SZ-Serie HeimatVereine:Aus der verblassten Kaderschmiede

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In Fürstenfeldbruck nimmt Sydney Lohmann Anlauf zu einer Karriere, die sie bis zur WM-Teilnahme (hier gegen Südkorea) geführt hat. (Foto: Jones/Beautiful Sports/Imago)

Sydney Lohmann hat noch von der Ausbildung beim SC Fürstenfeldbruck profitiert, wo die heutige Nationalspielerin bei den Jungen mitspielte. Der einst schillernde Verein hat sich zuletzt weitgehend selbst vernichtet.

Von Christoph Leischwitz

Kaum eine Fußballerkarriere beginnt in der F-Jugend eines Profiklubs - die allermeisten starten bei einem kleinen Verein in der Nachbarschaft, bevor der Wechsel in ein Nachwuchsleistungszentrum ansteht. Die SZ hat die Heimatvereine prominenter Fußballerinnen und Fußballer, Trainer und Manager besucht. Teil sechs: der SC Fürstenfeldbruck und Sydney Lohmann.

Beim SC Fürstenfeldbruck handelt es sich um einen Traditionsklub, der über Jahrzehnte mit seinen Jugendlichen etwa so umging, wie es zu jenen Zeiten auch genervte Nachbarn taten: Macht keinen Lärm, lasst uns in Ruhe. Das Training für die Kleinen fand meist auf einem Platz 400 Meter entfernt statt, auf der anderen Seite der Amper, auf oft tiefem Geläuf. Junge Spieler wuchsen damit auf, dass der Hauptplatz tabu war. Burschi, auf dem Rasen hast du nichts verloren, hieß es gerne mal. Und wenn Jakob Ettner, vor zehn Jahren noch Jugendleiter, den Senioren-Abteilungsleiter und Geschäftsführer Gerhard Knöchel darum bat, im Stadion spielen zu können, dann soll der nur "Schleich di!" gesagt haben.

Die Jugend und die Großen gingen hier oft getrennte Wege. Jetzt gibt es keine Großen mehr. Die haben sich nämlich pausenlos nur noch gestritten.

Zwischenzeitlich hatte die Brucker Kaderschmiede durchaus einen hervorragenden Ruf, davon hat auch Sydney Lohmann profitiert. Sie war 16, als sie ihr erstes Bundesligaspiel absolvierte, 2016 war das, ein Jahr später feierte sie ihre Premiere in der Nationalmannschaft. Ein bisschen gewundert hatten sie sich 2014 beim FC Bayern aber schon, als die Mittelfeldspielerin aus dem Landkreis Landsberg am Lech bei der ersten Anfrage noch nein sagte. Sie spielte damals lieber noch ein Jahr gegen die zweite Mannschaft des FC Bayern. Genauer gesagt: gegen dessen zweite Jungenmannschaft. In einem hauseigenen Bayern-Interview erzählte sie später einmal, warum sie den vermeintlichen Umweg ging. Bei den Jungs, "da musst du immer mehr geben, mehr Tempo machen, härter reingehen. Das hat mir schon viel gebracht". Heute ist die 23-Jährige eine der besten deutschen Fußballerinnen, wenngleich im Jahr 2023 von Verletzungspech geplagt; zurzeit fehlt sie den Bayern.

"Jedes Mädchen sollte, so lange es geht, bei den Jungs mitspielen können", findet ihr ehemaliger Trainer

Die Jungs, das waren jene vom SC Fürstenfeldbruck. Bei dem Verein in Gelb und Blau handelte es sich bis in die Nullerjahre um einen Klub, den man gerne als schillernd bezeichnet. Mit dem Linksaußen Willi Bierofka in den Siebzigerjahren, später mit Spielern wie Holger Seitz - und immer mit vielen Zuschauern. Bisweilen wurden Machtkämpfe und Skandälchen eingestreut. Übrig blieb irgendwann nur noch die Jugendarbeit, mit nach wie vor gut 200 aktiven Mitgliedern. Sie ist mittlerweile das einzige, das über die Stadtgrenzen hinaus noch einen guten Ruf genießt.

Sydney Lohmann, hier vor dem Fürstenfeldbrucker Vereinswappen. (Foto: SC Fürstenfeldbruck/oh)

Als Sydney Lohmann zehn war und ihr Talent schon gut sichtbar, löste sich ihre Mannschaft beim VfL Kaufering auf. Die Eltern nahmen die Zusatzkilometer in den Nachbarlandkreis auf sich. Sechs Spielzeiten blieb Lohmann beim SCF. "Wir haben für sie eine Sondergenehmigung beantragt, dass sie noch weiter dort spielen darf", erzählt Jonas Schittenhelm, ihr Trainer im letzten SCF-Jahr. Er ist heute U19-Coach bei den Münchner Löwen, damals trainierte er Lohmann in der U15. Sie sei fraglos eine Leistungsträgerin gewesen, wenn auch mit Konkurrenz. Schittenhelm dachte damals schon, was heute selbstverständlich ist: "Jedes Mädchen sollte, so lange es geht, bei den Jungs mitspielen können. Erst Richtung B-Jugend merkt man dann einen Unterschied." Lohmann besuchte schon früh Nationalmannschaftslehrgänge. "Immer, wenn sie zurückkam, hat sie wieder ein, zwei Wochen gebraucht, um die Wettkampfhärte zurückzugewinnen", sagt Schittenhelm. Immerhin handelte es sich beim SCF um eine Bayernliga-Jugend. Der Mehraufwand für den Verein war überschaubar, Lohmann zog sich eben in der Schiedsrichterkabine um. Und blöde Sprüche, erzählte sie mal, habe es nur ganz vereinzelt gegeben, von Eltern gegnerischer Spieler.

