SZ-Serie HeimatVereine:Ein Junge von ihnen

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Von Straßbessenbach in die große Fußballwelt: Marcel Schäfer (rechts) 2008 bei seinem Debüt in der Nationalmannschaft gegen England. (Foto: Imago)

Viktoria Aschaffenburg, 1860 München, VfL Wolfsburg: Der Weg des Fußballprofis Marcel Schäfer führte ihn bis in die Champions League. Trotzdem hat er nie vergessen, dass er seine ersten Tore für Eintracht Straßbessenbach erzielt hat - und auch dort weiß das jeder.

Von David Kulessa

Kaum eine Fußballerkarriere beginnt in der F-Jugend eines Profiklubs - die allermeisten starten bei einem kleinen Verein in der Nachbarschaft, bevor der Wechsel in ein Nachwuchsleistungszentrum ansteht. Die SZ hat die Heimatvereine prominenter Fußballerinnen und Fußballer, Trainer und Manager besucht. Teil 3: Marcel Schäfer und der SV Eintracht Straßbessenbach.

Bei der Eintracht Straßbessenbach ist Markus Schäfer eine Legende. "Er ist entscheidend dafür verantwortlich, dass wir eine Zeitlang Bezirksoberliga gespielt haben", sagt Vorstand Jörg Michel. Von ganz unten bis rauf in die höchste Spielklasse Unterfrankens; fünf Aufstiege in nur sieben Jahren! Das vergessen sie dem ehemaligen Zweitligakicker in Straßbessenbach nie. Denn auch wenn er bei den letzten beiden Aufstiegen schon nicht mehr da war, mit ihm als Spielertrainer begann der "in der bisherigen Vereinsgeschichte einmalige und sensationelle Aufstieg der Eintracht". So steht's in der Vereinschronik.

Und trotzdem, bei allem Ruhm und Erfolg, den Markus Schäfer dem kleinen Ort nahe der bayerisch-hessischen Grenze gebracht hat: Im schönen, neuen Vereinsheim hängt kein Bild von ihm an der Wand. Sondern von seinem Sohn. Der hat schließlich für die Nationalmannschaft und in der Champions League gespielt. Das schlägt sogar die Bezirksoberliga. Gemeint ist Marcel Schäfer, heute 39, für den in Straßbessenbach alles begann. Hier wuchs er auf, ging zur Schule, hier begann seine fußballerische Karriere, in deren Verlauf er Rekordspieler des VfL Wolfsburg, deutscher Meister und DFB-Pokalsieger wurde.

"Er hat seine Ziele, geht seinen Weg. Bisher hat er alles erreicht, was er wollte."

Große Erfolge, die ihren Ursprung vor den Toren des Straßbessenbacher Sportplatzes haben. Auf der Terrasse des Vereinsheims "Neunzehn28" erinnert sich Jörg Michel an die gemeinsame Jugend auf dem Bolzplatz: "Da hat man schon gemerkt, dass er sich lieber gegen Ältere durchsetzt." Gegen ihn, immerhin fünf Jahre älter, sei das zwar keine große Leistung gewesen, "aber es war schon sehr früh erkennbar, dass er mal seinen Weg gehen würde".

Sein Bild hat einen Ehrenplatz im Vereinsheim: Marcel Schäfer. (Foto: Kulessa / oh)

Es ist ein Weg, der geradlinig und auffallend vernünftig daherkommt. Im Alter von zwölf Jahren wechselte Schäfer von der Eintracht zunächst zu Viktoria Aschaffenburg, mit 15 ging er nach München ins Internat der Sechziger, bevor er als etablierter Zweitligaspieler 2007 den Sprung in die Bundesliga zum VfL Wolfsburg wagte - und dort beim Aschaffenburger Felix Magath auf Anhieb gesetzt war. Das erste seiner acht Länderspiele bestritt Schäfer 2008, deutscher Meister wurde er 2009.

In den folgenden Jahren war er das beliebte und respektierte Gesicht eines nicht überall beliebten und respektierten Vereins, mit dem er 2015 den DFB-Pokal gewann und dessen Geschäftsführer er heute ist. Auch das geschah nicht überstürzt, sondern er ließ sich zunächst als Sportdirektor vier Jahre lang von Vorgänger Jörg Schmadtke in den Job einarbeiten. Vernünftig eben. Und augenscheinlich immer einem klaren Plan folgend. Schon als Jungprofi schloss Marcel Schäfer ein Fernstudium im Bereich Sportmanagement ab. "Das passt zu ihm und seinem Charakter", findet Jugendfreund Jörg Michel. "Er hat seine Ziele, geht seinen Weg. Bisher hat er alles erreicht, was er wollte."

