SZ-Serie HeimatVereine:Zuständig fürs Wupp und Peng

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Der Assistent des neuen Bundestrainers: Die Trainerkarriere von Sandro Wagner (re.) entwickelt sich rasant. (Foto: Matthias Koch/Imago)

Mit fünf Jahren begann Sandro Wagner bei Hertha München mit dem Fußballspielen und fiel als Torjäger auf: In der F-Jugend soll er sagenhafte 178 Treffer in einer Saison erzielt haben. Zuletzt hat der Klub wieder Kontakt zu dem vielbeschäftigten Trainer geknüpft.

Von Stefan Galler

Kaum eine Fußballerkarriere beginnt in der F-Jugend eines Profiklubs - die allermeisten starten bei einem kleinen Verein in der Nachbarschaft, bevor der Wechsel in ein Nachwuchsleistungszentrum ansteht. Die SZ hat die Heimatvereine prominenter Fußballerinnen und Fußballer, Trainer und Manager besucht. Hier der siebte und letzte Teil: Hertha München und Sandro Wagner.

Manche Männer kennen es aus ihrer eigenen Biografie, dass sie mehreren Frauen mit gleichem Vornamen begegnen, die für ihr Leben eine besondere Bedeutung haben. Der prägende Name für Sandro Wagners Fußballerleben wäre vermutlich ein heute leicht antiquierter: Hertha.

Allerdings sind es nicht zwei Frauen dieses Namens, die die sportliche Vita des Co-Trainers der deutschen Fußball-Nationalmannschaft kennzeichneten, sondern Vereine - auch wenn jene Berlinerin, die auf den Beinamen BSC hört und der er als junger Fußballprofi drei Karrierejahre widmete, gerne als "Alte Dame" bezeichnet wird. Mit ihr ist Wagner einst aus der zweiten in die erste Liga aufgestiegen und hat sich später in der Bundesliga etabliert.

Die andere Hertha ist ebenfalls schon etwas betagter, gegründet 1922, sie war Wagners erste sportliche Heimat. Im Südwesten seiner Geburtsstadt ist der FC Hertha München zu Hause. Als er fünf war, meldeten ihn seine Eltern dort an. Und Sandro fiel sofort auf. "Ich habe schon beim ersten Training gemerkt, dass das ein absolutes Ausnahmetalent war", erinnert sich sein damaliger Trainer Horst Rossmeisl. Qualitätsmerkmal war schon alleine ein Test, den Rossmeisl mit all seinen kleinen Kickern machte: "Ich werfe ihnen den Ball zu, 99 von hundert der Fünfjährigen nehmen ihn mit der Hand auf. Sandro hat ihn direkt mit dem Fuß gestoppt."

Sandro Wagner wird 1996 bei einem Hallenturnier mit dem FC Hertha als Torschützenkönig ausgezeichnet (das Foto stammt aus einem VHS-Videoband). (Foto: privat)

Dabei sei der heute 1,94 Meter große Wagner damals laut Rossmeisl keineswegs groß für sein Alter gewesen. "Er war eher zierlich." Der damalige Trainerassistent Alexander Ruml hat eine andere Erinnerung: "Sandro hatte schon einen Größenvorteil gegenüber den anderen." Einig sind sich die beiden darin, dass der Bub bereits in der F-Jugend so gut gewesen sei, dass die Taktik auf der Hand lag: "Die anderen sechs haben ihm den Ball zugespielt, und bei ihm hat es dann wupp und peng gemacht", sagt Rossmeisl.

Dabei habe sich ebenfalls schon früh abgezeichnet, dass Wagner "kein ganz einfacher Charakter" sei, wie Ruml betont. Sandro habe stets seine Meinung vertreten, auch als Grundschüler. Sobald der Schiedsrichter eine Partie angepfiffen habe, seien dem Jungen "Hörner gewachsen". Und Ruml bestätigt die Ausnahmeklasse Wagners. "Wir Trainer mussten nur sagen: ,Du haust denen die Kiste voll', schon ging es los." Unter den Augen von Horst Rossmeisl und Alexander Ruml, die gaudihalber Trainingsanzüge mit der Beflockung H. Trapattoni und A. Trapattoni trugen, erzielte Wagner sagenhaft viele Tore, in seiner besten Saison sollen es 178 gewesen sein. In jenem Jahr wurde der Hertha-Nachwuchs sogar Münchner Meister.

