Sportfilme beim DOK.fest München:Lebensträume

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Eine Frau in der Männerdomäne Motorsport: Formel-3-Fahrerin Sophia Flörsch. (Foto: Thomas Füssler/Eibner/Imago)

Drei Filme, die beim DOK.fest München zu sehen sind, beleuchten auf ganz unterschiedliche Weise die Sportkarrieren ihrer Protagonisten - mal laut, mal nachdenklich, mal schmerzhaft. Vom Scheitern und Aufstehen im Hochleistungsbetrieb.

Von Anna Dreher, Felix Haselsteiner und Sebastian Winter

Das DOK.fest München zeigt noch bis 21. Mai 130 internationale Dokumentarfilme aus 55 Ländern. Darunter sind auch einige Produktionen, die wohl am ehesten unter dem Titel "Sportfilm" laufen - in denen es aber um weitaus mehr geht als nur den Sport. Sie handeln von einer Rennfahrerin aus München, die versucht, in einer mit Testosteron überladenen Männerdomäne an die Spitze zu kommen - und die dafür ihr Leben riskiert. Von einer österreichische Wintersport-Kaderschmiede, in der nur die Leistung zählt und die Athleten an ihre Grenzen kommen. Und von einer Leichtathletin, die Gold bei den Paralympics gewinnt - und später aktive Sterbehilfe in Anspruch nimmt.

Eine wie keine

Ein einziges Rennen hat das Leben von Sophia Flörsch extrem verändert. Plötzlich war die Motorsportlerin aus München auf der ganzen Welt bekannt, aber nicht, weil sie sensationell zum Sieg gefahren wäre, sondern weil sie im Finale der Formel 3 am 18. November 2018 in Macau einen spektakulären Unfall hatte: Sie hob mit ihrem Auto rückwärts vom Asphalt ab - und schlug mit gut 250 Stundenkilometern in mehreren Metern Höhe in die Streckenbegrenzung ein. Elf Stunden muss sie danach operiert werden.

Mit diesen Szenen beginnt "#Racegirl - Das Comeback der Sophia Flörsch", mit der Dramatik jener Tage. Doch es geht um das, was folgt. 106 Tage nach dem Crash sitzt Flörsch für Testfahrten wieder in einem Rennwagen. "Für mich ist der Sport alles", sagt sie. "Wenn ich aufhören muss, muss ich schauen was ich dann mache, aber es wird mich nie so erfüllen, wie wenn ich mit einem Auto über Rennstrecken fahre." Der Unfall hat sie verändert, sportlich zurückgeworfen, aber sie lässt sich nicht aufhalten.

Der Kampf um ein Cockpit, immer unterstützt von ihrer Familie und eng begleitet von ihrem Vater, geht weiter. Ihr Ziel ist die Formel 1. Der Weg dorthin ist lang und hart, erst recht als Frau in einer Männerdomäne, extrem kostspielig und nicht zuletzt von politischen Entscheidungen beeinflusst. Die Dokumentation von Regisseurin Sonja Otto, die ihr Debüt feiert, gibt viele Einblicke, sie zeigen, was es heißt, sich im Motorsport zu behaupten. Flörsch lässt die Zuschauer nah heran, nimmt sie mit ins Training, zu Rennwochenenden und den ständigen Verhandlungen und Gesprächen mit Rennställen in unterschiedlichen Motorsportserien. Frust, Erschöpfung, Freude, Erleichterung - all die Emotionen gibt sie preis. Und es wird klar, was Flörsch motiviert: Sie will es allen zeigen.

"#Racegirl - Das Comeback der Sophia Flörsch", Deutschland 2023, Sonia Otto, 95 Min., OmeU; 6. Mai, 18 Uhr, Deutsches Theater; 9. Mai, 18.30 Uhr, HFF - Kino 1; 12. Mai, 18 Uhr , Rio 1

Die Stille in Stams

Gehört in Stams auch zur Grundausbildung: Huckepacktragen die Schanze hinauf. (Foto: Panama Film / oh)

Es ist die Stille, die aus "Stams" in Erinnerung bleibt. Ein Jahr lang hat sich Bernhard Braunstein Zeit genommen, um die Vorgänge am berühmtesten österreichische Skigymnasium im kleinen Tiroler Ort Stams mit der Kamera zu begleiten. Herausgekommen sind 97 Minuten Dokumentation, die Zuschauerinnen und Zuschauer mitnehmen auf eine Ebene des Spitzensports, die nur selten im Fokus steht.

