Premier League:Englands Fußball-Elite schrumpft

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Die Zeiten waren schon mal besser beim FC Arsenal - das weiß auch Stürmer Pierre-Emerick Aubameyang. (Foto: Michael Regan/Getty Images)

Wenn an diesem Wochenende das Nordlondon-Derby ansteht, zeigt sich das veränderte Machtgefüge in der Premier League: Arsenal und Tottenham sind abgehängt - sehr wahrscheinlich nicht nur für den Moment.

Von Tammo Blomberg

"Stating the obvious" sagt man im Englischen zu dem, was Mikel Arteta über die anstehende Heimpartie seiner Mannschaft zu Protokoll gab. Es sei für den FC Arsenal das bisher "wichtigste Spiel der Saison", so der Trainer, und kein Fan seiner Mannschaft würde ihm widersprechen; das Nordlondon-Derby gegen Tottenham hat immer erhöhte Bedeutung. Wer aber an diesem Premier-League-Wochenende in London ein Spiel zweier Spitzenmannschaften sehen will, der muss sich vom Emirates Stadium aus knapp zwölf Kilometer nach Südwesten bewegen, an die Stamford Bridge im Stadtteil Fulham.

Dort trifft sich am Samstag (13.30 Uhr) die Elite des europäischen und englischen Fußballs, der Champions-League-Sieger FC Chelsea empfängt seinen Finalgegner Manchester City. Dann wird die Frage beantwortet, ob Chelsea-Trainer Thomas Tuchel auch im vierten Duell nacheinander City-Coach Pep Guardiola besiegen kann, oder ob die Mannschaft des Katalanen den "Blues", die nun noch besser besetzt sind als in besagtem Königsklasse-Endspiel, Paroli bieten kann. In Arsenals Stadion sind dagegen lediglich zwei Lokalrivalen zu sehen, die den Anschluss verloren haben.

Im April hatten sich beide noch als Teilnehmer einer Super League gewähnt

Aus den "Big Six", dem Sextett der größten englischen Klubs, das neben den genannten Vereinen von Liverpool und Manchester United komplettiert wird, ist ein Vier-plus-zwei-Modell geworden: Nordlondon ist abgehängt. Tottenham belegte am Ende der vergangenen Saison erstmals seit 2009 keinen der sechs vorderen Plätze, Arsenal war bereits im Sommer zuvor erstmals nach 24 Jahren aus den Spitzenrängen gefallen. Im April hatten sich beide kurz als Teilnehmer einer Super League gewähnt, nun müssen die Spurs mit der - ebenfalls neuen, aber nicht wirklich elitären - Conference League auskommen und Arsenal gänzlich ohne europäischen Fußball.

Vereint in ihrer Durchschnittlichkeit: Tottenham Hotspur mit Oliver Skipp und Arsenal mit Stürmer Alexandre Lacazette. (Foto: Andy Rowland/PRiME Media/imago)

Nach fünf Spieltagen stehen Chelsea und Liverpool mit identischer Bilanz an der Spitze der Premier League, ihr einziges Gegentor kassierten beide im direkten Aufeinandertreffen. Manchester United folgt punktgleich auf Rang drei, City befindet sich in Schlagdistanz - und ließ beim 5:0 über Arsenal keine Zweifel daran, dass es in einer anderen Güteklasse unterwegs ist. Auch Tottenham bekam nach einem guten, aber spielerisch wenig begeisternden Saisonstart zuletzt seine Grenzen aufgezeigt, als es zu Hause gegen Chelsea 0:3 verlor.

Dieses Machtgefüge überrascht niemanden, der im Sommer das Treiben auf dem Transfermarkt beobachtet hat. Chelsea nahm als frischgekürter Champions-League-Sieger 115 Millionen Euro in die Hand, um die einzige signifikante Schwachstelle des Kaders zu beheben und sein Angriffszentrum mit Romelu Lukaku zu besetzen, einem der besten Stoßstürmer der Welt. Tottenhams Transfersommer bestand im Wesentlichen darin, seinen eigenen Mittelstürmer Harry Kane nicht an den Konkurrenten Manchester City zu verlieren. Zwar wehrten die Spurs alle Offerten ab, doch der englische Nationalkapitän könnte seine Abwanderungsgedanken im nächsten Jahr wieder offen kommunizieren.

Rückkehr zu Manchester United
:Ronaldo beseelt das Old Trafford

In seinem ersten Spiel für United seit zwölf Jahren trifft der Portugiese doppelt - Kritiker des Transfers dürften erst einmal verstummen. Allerdings ist Ronaldo auch nicht mehr der Spieler, der den Klub 2009 verließ.

