Schachtar Donezk:Nomaden im Überlebensmodus

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Ein Schal von Schachtar Donezk hängt über einer Brüstung vor dem Hamburger Volksparkstadion, wo der ukrainische Meister seine Champions-League-Gruppenspiele austragen wird. Seit dem Einmarsch russischer Truppen auf der Krim im Jahr 2014 kann Schachtar nicht mehr im eigenen Stadion spielen. (Foto: Hanno Bode/Imago)

Russland hat Schachtar Donezk die Heimat und das Stadion geraubt - nun wird der ukrainische Serienmeister seine Champions-League-Heimspiele in Hamburg bestreiten. Ein Telefonat mit Geschäftsführer Sergei Palkin.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Wer sich in Hamburg nach dem ukrainischen Serienmeister Schachtar Donezk umhört, stößt zuerst auf: Dankbarkeit. So ist das halt im Fußball, er löst banale Reflexe aus, und wo zeigt sich das deutlicher als bei über Jahrzehnte gewachsenen Rivalitäten? Die Hamburger jedenfalls haben diesen Gefallen nie vergessen, die gerade noch abgewendete Schmach im Jahr 2009: Damals gewann Schachtar im Uefa-Cup-Finale gegen Werder Bremen. Kaum auszudenken, wie furchtbar sich aus Hamburger Sicht ein gegenteiliges Ergebnis angefühlt hätte. Eine legendäre Papierkugel hatte seinerzeit dazu beigetragen, dass der HSV im Halbfinale an den Bremern gescheitert war, obwohl die Hamburger ja stets davon ausgehen, als größere der beiden Hansestädte hochüberlegen zu sein. Schachtar, so empfinden das die Hamburger, hat durch den Sieg über den Nordrivalen die gerechte Ordnung wiederhergestellt.

Dank für eine Art Hilfeleistung, ein geradezu furchtbares Szenario, Gerechtigkeit: Derlei Begriffe klingen doch sehr deplatziert, wenn man sie aus dem Fußball herauslöst und im Jahr 2023 in einen größeren Kontext setzt. Andererseits: Bei Schachtar Donezk haben sie nichts dagegen, dass das Hamburger Fußballpublikum ihrem Klub grundsätzlich mit viel Wohlwollen und Sympathie begegnet. Nicht, dass das in anderen deutschen Städten anders wäre, aber so eine Gewissheit ist viel wert, wenn man irgendwo zu Gast ist. Oder wie Schachtars Geschäftsführer Sergei Palkin, 48, das formuliert: "Wir waren sofort begeistert, als sich die Möglichkeit eröffnete, dort zu spielen. Die Stadt hat einen tollen Ruf, sie gilt als offenherzig und progressiv."

Was der Fußball leisten kann, findet Palkin, das soll er leisten

Hamburg, das Tor zur Welt. Ein guter Ort also für einen Fußballverein, der kein echtes Zuhause mehr hat, eine Organisation im Exil. Schachtar wird in dieser Saison seine Champions-League-Spiele im Hamburger Volksparkstadion austragen, los geht's an diesem Dienstag (21 Uhr) gegen den FC Porto. "Wir sind von tiefstem Herzen dankbar", sagt Palkin am Telefon. Er verzichtet auf funkelnde Pointen, er hat gelernt, sich zu beherrschen. Letztlich zählt auch das mittlerweile zu seinen Aufgaben: Wer in diesen Zeiten einen der prominentesten Klubs der Ukraine lenkt, ist auch eine Art Botschafter des Landes - und Palkin nimmt diesen Job sehr, sehr ernst. Der Einfluss des Sports auf den blutigen Angriffskrieg, dem sich die Ukraine ausgesetzt sieht, ist arg begrenzt, da macht er sich nichts vor. Aber was der Fußball leisten kann, findet Palkin, das soll er leisten.

Politische Symbolik: Zu Schachtars Spiel gegen Porto sind auch die (Wahl-)Hamburger Wladimir und Vitali Klitschko, Kiews Bürgermeister, sowie Bundeskanzler Olaf Scholz (v.l.) eingeladen. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Schachtar Donezk ist seit bald zehn Jahren heimatlos. 2014, als Russen erst auf die Krim und dann in den Donbass einmarschierten, schlugen Raketen in Schachtars Stadion ein. Seitdem führt der Klub eine nomadische Existenz, die ihn immer weiter nach Westen treibt: nach Charkiw, Lwiw, Kiew; zuletzt trug Schachtar seine Europapokalspiele in Warschau aus - und nun eben in Deutschland. Beworben hatten sich außerdem Düsseldorf und Gelsenkirchen, aber den Zuschlag erhielt Hamburg.