Gepflegte Anlage, aber kein Vereinsheim: Das Gelände an der Höglwörther Straße, wo der FC Hertha beheimatet ist. (Foto: Claus Schunk)

Egal ob zierlich oder mit Größenvorteil: Der brünette Bub blieb den Scouts der großen Klubs nicht verborgen. Bei einem E-Jugendturnier in Germering wurde er von den Talentsuchern des FC Bayern entdeckt, Ex-Nationalspieler Wolfgang Dremmler höchstpersönlich holte ihn schnell an die Säbener Straße, erzählt Rossmeisl. Er sei dabei stets im Austausch mit den Eltern gewesen, mit denen er auch abseits des Fußballs befreundet gewesen sei. "Sandro musste das einfach machen, er wusste ja auch selbst, was er konnte", sagt er.

Mit dem FC Hertha hat Rossmeisl schon seit 20 Jahren nichts mehr zu tun, im Gegensatz zu seinem damaligen Co-Trainer Alexander Ruml und dessen Frau Andrea, die ehrenamtlich in der Geschäftsstelle arbeitet. Es ist ein florierender Breitensportverein mit 20 Jugendteams, nur in der ersten Herrenmannschaft ging es zuletzt etwas bergab. Die mischte vor zwei Jahren "mit geringen Mitteln" (Ruml) noch in der Bezirksliga mit, dann stieg sie zweimal ab und liegt nun im Tabellenmittelfeld der Kreisklasse München, Gruppe 4.

Heute Kollegen, damals Konkurrenten: Sandro Wagner als U19-Spieler beim FC Bayern (vorne) gegen den heutigen Bundestrainer Julian Nagelsmann im Trikot des TSV 1860. (Foto: Frinke/Imago)

Devotionalien von Sandro Wagner, alte Trikots oder Fotos sucht man hier vergeblich, auch weil es an einer Begegnungsstätte fehlt: Das Vereinsheim der Bezirkssportanlage an der Höglwörther Straße, die sich Hertha mit dem FC Croatia teilt, wird seit geraumer Zeit nicht mehr betrieben. Während der Renovierung 2020 begann die Corona-Pandemie, seither hat der Verein keinen neuen Wirt gefunden. "Unser ganzes Vereinsleben ist auseinandergebrochen", sagt Andrea Ruml zerknirscht. Ihr Mann Alexander ergänzt: "Hertha leidet." Nun zeichnet sich ab, dass es nach dem Jahreswechsel wieder losgehen könnte, mit neuer Bestuhlung und Zapfhahn - selbst der fehlt aktuell.

Zur 100-Jahr-Feier wollte Wagner eigentlich kommen und musste dann doch absagen

Zu Wagner besteht seit gut einem Jahr wieder Kontakt: Anlässlich der 100-Jahr-Feier des Vereins 2022 hatte Andrea Ruml den damaligen Trainer der SpVgg Unterhaching kontaktiert. Sie hinterließ in der Geschäftsstelle ihre Handynummer, Wagner meldete sich prompt: "Er war supernett und freundlich am Telefon und hat sich sehr dafür interessiert, wie es uns bei der Hertha geht", sagt Andrea Ruml, deren älterer Sohn Felix - ein Torwart - einst mit Klein-Sandro in der F-und E-Jugend zusammenspielte und später unter Christian Ziege bei Haching Drittligaluft schnupperte. Wagner sagte am Telefon sein Kommen zur Jubiläumsparty zu, musste aber dann doch kurzfristig absagen, weil er mit Haching mitten im Saisonendspurt steckte.

Dass der 35-Jährige jetzt als Assistent von Bundestrainer Julian Nagelsmann mehr Zeit hat als damals, ist nicht anzunehmen. Die neue Rolle trauen ihm seine früheren Übungsleiter aber ohne weiteres zu: "Er ist ein hervorragender Trainer und ein geradliniger Typ", sagt Alexander Ruml.

Nicht nur deshalb hoffen sie beim FC Hertha, dass der Kontakt mit ihrem berühmtesten ehemaligen Jugendspieler wieder intensiver wird: "Sandro ist ein Pfundskerl, er wird uns bestimmt mal besuchen kommen", sagt Andrea Ruml, und ihr Mann unterstreicht: "Wir sind ja auch nicht irgendein Verein, sondern sein Heimatverein."

(In der Serie erschienen: FV Oberaudorf/ Bastian Schweinsteiger , VfB Einberg/Marius Wolf , SV Eintracht Straßbessenbach/Marcel Schäfer , TSV Krumbach/Thomas Tuchel , FC Issing/Julian Nagelsmann , Sydney Lohmann/SC Fürstenfeldbruck )

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