Druckgraphik:Im Hausgarten

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Bildschön: Abbildung aus "Deutschlands Kernobstsorten" von Lexa von Aehrenthal aus dem Jahr 1837. (Foto: Technische Universität Berlin, Universitätsbibliothek, Deutsche Gartenbaubibliothek)

Biodiversität vor 200 Jahren: Historische Darstellungen von Obst sind ein besonders sinnliches Feld der Kunst, jährlich gibt es neue prächtige Bildbände. Ein Ausflug in die Welt der Pomologen.

Von Anne Goebel

Immerhin Fasanenstraße, das klingt nach ein wenig Grün, auch wenn weit und breit nichts mehr zu sehen ist von dem Vogelgehege, das Friedrich der Große hier einst anlegen ließ. Hausnummer 88: Zentralbibliothek der Technischen Universität Berlin, ein massiger Quader mit fünf Geschossen und vernünftiger Backsteinfassade. Wer würde hinter dieser technokratisch wirkenden Fensterfront Menschen vermuten, die seltenste Pflänzchen hegen und pflegen? Sich um das richtige Licht sorgen, die Feuchtigkeit regulieren und vor allem: die Schönheit der Früchte und Blätter immer wieder bewundern. Geschieht täglich in der Deutschen Gartenbaubibliothek, erster Stock, ganz hinten. Dass die Gewächse hier nur auf Papier existieren, ändert gar nichts. Im Gegenteil. Dafür braucht man besonderes Feingefühl.

Verabredung mit Professor Clemens Alexander Wimmer, Gartenhistoriker und Leiter der Bibliothek. Wimmer ist Herr über mehr als 55 000 Bände zu jedem erdenklichen Aspekt der Pflanzenkultivierung, von Handbüchern zur Klimaforschung bis zur Abhandlung über den Park der Königin Marie-Antoinette. Und vor allem ist der Berliner mit zierlicher Goldrandbrille ein leidenschaftlicher Kenner alter pomologischer Abbildungen, womit der erste Spezialbegriff im Raum steht. Pomologie, die "Lehre von den Obstsorten": Der 63-Jährige gibt Besuchern zum Glück geduldig Auskunft, denn es ist, das wird auf den ersten Blick klar, schon ein sehr spezielles kleines Reich in dieser abgetrennten gläsernen Klause. Karteikästen und stapelweise Gartenbücher stehen im Weg, auf den Regalen liegen lose Ausgaben der Rosen-Zeitung neben dem "Sortenratgeber Feingemüse" von 1968. Blumenfreunde nennt man hier "Blumisten". Doch das Allererstaunlichste ist, die Welt von Clemens Alexander Wimmer ist keineswegs altertümlich, sondern hochaktuell. Auf Instagram und Snapchat, als Muster sündteurer Designertapeten oder in Bildbänden: Botanische Illustrationen vergangener Jahrhunderte, diese graziösen, unglaublich detailreichen Äpfel, Birnen oder flaumigen Hausquitten finden neuerdings viele nicht verstaubt, sondern frisch.

Im Streifenlook: Eine dekorative Birnensorte, Darstellung aus einem belgischen Gartenbau-Journal von 1888. (Foto: TU Berlin, Universitätsbibliothek, Deutsche Gartenbaubibliothek)

Es geht also darum, mit dem Fachmann über diese Faszination zu sprechen, wobei Wimmer als Historiker vergängliche Phänomene der Gegenwart großzügig links liegen lässt. Schon möglich, dass schicke Bücher existieren (etwa "265 Vintage Botanical Illustrations" von Kale James) oder der edle britische Textilhersteller Cole&Son ein Orangendekor aufgelegt hat. "Aber jetzt wollen wir etwas ansehen", sagt Wimmer und nähert sich mit erwartungsfroher Feierlichkeit einem steingrauen Rollwägelchen, das sein Mitarbeiter vorbereitet hat. Lieferung aus der Abteilung "Rara", wo im fensterlosen Tiefgeschoss der Bibliothek bei schonender Temperatur und Feuchtigkeit die pomologischen Kostbarkeiten lagern. Berühmte Werke, in denen Meister wie Johann Herman Knoop oder der italienische Graf Giorgio Gallesio vor mehr als 200 Jahren mit Ausdauer, Präzision und unverwechselbarem Strich die Früchte aus dem Garten des Herrn schön der Reihe nach zu Papier brachten. Draußen vor den Bibliotheksfenstern geht kalter Berliner Regen nieder. Bei den Pomologen mit ihren Bildern ist immer Spätsommer, ein sonniger Septembertag voller schwerer Zweige mit Gravensteinern oder gelben Pflaumen. Und nie wird etwas davon faulig.

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Eine Augenweide sind vor allem die handkolorierten Drucke des Barons Lexa von Aehrenthal, der in den 1830er-Jahren "Deutschlands Kernobstsorten" so realistisch darstellte, die Schale mal zart, mal ledrig und sogar mit bräunlichen Schorfflecken, dass man am liebsten hineinbeißen würde. Viel lieber als in die gewachste Supermarktware, bei Lexa gibt es noch Sorten wie "Wintergoldreinette" und "Königsapfel von Jersey". Clemens Alexander Wimmer hält Einzelheiten wie etwas verdorbenes Fruchtfleisch oder mal ein winziges Insekt auf den Bildern nicht für individuelle Einfälle der Künstler. "Verspielt ist da gar nichts", sagt er. Vielmehr gehe es um möglichst getreue Dokumentation. Die frühen Pomologen sahen sich als Aufklärer, die Wissen katalogisierten und eine Frucht meistens in verschiedenen Ansichten und Schnitten wiedergaben.

