, der heute weltweit rund 169 000 Menschen beschäftigt. Unter den Mitarbeitern gibt es einige, die meinen, dass ZF die beiden Konzerne nicht hätte übernehmen sollen.

Zum 100-jährigen Jubiläum hat der Konzern sich das ZF Forum in Friedrichshafen geschenkt, wo seit 2016 der Vorstand und ein Museum zu Hause sind. Die fetten Jahre sind allerdings vorbei. (Foto: Felix Kaestle/ZF)

Ist also die jüngere Historie von ZF die einer Selbstüberschätzung? Chef Klein, der die Zukäufe nicht zu verantworten hat, sieht das anders. "Die Übernahmen waren werthaltig und haben uns zum größten Zulieferer für Nutzfahrzeuge gemacht." Die Schulden würde er natürlich gerne schneller abbauen, als es derzeit möglich sei. Deswegen brauche es das "strenge Kostenregime".

Mit der Sechs-Milliarden-Einsparung will ZF sein Investitionsprogramm von 18 Milliarden Euro für die kommenden drei Jahre sichern. Bis zu 30 Prozent will der Konzern hierzulande ausgeben, sofern die Kosten sinken. Investitionen in Elektromobilität, Fahrgestelle und Computer sollen das Rückgrat bilden. ZF industrialisiert seine Elektroaufträge, bündelt seine Fahrwerksysteme, im Saarland baut es eine neue Fabrik für Stromsparchips, sein Getriebewerk in South Carolina ertüchtigt ZF für fast eine halbe Milliarde Euro. Und der einstige Getriebe- und Fahrwerkspezialist baut ein neues Geschäftsfeld für Bordcomputer auf, die künftig die Dutzenden Steuergeräte in Fahrzeugen ersetzen sollen - nicht nur in Pkws, sondern auch in Lkws, Mähdreschern und Bussen.

Um sich all das leisten zu können, heißt es nun erst mal sparen bei ZF. Die Mitarbeiter leiden darunter, und wünschen sich mehr Orientierung vom Vorstand um Klein. Der brütet gerade über einer neuen Strategie, spruchreif ist noch nichts. Doch sollen seine Mitarbeiter ja nicht ewig jeden Cent umdrehen müssen. Noch weiß keiner, wann es wieder Kekse gibt am Bodensee.

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