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Das Geld, das City durch Kanes Verbleib sparte, investierte der aus Abu Dhabi alimentierte Klub dann eben anderweitig: in Englands Fanliebling Jack Grealish von Aston Villa zum Beispiel. Stadtrivale United verstärkte sich mit Hochkarätern wie Cristiano Ronaldo, Dortmunds Jadon Sancho und Raphael Varane aus Madrid. Und Arsenal, Uniteds Dauerrivale aus den ersten Jahrzehnten der Premier League? Auch die Gunners gaben viel Geld aus, müssen aber darauf hoffen, dass sich Top-Spieler verirren - ansonsten würden sie nicht im Emirates landen. Der prominenteste Zugang heißt Martin Ödegaard, 22, der zweifellos Qualität und Talent besitzt, sich aber bisher bei keinem großen Klub durchsetzen konnte.

Dass Mourinhos beste Tage hinter ihm liegen, hätte man auch 2019 schon wissen können

Die finanziellen Verhältnisse sind nur ein Grund für diese Situation. Arsenals Besitzer sind weniger spendabel als die der Spitzenklubs, trotzdem zahlt der Verein immer noch beachtliche Ablösesummen - nur waren die in den vergangenen Jahren oft schlecht angelegt. Und der frühere Arsenal-Spieler Mikel Arteta genießt zwar das Vertrauen der Chefetage, hat aber in seiner jungen Trainerkarriere nur punktuell nachgewiesen, dass er einen Klub zum Erfolg führen kann.

Tottenham wiederum setzte in José Mourinho zuletzt auf einen Trainer, der eine stattliche Titelsammlung vorweisen kann. Dass dessen glorreiche Tage einige Jahre in der Vergangenheit liegen, war aber schon 2019, als die Spurs ihn anheuerten, kein Geheimnis. Ebenso der Fakt, dass die Entwicklung junger Spieler nicht sein Kerngeschäft ist. Am Ende der Liaison zwischen dem Portugiesen und den Spurs stand eine unsaubere Trennung, Nachfolger Nuno Espirito Santo soll Tottenham nun schnellstmöglich wieder aufrichten. Der finanzielle Spielraum dafür ist sehr wahrscheinlich kleiner als bei Arsenal. Präsident Daniel Levy ist für seine harte Verhandlungsart mit anderen Klubs berüchtigt - das hat auch das Beispiel Kane wieder bewiesen. Doch auch seinen Trainern erfüllt er selten Spielerwünsche. Der Bau des teuren neuen Stadions verstärkte diese Haltung.

Fehler im Management gab es bei Arsenal wie bei Tottenham, zur Wahrheit gehört aber auch, dass die weniger schwer wiegen, je größer die Finanzkraft ist. Gerade bei Manchester United sitzt nicht jeder Transfer, und über Trainer Ole Gunnar Solskjaer sagen in England viele, seine einzige Qualifikation für den Job sei sein Legendenstatus als aktiver United-Spieler. Trotzdem hat der englische Rekordmeister noch eine Strahlkraft, die Spieler wie Ronaldo, Sancho und Varane anzieht - und das nötigen Kleingeld. Wegen der Vorzüge der Industriestadt Manchester unterschreiben wohl die wenigsten Spieler.

Mit Chelsea und City treffen am Samstag die beiden Klubs aufeinander, die derzeit alles haben

Liverpool-Trainer Jürgen Klopp war im Sommer nicht verlegen darum, die immense Kaufkraft der Konkurrenz schnippisch zu kommentieren: "Wir können kein Geld ausgeben, das wir nicht haben. Die anderen können das", hieß es aus Anfield. Natürlich hat auch Liverpool finanzstarke Investoren, aber ganz so weit wie in Manchester öffnen sie die Schatullen nicht. Dass der Klub trotzdem fester Bestandteil des Quartetts der Großen ist, hat viel mit Klopp zu tun.

In Chelsea und City duellieren sich am Samstag die beiden, die aktuell alles mitbringen: herausragende Trainer, exzellent besetzte Kader und vorerst nicht versiegende Öl- pardon, Geldquellen. Liverpool und United erfüllen aktuell jeweils zwei dieser Voraussetzungen.

Tottenham und Arsenal hingegen sind derzeit in keiner dieser Kategorien ganz vorne, der Fokus lag im Sommer vielmehr auf der Zukunft als der Gegenwart: Keiner der fest verpflichteten Spieler bei den Spurs oder Gunners ist älter als 23. Vor dem Duell am Sonntag vereint die Lokalrivalen die Hoffnung, dass in Nordlondon bald wieder etwas Hervorragendes zusammenwächst - und die Distanz zur Spitze bis dahin nicht unüberbrückbar geworden ist.

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