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In den vergangenen Jahren gab es rund um den SCF nur noch negative Nachrichten. Die erste Mannschaft, zuletzt bis in die Kreisklasse durchgereicht, wurde im vergangenen Juli aufgelöst. Ein Schock für viele ehemalige Spieler und Funktionäre. Nun steht da ein Stadion leer, das 5000 Zuschauer fasst und in das sich schon vor Corona nur noch eine Handvoll Besucher verirrt hatte.

Ein Besuch im Sommer: Beim einst schillernden Klub ist alles blass. Die Werbebanden, die Anzeigetafel, das Sprecherhäuschen, selbst der Rasen wirkt nicht so grün wie früher. Im Gang zwischen Vereinsheim und Kabinentrakt hängen die alten Wimpel mit den Erfolgen der Männer und die nicht ganz so alten mit den Erfolgen der Jugendlichen. Während der Ferien wirkt die Anlage eher wie ein Museum denn ein Ort für soziales Beisammensein.

Glatzel, Schäffler, Widemann, Saller - die Liste von Profis aus SCF-Fertigung ist lang. Sogar Josip Stanisic spielte mal hier

In der Gaststätte sitzt Manuela Thurner. Sonst niemand. Sie und ihr Mann Alfred, der gerade draußen den Rasen des Hauptplatzes mäht (mit einem elektrischen Handrasenmäher!), sind die verbliebenen guten Seelen des Klubs. "Es ist schon schade, dass die Sydney ausgeschieden ist", sagt Thurner über das Scheitern bei der WM, "wir fiebern natürlich mit." Ein Foto von Lohmann hängt hier nicht. In diesen Tagen soll ein Lohmann-Fanklub gegründet werden, sagt Manuela Thurner. Es schwingt schon noch Stolz mit, wenn sie über die Jugendarbeit beim SCF redet. Lohmann war ja wahrlich nicht die einzige, die hier das Kicken lernte. Vor ihr standen auch Robert Glatzel und Manuel Schäffler auf dem Trainingsplatz nahe der Amper, Dominik Widemann schaffte es bis in die zweite Liga, ebenso Benedikt Saller.

"Ich denke, ich habe nicht alles falsch gemacht", sagt der von vielen kritisierte Jakob Ettner, der heutige Präsident. Er darf von sich behaupten, diese Karrieren mit angeschoben zu haben. Unter denen, die Profis wurden, sind auffällig viele Stürmer, vielleicht ist das dem langjährigen Ausbildungssystem geschuldet, das sehr offensiv daherkam. Meistens spielten die U-Teams in einem 4-3-3. Wofür der SCF stehe, könne man besonders an Josip Stanisic sehen, findet Ettner: "Für den zweiten Anlauf. Dafür, einem wieder auf die Füße zu helfen. Stani war damals am Boden", erzählt er. Der heutige FC-Bayern-Spieler, der aktuell an Leverkusen verliehen ist, wurde mit 15 bei 1860 München ausgemustert. Beim SCF konnte er das Niveau so hochhalten, dass er nach zwei Jahren zur U17 der Bayern gehen konnte.

Vor zwei Wochen hat sich Sydney Lohmann bei den Frauen des FC Bayern schwer am Sprunggelenk verletzt. (Foto: Oryk Haist/Imago)

Die vorerst letzten Negativschlagzeilen über den SCF gab es, als Türkgücü München hier Regionalligaspiele bestreiten wollte, dieser Plan aber im Streit zwischen Ettner und der Stadt zerrieben wurde. Und: Weil es seit 2016 im Verein keine Neuwahlen mehr gab. Der Präsident begründet dies unter anderem damit, dass der Status einiger Mitglieder fraglich sei. Vermutlich meint er: verfeindete Mitglieder, die ihn nicht wiederwählen würden. Im November sollte die Versammlung nun endlich stattfinden, laut Ettner steht sie jedoch wieder auf der Kippe, diesmal, weil seine Schadenersatzforderungen wegen des geplatzten Türkgücü-Deals vom Gericht noch nicht behandelt werden. Ettner erklärt, dass er mithilfe des Münchner Regionalliga-Teams wieder Jugendspieler in der Stadt hätte halten können - Türkgücü quasi als hochklassiger Ersatz für die eigene erste Mannschaft. Mit allzu vielen Profis aus Fürstenfeldbrucker Fertigung dürfte in naher Zukunft nicht zu rechnen sein.

(Bislang in der Serie erschienen: FV Oberaudorf/ Bastian Schweinsteiger , VfB Einberg/Marius Wolf , SV Eintracht Straßbessenbach/Marcel Schäfer , TSV Krumbach/Thomas Tuchel , FC Issing/Julian Nagelsmann )

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