Braunstein hat dabei meisterhaft darauf verzichtet, zusätzlich zu dramatisieren, was ohnehin schon Drama ist: Die Protagonisten des Films, die jungen Athletinnen und Athleten im Nachwuchs des Österreichischen Skiverbands, kommen nicht in Interviews zu Wort, es gibt keine Filmmusik, keine Erzählerstimme. Braunstein setzt ganz auf die Kraft der Bilder, die Worte, die die jungen Leute untereinander wechseln und dank derer man ihnen viel näher kommt als auf irgendeine Art und Weise - und nicht zuletzt setzt er auf die Geräuschkulisse.

Das kalte Rattern der Skier auf den Skisprungschanzen bei Eiseskälte bleibt so in Erinnerung, die manchmal lautstarken, manchmal feinfühligen Ansprachen der Trainer, das erschöpfte Ausatmen nach dem Training am Springbock. Vor allem lässt der Film die nachdenkliche Stille zu, in der man als Zuschauer vielleicht am ehesten verstehen kann, was es bedeutet, auf einem Internat zu leben: umgeben von Freunden und Konkurrenten und doch immer wieder gefangen im Kreislauf der eigenen Gedanken, die als Nachwuchssportler meist um eine unsichere Zukunft kreisen.

Stams will keine Dokumentation sein darüber, was im von Missbrauchsskandalen geprägten Skigymnasium früher falsch lief, auch nicht darüber, warum der österreichische Skisport den Anschluss verloren hat an andere Nationen. Stattdessen ist er ein einfühlsamer Einblick in das Leben junger Menschen, die auf der Suche nach sich selbst sind und hoffen, dass sie die Antworten auf Skisprungschanzen und Skipisten finden.

"Stams", Österreich 2023, Bernhard Braunstein, 97 Min.; 10. Mai, 20.30 Uhr, Pasinger Fabrik; 13. Mai, 18.30 Uhr, Neues Rottmann

Ein selbstbestimmtes Leben

Große Kämpferin: Para-Leichtathletin Marieke Vervoort. (Foto: Belga/Imago)

Schon die ersten Sekunden des Films "Addicted to life" berühren - und sie sind unendlich schmerzhaft. Die Hauptdarstellerin Marieke Vervoort, eine belgische Rollstuhlleichtathletin, sitzt da müde im Videocall und antwortet auf die Frage, wie es ihr geht: "Jeder nervt mich und fragt mich, wann ich denn nun sterben werde. Ob ich schon das Datum kenne, an dem ich sterben werde. Ihr könnt mich alle mal. Ich sterbe, wenn ich bereit dazu bin."

Vervoort leidet seit ihrem 14. Lebensjahr an fortschreitender Tetraplegie, verbunden mit wiederkehrenden kaum erträglichen Schmerzen und epileptischen Anfällen. Dennoch wird sie dreimal Weltmeisterin, 2012 in London und 2016 in Rio gewinnt sie außerdem vier olympische Medaillen über 100, 200 und 400 Meter, einmal davon Gold. Nach ihrem letzten Rennen in Rio, bei dem sie sich zu Bronze kämpft, obwohl sie sich zuvor im letzten Training bei einem Unfall das Brustbein gebrochen hatte, hält Vervoort ein berührendes Plädoyer für die aktive Sterbehilfe - und tritt vom aktiven Leistungssport zurück.

Aktive Sterbehilfe ist in Belgien erlaubt, 2008 hat Vervoort selbst die entsprechenden Papiere unterzeichnet, um sie in Anspruch nehmen zu können. Irgendwann einmal, wenn es nicht mehr geht. Damals plagen die damalige Para-Triathletin, die es bis zum Ironman nach Hawaii geschafft hat, Suizidgedanken - weil sie ihren Sport wegen ihrer Krankheit nicht mehr ausüben kann.

Regisseurin Pola Rapaport wagt sich schmerzhaft nah an Vervoort heran, hält aber die Balance zwischen den traurigen und auch schönen und humorvollen Momenten, die es immer wieder gibt. Sie zeigt eine beeindruckend mutige, starke, stolze Frau, die sagt, dass sie jegliche Angst vor dem Sterben abgelegt hat. Die einfach weitermachen will, ob beim Bungee-Jumping im Rollstuhl oder als Beifahrerin im Profi-Rennwagen. Und die dann ganz selbstbestimmt die wohl schwierigste Entscheidung ihres Lebens trifft.

"Addicted to Life", Belgien, USA 2022, Pola Rapaport, 86 Min., OmeU; 6. Mai, 16 Uhr, Neues Rottmann; 9. Mai, 21.30 Uhr, Neues Rottmann; 11. Mai, 20 Uhr, Rio 2

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