In Anbetracht der Umstände ein Win-win-Arrangement für alle Beteiligten: Weil der HSV schon länger nichts mehr mit dem Europapokal zu tun hat, steht das gerade für die EM 2024 renovierte Volksparkstadion zwischen den Wochenenden ohnehin nur unbenutzt herum. Die Sportbegeisterung in der Hansestadt ist aber weiterhin riesig, gegen Porto werden 45 000 Zuschauer erwartet, das Gruppenspiel gegen den FC Barcelona im November dürfte ausverkauft sein. Die Organisation übernimmt der HSV, die Klubs teilen sich die Erlöse. Und weil es im Norden überdies eine große ukrainische Gemeinde gibt, geht von Schachtars Exilspielen auch eine gewisse politische Symbolik aus. Eingeladen sind unter anderem die Klitschko-Brüder Wladimir und Vitali, Kiews Bürgermeister sowie Bundeskanzler Olaf Scholz.

Schachtars Geschäftsmodell ist zum Erliegen gekommen - noch schwerer wiegt ein Beschluss der Fifa

Wenn Palkin nun davon spricht, dass es eines der "Hauptanliegen" Schachtars sei, "positive Emotionen in die Heimat zu bringen, weil sich die Bürger und Soldaten nach einem Hauch Normalität sehnen", dann klingt das nicht nach dem biederen Jargon eines Vereinsfunktionärs. Es wirkt wie eine Art Selbstvergewisserung, warum er und der gesamte Klub das alles überhaupt machen. Immerhin zieht jede Champions-League-Partie strapaziöse Reisen nach sich; vom aktuellen Teamcamp in Kiew geht es mit dem Bus nach Polen, wo ein Charterflieger bereitsteht, und von dort nach Hamburg, Barcelona, Porto oder Antwerpen. Auf dieselbe Weise geht es wieder zurück, weshalb Schachtar mitunter drei bis vier Tage unterwegs ist. Ein erheblicher Nachteil zur internationalen Konkurrenz. Geht aber nicht anders, weil der Luftraum über der Ukraine gesperrt ist.

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"Das macht es enorm schwierig, auf diesem Level zu bestehen", sagt Palkin: "Uns bleibt aber nichts anderes übrig, als es zu versuchen". Die Spieler wissen, worauf sie sich da einlassen, der Ausnahmezustand wird quasi bei Vertragsunterschrift besiegelt. Und doch ist Schachtars ganzes Geschäftsmodell zum Erliegen gekommen. Über Jahre floss das Vermögen eines ukrainischen Oligarchen in den Klub, mit dem Geld wurden insbesondere Talente aus Brasilien importiert und später gewinnbringend verkauft. Dieser Versorgungsweg ist weitestgehend versiegt, Schachtar muss sich jetzt auf alternativen Märkten umsehen, etwa in Ecuador, Georgien oder Israel.

Noch schwerer wiegt allerdings ein Beschluss der Fifa, gegen den Schachtar vor dem internationalen Sportgerichtshof (Cas) klagte: Ausländische Fußballer durften ukrainische und russische Vereine bis einschließlich diesen Sommer ablösefrei verlassen. Schachtar sind dadurch Ablösen in Höhe von schätzungsweise 50 Millionen Euro verloren gegangen - eigentlich überlebenswichtige Einnahmen, da der ukrainische Fernsehmarkt eingebrochen ist und die Liga vor leeren Rängen stattfindet. Bei Schachtar können sie daher von Glück reden, dass zwei Eigengewächse essenzielle Transfersummen eingespielt haben: Angreifer Mychajlo Mudryk ging im Januar für angeblich 70 Millionen Euro zum FC Chelsea, Torwart Anatoliy Trubin im Sommer für zehn Millionen zu Benfica Lissabon. "Ansonsten haben wir keine Einnahmen", sagt Palkin: "Null!"

Dass russischen und ukrainischen Vereinen dieselben Hürden auferlegt werden, empfindet er überdies als eine Art Täter-Opfer-Umkehr, die zum generellen Blick des Fußballweltverbands auf den Krieg passe - und die zusätzlich mit jenen Fifa-Slogans ausgehöhlt werde, in denen von einer "globalen Fußballfamilie" die Rede ist. Alles scheinheilig, sagt Palkin: "Der ukrainische Fußball ist von dieser Familie ausgeschlossen, und es interessiert sie nicht."

Schachtar Donezk ist ein Klub im Überlebensmodus, der in Hamburg ein vorübergehendes Zuhause gefunden hat, mit dem er seine weitere Existenz sichern kann. Palkin formuliert das so: "Wir müssen spielen. Wenn wir das nicht tun, wird der ukrainische Fußball sterben."

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