Spanien besiegt Frankreich 2:0:Wie gelangweilte Tischtennisspieler

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Sechs Spielgestalter, kein echter Stürmer: Höchst unaufgeregt erreicht Titelverteidiger Spanien das EM-Halbfinale. Beim 2:0 gegen Frankreich zermürben die Spanier ihre Gegner mit endlosen Ballstafetten - die Franzosen können nicht mal besonders traurig sein, dass die EM für sie vorbei ist.

Carsten Eberts und Jürgen Schmieder

Am Sonntagmorgen schaffte es die kleine niedersächsische Stadt Wolfsburg mal wieder in die spanischen Medien. "Xabi schießt Madrid an die Spitze der EM-Torschützenliste", titelte die Madrider Zeitung Marca, zeigte dazu ein Bild des Mittelfeldstrategen Xabi Alonso, der Spanien am Samstagabend mit seinen beiden Toren gegen Frankreich ins Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft geschossen hatte.

Sieben Tore haben die Profis von Real Madrid bei der EM nun erzielt - und damit endlich die Spieler des VfL Wolfsburg überholt. Grund zur Freude? Aber natürlich. Marca ist schließlich das Hausblatt von Real Madrid, Alonso seit Jahren Angestellter der Königlichen, der in seinem 100. Länderspiel zudem noch ein Jubiläum feierte. Da kann das eigentliche Spiel schon mal in den Hintergrund rücken.

Wie unaufgeregt die Spanier mit der Leistung ihrer Fußballnationalmannschaft umgehen, ist durchaus bemerkenswert. Es ist schließlich nicht so, dass europaweit keine kritischen Stimmen laut werden: Weil die Spanier, von denen man eigentlich Fußball-Heldentaten erwartet, bei dieser EM unspektakulär agieren, sich kaum Torchancen erarbeiten, weit weniger aufregend spielen als in den Jahren zuvor. "Das war sehr schwierig heute, aber es ist die Elite Europas", erklärte Trainer Vicente del Bosque, "wir waren am Schluss etwas müde."

Im Gegensatz zu den Vorrundenspielen gegen Italien und Irland hatte sich del Bosque erneut für die Variante ohne echten Stürmer entschieden. Fernando Torres musste raus - dafür bot der Trainer mit Busquets, Xavi, Alonso, Silva, Iniesta und Fabregas gleich sechs Spielgestalter auf. Fabregas wurde von seinem Trainer noch am ehesten in Stürmerposition platziert.

Das führte zu großer Dominanz auf dem Spielfeld, jedoch kaum zu Torchancen. Die Spanier zeigten den Passweg Busquets-Xavi-Alonso-Silva-Fabregas-Iniesta in allen Varianten, wovon es rein mathematisch gesehen 720 gibt. Hin und wieder gelang es den Franzosen, den Raum auf Telefonzellengröße zu verkleinern, aber dann spielten die Spanier eben kurz auf diesem Quadratmeter weiter, dann gab es ein Zuspiel - und es folgte wieder eine der 720 Passvarianten.

Kaum eine dieser Varianten führte zielgerichtet in den Strafraum der gegnerischen Mannschaft, im Gegenteil: Es schien, als wäre es das Ziel der einen Passfolge, die nächste folgen zu lassen.

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zum Spiel

Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, schafften es die Spanier damit, die vor dem Turnier hochgehandelten Franzosen über fast 90 Minuten vom eigenen Tor fernzuhalten. In der ersten Halbzeit kam Yohan Cabaye dem spanischen Tor mit einem Freistoß aus 25 Metern recht nahe (32.). Später wuselte sich Franck Ribéry auf der linken Seite erfolgreich durch, scheiterte jedoch an Spaniens Keeper Iker Casillas (70.). Mehr Chancen ließen die Spanier nicht zu. Über 90 Minuten.

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deutsches Trainers in Bildern

Selbst machten sie es besser. Schon in der 19. Minute setzte sich Valencias Jordi Alba auf der linken Seite durch, die Frankreichs Trainer Laurent Blanc extra noch verstärkt hatte und flankte in den Rücken der Abwehr. Dort rauschte Alonso heran und wuchtete den Ball mit dem Kopf ins linke Eck. "Er weiß immer genau, wo er hinspielen muss, hat einen großen Teamgeist und auch offensive Qualitäten, wie die zwei Tore unterstreichen", lobte Trainer del Bosque seinen Strategen.

Das Spiel war für die Franzosen damit praktisch gelaufen. Wie hatte es Thomas Müller vor wenigen Tagen im SZ-Interview so schön gesagt? "Das Problem bei Spanien ist: Gegen die hast du zwar Raum, aber keinen Ball." Der Psycho-Fußball der Spanier mit ihrer beeindruckenden Ballsicherheit zermürbte auch die Franzosen.

So spielte Frankreich in den verbleibenden 70 Minuten durchaus mit, zu gefährlichen Aktionen kam das Team jedoch kaum. Die Spanier wirkten wie ein herausragender Tischtennisspieler, der gelangweilt die Schläge des Gegners zurückspielen in der Gewissheit, ohnehin keinen Fehler zu machen. Und am Ende mit einem guten Schlag den Punkt gewinnen zu können. In der Nachspielzeit traf Alonso noch per Elfmeter zum 2:0 (90.+1).

Und die Franzosen? Waren am Ende gar nicht so unzufrieden mit sich selbst und ihrer Leistung. "Wir sind seit sechs Jahren nicht mehr ins Viertelfinale gekommen", erklärte Franck Ribéry: "Wir sind traurig, aber es ist eben Spanien." Auch Alou Diarra sagte: "Die Mannschaft macht Fortschritte. Über dieses Spiel werden wir mal sagen, dass es der französischen Mannschaft viel gebracht hat."

So erhielt auch ein kleiner Eklat nach dem Spiel kaum größere Aufmerksamkeit in der französischen Presse. Samir Nasri, der zuvor auch in den Kabinenzwist mit Teamkollege Ben Arfa involviert gewesen war, beschimpfte einen Journalisten nach dem Spiel als "Hurensohn". Wie sich herausstellte, war Nasri zuvor von seinem Gesprächspartner jedoch ebenfalls massiv beleidigt worden. Ihm sollte vom Verband kein großes Nachspiel drohen.

Vielmehr ging es um die Zukunft von Laurent Blanc. Die ließ der Trainer nach dem EM-Aus ausdrücklich offen. "Wir müssen alles im Detail analysieren", sagte Blanc in Donezk und kündigte Gespräche für die "kommenden Tage" an. Sein Vertrag läuft nach Ende des Turniers in Polen und der Ukraine aus. Nicht wenige wünschen sich, dass Blanc noch ein wenig bleibt.

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