EM-Qualifikation im Fußball:Es braucht eine Sensation, damit Österreich die EM noch verpasst

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Freundliche Grüße an Toni Polster: Marko Arnautovic ist nun der zweitbeste Torschütze Österreichs. (Foto: Emma Wallskog/Bildbyran/Imago)

In Schweden singen Fans "Oh, wie ist das schön": Ein Sieg in Solna bringt das ÖFB-Team der EM-Teilnahme sehr nah - Österreichs Fußball befindet sich auch dank Ralf Rangnick in einem glückseligen Zustand.

Von Felix Haselsteiner

Die Geschäftigkeit in der Friends Arena von Solna entging auch Ralf Rangnick nicht, der sich während Fußballspielen normalerweise eher auf die Geschehnisse auf dem Rasen konzentriert. Dass sich aber Mitte der ersten Halbzeit schon Tausende Menschen auf den Weg nach Hause machten, dass auf einmal nur noch leere Sitze zu sehen waren und ein paar Hundert Österreicher "Oh, wie ist das schön" sangen, fiel schon auf: "Wenn bei einem Auswärtsspiel das Stadion zehn Minuten vor Schluss schon halb leer ist, dann muss die Auswärtsmannschaft irgendetwas richtig gemacht haben", sagte der Teamchef und hatte ein kleines, triumphales Schmunzeln auf den Lippen.

3:1 endete die EM-Qualifikationspartie zwischen Österreich und Schweden, womit schon im September feststeht, dass es eine ziemliche Sensation braucht, damit Rangnicks Mannschaft doch noch die EM verpasst: Zwei Punkte aus den verbleibenden Spielen gegen Belgien, Estland und Aserbaidschan würden reichen, damit der kleine Nachbar mit dem deutschen Trainer im kommenden Jahr beim großen Nachbarn zuhause antritt. Beziehungsweise, im O-Ton des Stadions von Solna: "Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!" Normalerweise kein Gassenhauer in Österreich.

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Ein kleiner Rückblick in das Jahr 2015 verrät allerdings: Ähnliche Gesänge hallten schon einmal durch ein schwedisches Stadion, als sich eine damals von Marcel Koller trainierte ÖFB-Auswahl durch einen Auswärtssieg eine Einladung zur Europameisterschaft in Frankreich erspielte. Ein bisserl sensationell war das damals, als ein junger David Alaba und eine hochtalentierte Generation die erste sportliche Qualifikation für ein EM-Turnier in der Landesgeschichte schafften.

2015 trug im Alpenland ganz plötzlich jeder ein rotes Fußball-Leiberl

Ein halbes Jahr lang hielt damals die Koller-Euphorie, auf einmal hatte zwischen Wiener Neustadt und Bregenz jeder ein rotes Leiberl an, das Nationalteam wurde "Mannschaft des Jahres", das Fußball-Nationalteam wohlgemerkt, nicht die Wintersportler. Bis zu einem enttäuschenden EM-Turnier 2016 in Frankreich hielt die Euphorie, bevor das Scheitern den Austro-Fußball erneut in eine jahrelange Sinnkrise im chronisch leeren Ernst-Happel-Stadion führte - und schließlich, nach einer eher tristen Periode unter Trainer Franco Foda, zu Rangnick. Und wieder nach Solna.

"Ähnlich" wie damals fühle sich das an, sagte Alaba, inzwischen ein 31-jähriger mehrmaliger Champions-League-Sieger, der daher auch weiß, dass die aktuelle Qualifikation zufriedenstellend, aber nicht mehr ganz so sensationell ist - und im Idealfall nur der erste Schritt.

Es fügt sich im Moment alles ganz wunderbar zusammen im österreichischen Fußball, und recht viel davon hat mit dem Trainer zu tun. Das war nicht immer klar gewesen. Rangnicks Professorentitel als Experte für Bewegungen auf dem Feld hatte bei seiner Verpflichtung noch für Fragen gesorgt, weil im Alpenland eigentlich auch das Streicheln der heimischen Volksseele ein wenig zum Aufgabenprofil gehört.

Ihren Herrn Professor geben sie so schnell nicht an Deutschland ab

Rangnick setzt stattdessen lieber stur auf Erklärungen, er spielt keine Rolle, die ihm nicht liegt. Nach der Partie am Dienstag etwa erläuterte er freudig die taktischen Umstellungen in der zweiten Halbzeit, andere Fragen moderiert er gekonnt ab.

Seit Monaten macht er das so; es fehlt gerade noch, dass ihm vom Rundfunk eine Taktiktafel bereitgestellt wird. Allerdings stellt sich zunehmend heraus: Fußballerischer Erfolg, der sich diesmal nicht nach Sensation, sondern nach solider Arbeit innerhalb eines überlegten Gesamtkonzepts anfühlt, führt zu einer beachtlichen Einigkeit unter Anhängern - und sogar unter Experten.

Ralf Rangnick (Mitte) ist in Österreich gut angekommen und kommt gut an. Er wirkt lockerer als früher. Rangnick trainiert seit Mai 2022 die österreichische Nationalmannschaft. (Foto: Emma Wallskog/Imago)

Kein böses Wort hört man dieser Tage aus den Reihen der Wiener Legenden und ihrer Kolumnen, alle vertragen sich auf einmal. Marko Arnautovic, 34, etwa, Zeit seiner Karriere aufmüpfiger Kritiker seiner Kritiker und gegen Schweden Doppel-Torschütze (56. und 69. Minute/Elfmeter), versprühte im ORF-Interview auf einmal so etwas wie Charme und Witz. Angesprochen darauf, dass er nun zweitbester Torschütze des Landes sei, schickte er freundliche Grüße an den Erstbesten: Toni Polster "wird ja wahrscheinlich vorm Fernseher sitzen. Schöne Grüße, Toni, moch da kane Sorgen!"

Erfahrene Austropop-Zuhörer erkannten bei "kane Sorgen" umgehend ein Zitat aus dem wunderbaren "Mamma" von Wolfgang Ambros, womöglich eine Art Titelsong der nahenden EM-Reise nach Deutschland, auch wegen der passenden Zeile "I bin no da und no net fort". Teil der österreichischen Sorglosigkeit ist nämlich auch, dass Rangnick sich in den vergangenen Tagen klar von einem Abschied distanzierte, weil nach der Demission von Hansi Flick selbstverständlich auch in Wien Aufruhr herrschte: Nicht dass die Deutschen sich noch den Herrn Professor zurückholen für ihre Heim-EM.

Ein klares "Nein" beendete derartige Debatten, auch wenn es im Hintergrund Indizien gibt, dass Rangnick beim DFB durchaus als Kandidat auf sogenannten Shortlists stand. Er habe sich "vor 14 Monaten dazu entschieden, hier als Teamchef zu arbeiten und die Mannschaft so vorzubereiten, dass wir uns für die EM qualifizieren und dort auch eine gute Rolle spielen", sagte Rangnick. Das klang wie gewohnt ein wenig technisch und nicht nach einer rot-weiß-roten Liebeserklärung. Von solchen Seelenstreichlereien abzusehen, scheint allerdings Teil des Konzepts zu sein, das bisher ganz hervorragend funktioniert.

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