Kaum eine Fußballerkarriere beginnt in der F-Jugend eines Profiklubs - die allermeisten starten bei einem kleinen Verein in der Nachbarschaft, bevor der Wechsel in ein Nachwuchsleistungszentrum ansteht. Die SZ hat die Heimatvereine prominenter Fußballerinnen und Fußballer, Trainer und Manager besucht. Teil fünf: der FC Issing und Julian Nagelsmann.
Wer beim FC Issing auf den Platz gehen möchte, muss zuerst durch den Spielertunnel. Nur wenige Kreisligisten sind im Besitz derart geräumiger Katakomben, ein schmaler Gang verbindet die Kabinen und führt geradewegs aufs Feld. Hier, direkt unter dem Vereinsheim des am Hügel gelegenen Klubs, gibt es moderne Trainingsausrüstung, einen sanierten Duschbereich und eben jenen Tunnel: Wo beim FC Schalke die Wände im Bergbaustil an die Klub-DNA erinnern, zeigt sich beim FC Issing im Landkreis Landsberg am Lech ebenfalls ein integraler Bestandteil im Selbstverständnis des Vereins: Julian Nagelsmann.
"Der Julian ist hier überall", sagt Günther Fent, 48. Er ist Vereinsvorstand, früher hat er zusammen mit Nagelsmann in einer Mannschaft gespielt. Fent zeigt auf die Wände: Links hängen die Trikots der Vereine, für die Julian Nagelsmann selbst aufgelaufen ist - TSV 1860 München, FC Augsburg und eben FC Issing -, auf der rechten Seite finden sich eingerahmte Trikots aller Teams, die Nagelsmann trainiert hat: Hoffenheim, RB Leipzig, der FC Bayern.
Nun kommt bald ein Trikot des DFB dazu. "Eigentlich dachten wir, dass das etwas zu früh für ihn ist. Aber Julian weiß, was er tut", sagt Fent. "Sobald er sein erstes Spiel als Bundestrainer absolviert hat, hängen wir auch ein Trikot der Nationalmannschaft auf. Wir sind alle unheimlich stolz auf ihn."
Dieser Stolz zeigt sich nicht nur im Spielertunnel: Überall beim FC Issing findet man Andenken, die an den neuen Bundestrainer erinnern. Im Vereinsheim hängen eingerahmte Collagen, die die Mannschaft zusammen mit Nagelsmann zeigen. Auf einem Foto sieht man den 36-Jährigen in Aktion mit Ball am Fuß, auf einem anderen ist sein Gesicht in ein Mannschaftsbild nachträglich eingefügt.
"Das zwar sein zweiter Anfang im Verein", sagt Fent. Schon mit drei Jahren wurde Nagelsmann Mitglied im Fußballklub in Issing, knapp 50 Autominuten von München entfernt. Mit zwölf Jahren zog es ihn weiter zum FC Augsburg, bis er seine junge Karriere nach weiteren Stationen beim TSV 1860 München und der zweiten Mannschaft des FC Augsburg wegen einer Meniskusverletzung beenden musste. Während seines steilen Aufstiegs als Trainer packte ihn dann die Lust, wieder Fußball zu spielen, wenn auch nur auf Kreisklasse-Niveau.
"Der Julian hat uns dann 2011 quasi zum Aufstieg geschossen", sagt Fent. Nagelsmann arbeitete zu diesem Zeitpunkt schon als Trainer bei den U-17-Junioren der TSG Hoffenheim. Wenn seine Nachwuchsmannschaft bereits am Samstag spielte, fuhr der damals 24-Jährige an den Sonntagen nach Issing und half bei seinem alten Klub aus - auch wenn Nagelsmann, ein gelernter Sechser, in ungewohnter Rolle auflaufen musste: "In der Verteidigung war er mit seiner Qualität verschenkt, deshalb haben wir ihn immer auf die Zehn oder nach vorne gestellt."
Nagelsmann musste dafür seinen Spielerpass vom vorherigen Verein aus Augsburg abholen und sich ein zweites Mal beim FC Issing anmelden, um wieder für seinen Heimatverein aufzulaufen. "Unter der Woche konnte er natürlich nicht mittrainieren, da war er ja in Hoffenheim beschäftigt. Aber mit seinem Können hat es sonntags immer für die Startelf gereicht", sagt sein damaliger Mitspieler Günther Fent lachend. Zahlreiche Partybilder im Vereinsheim bezeugen den Aufstieg in die Kreisklasse der Saison 2010/11 noch heute.
"Der Julian hatte danach natürlich immer weniger Zeit", sagt Fent. "Als er Cheftrainer in Hoffenheim und Leipzig wurde, war uns klar, dass er nicht mehr bei uns mitspielen kann." Trotzdem komme Nagelsmann regelmäßig vorbei. Wenn er in Länderspielpausen oder zwischen den Saisons seine Eltern besuche, schaue der Trainer fast immer bei seinem alten Verein zu.
"Jeder im Klub wünscht ihm nur das Beste, auch jetzt bei der Nationalmannschaft", sagt Fent. Natürlich sei es schade, dass der Trainer weniger Zeit für Besuche in der Heimat habe, er sei aber immer willkommen. "Julian ist hier ein ganz normaler Ex-Spieler, der am Wochenende zuschaut und sich danach mit den alten Teamkollegen trifft." Einer dieser ehemaligen Mitspieler ist der MotoGP-Fahrer Marcel Schrötter, außerdem hat der Popsänger Malik Harris mal in der Jugendmannschaft in Issing gespielt.
Abgemeldet hat sich Nagelsmann im Verein übrigens bis heute nicht. Wenn man in der App des Bayerischen Fußball-Verbands den FC Issing in der Suchleiste eingibt, wird im Kader weiterhin Julian Nagelsmann gelistet. Er ist also noch spielberechtigt. Bilanz in dieser Saison: null Einsätze, null Minuten, null Tore. In Issing dürften sie gespannt darauf hoffen, dass sich daran irgendwann nochmal etwas ändert.
(Bislang in der Serie erschienen: FV Oberaudorf/ Bastian Schweinsteiger , VfB Einberg/Marius Wolf , SV Eintracht Straßbessenbach/Marcel Schäfer , TSV Krumbach/Thomas Tuchel )