"Der Marcel hat in einem Spiel schon mal 15 oder 20 Tore geschossen."

Michel ist schon sein ganzes Leben bei der Eintracht Straßbessenbach. Erst auf dem Feld - auch Papa Schäfer war einst sein Trainer -, seit 15 Jahren sitzt er im Vorstand. Er hat hier also viele Spiele und Spieler erlebt. Immer wieder schaffen es welche zum großen Nachbarn Aschaffenburg, einer hat mal in der zweiten Mannschaft von Mainz 05 gekickt. Marcel Schäfers Fähigkeiten seien bereits in ganz frühen Jahren einzigartig gewesen: "Auch heute stehen hier talentierte Jugendliche auf dem Feld, aber der Marcel hat in einem Spiel schon mal 15 oder 20 Tore geschossen", erzählt Michel. "Das sehen wir sonst eher selten." Vom Torjäger zum Linksverteidiger (mit Offensivdrang) wurde Schäfer erst bei 1860.

Bei der Arbeit: Marcel Schäfer, 39, als Geschäftsführer des VfL Wolfsburg. (Foto: Darius Simka/regios24/Imago)

"Wenn er herkommt, ist er kein Star, sondern der Marcel von nebenan", erklärt Jörg Michel. Entsprechend beliebt war er im Ort und ist es bis heute. Beim Länderspieldebüt gegen England vor 15 Jahren veranstaltete der Verein ein Public Viewing, das Sportlerheim war voll, jeder erwartete sehnsüchtig die Einwechslung. In der 77. Minute war es so weit. "Jeder wusste, der Marcel wird Profi", sagt Michel. "Aber dass es ein Junge von uns sogar in die Nationalmannschaft geschafft hat, macht uns einfach nur stolz."

Ein Junge von uns, der Marcel von nebenan: Das ist ihnen wichtig in Straßbessenbach, wo sie sehr genau wahrnehmen, dass er in Interviews stets darauf bedacht ist, die Eintracht als erste Karrierestation zu nennen. Kürzlich, als sie hier das 95. Jubiläum feierten, war Schäfers Grußwort in der Festschrift von allen das persönlichste: "Zum wohligen Gefühl von Heimat und Verbundenheit gehört natürlich ohne Wenn und Aber auch die SVE."

Bildungsreisen nach Wolfsburg: Weil Schäfers Terminkalender immer voller wird, kommt der Verein nun eben ihn besuchen

Jörg Michel erzählt, dass er regelmäßig im Whatsapp-Kontakt mit Schäfer steht, der ein treuer Follower des Vereins auf Instagram sei. Die Heimatbesuche sind trotzdem seltener geworden: "Er war über die Jahre sehr oft da, hatte in den letzten Jahren aber weniger Zeit." Zum Vereinsjubiläum habe er versprochen zu kommen, wenn der Terminkalender es hergibt, wäre wohl sogar bereit gewesen, gegen Aschaffenburg das blau-weiße Trikot überzustreifen. Es wurde nichts daraus, aber sie verstehen das hier. Immerhin hat er diesen Sommer, in seinem ersten Transferfenster, gleich mal 140 Millionen Euro bewegt.

Also kommen sie einfach regelmäßig zu ihm. Gerade für die Jüngsten im Verein ist das eine wichtige Bildungsreise. Seit vielen Jahren unterhält die Jugend eine Spielgemeinschaft mit dem Nachbarort, das birgt die Gefahr, dass nicht jedem bewusst ist, auf wessen Spuren er hier wandelt. Aber: "Unsere Straßbessenbacher Jungs wissen Bescheid", versichert Jörg Michel, während sich auf dem Rasen gerade die D-Jugend fürs Training bereit macht. Bald fährt auch sie nach Wolfsburg, geht ins Stadion des VfL und wird Marcel Schäfer persönlich treffen. "Spätestens dann", sagt Michel, "kennen ihn alle." Auch die aus der Gemeinde von nebenan.

Bisher in der SZ-Serie erschienen: FV Oberaudorf/ Bastian Schweinsteiger , VfB Einberg/Marius Wolf

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