Dabei gelangen ihnen Kunstwerke, die gerade wegen der Kombination aus Detailfreude und systematischer Ordnung ihren Reiz haben - und ihren Preis. Wimmer hält beim Umblättern der schweren Papierseiten immer wieder inne. "Diese Farbnuancen, das ist einmalig", sagt er, oder deutet auf die besonders harmonische Komposition eines Birnenarrangements. Ob es so etwas wie die Blaue Mauritius der Pomologie gebe, eine kostbare Trophäe? "Es gibt solche Blätter, und manchmal tauchen sie im Handel auf", sagt Wimmer. Aber die Preise könnten nur Bieter wie etwa der Emir von Katar bezahlen. "Heute müssen Sie an den Persischen Golf reisen, um diese Originale zu sehen." Das Motiv der niemals versiegenden Fruchtbarkeit, ersteigert für sehr viel Geld - das passt auf schräge Weise ziemlich gut zu dem Emirat mit seinen künstlichen Inseln und bewässerten Grünflächen.

Pomologie, die Lehre von den Obstsorten, ist abgeleitet von dem lateinischen Wort "poma", Baumfrucht. Hier das Titelblatt einer akademischen Abhandlung von 1793. (Foto: TU Berlin, Universitätsbibliothek, Deutsche Gartenbaubibliothek)

Dabei muten die historischen Bilder von Äpfeln, Birnen und Mirabellen ja eigentlich häuslich an, irgendwie beruhigend bodenständig und trotzdem hübsch. Wahrscheinlich sind pomologische Nachdrucke genau deshalb so erfolgreich, ob als leinengebundener Prachtband im Taschen-Verlag ("The Book of Citrus Fruits") oder bei Atelier Editions, die gerade den "Illustrated Catalog of American Fruits & Nuts" herausgebracht haben. Die Faszination liegt in der Vorstellung von einer kleinen, geordneten, nützlichen Welt, ganz so wie ein Obstgarten eben - obwohl oder gerade weil der Alltag vieler Menschen das genaue Gegenteil ist, kompliziert, unsicher, überfordernd. Es geht nicht darum, dass plötzlich jede Menge Leute auf Apfelbauer umsatteln wollen. Aber diese Art von Bildern scheinen eine Sehnsucht zu stillen nach Übersichtlichkeit und Zeit für Sorgfalt. So wie das Phänomen Cottagecore kein bisschen mit echtem Landleben zu tun hat, sondern sich schmutz- und geruchlos auf Tiktok abspielt.

Wer nur halbwegs eintaucht in die Materie des Obstanbaus, seiner Geschichte, Kultivierung und künstlerischen Darstellung, ist überrascht von der Vielfalt der Organisationen und Bulletins. Neben der Deutschen Gartenbaubibliothek gibt es den Pomologen-Verein oder den Arbeitskreis Orangerien in Deutschland, die Vereinsmitteilungen heißen "Zitrusblätter" oder "Zandera", in Anlehnung an den Botaniker Robert Zander. Man kennt sich untereinander und weiß zum Beispiel, dass Clemens Alexander Wimmer aus Berlin eine besondere Beziehung zur "Bollweiler Birne" hat, die seit dem Jahr 2014 sein botanisches Kürzel C.A.Wimm. im Namen trägt. Und in München pflegt Iris Lauterbach ihre Begeisterung für die immergrünen Sehnsuchtspflanzen der Deutschen: Orangen und Zitronen.

Die Spezialistin für Gartenkunst, die am Zentralinstitut für Kunstgeschichte lehrt, hat vergangenes Jahr das Großwerk des Nürnberger Kaufmanns Johann Christoph Volkamer in einem Nachdruck herausgegeben: eine ab 1708 veröffentlichte Kupferstich-Sammlung von 170 Zitrussorten, die Volkamer sich aus allen Teilen der Welt schicken ließ und den widrigsten Klimabedingungen zum Trotz in seinem fränkischen Garten kultivierte. Noch so eine verrückte Geschichte aus der erstaunlichen Welt der Pomologen. Die Beschäftigung mit dem fast schon besessenen Zitronen-Kaufmann jedenfalls hat Iris Lauterbach zum einen in ästhetischer Hinsicht fasziniert. Volkamer gab den beauftragten Kupferstechern nämlich vor, die Früchte in Originalgröße darzustellen. Auf den Abbildungen schweben sie wie bizarr geformte, großporige Riesengebilde hoch über den winzigen Stadt- und Gartenszenerien.

Auch die enorme Vielfalt der damals bekannten Zitrusfrüchte, von der Pomeranze bis zur gestreiften Orange habe sie in Erstaunen versetzt, so Lauterbach. "Das sollte heute ohnehin für jeden, der sich mit Obstanbau beschäftigt, ein grundsätzliches Anliegen sein: die Biodiversität zu erhalten", findet sie. Ganz abgesehen von den geschmacklichen Entdeckungen im Rahmen des Buchprojekts. Ein Salat aus frischen Zedrat-Zitronen zum Beispiel. "Ganz fein geschnitten, mit Salz und Olivenöl. Das schmeckt so wunderbar, das vergessen Sie nie wieder."

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