Auswechslung bei Paris gegen Lyon:Messi durchbohrt den Coach mit Blicken

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Ausgewechselt? Ich? Lionel Messi blickt Trainer Mauricio Pochettino fragend an. (Foto: Franck Fife/AFP)

Stinksauer und ohne Handschlag: Ausgerechnet bei seinem Heimdebüt wird Lionel Messi von PSG-Trainer und Landsmann Mauricio Pochettino ausgewechselt - nun ist das Betriebsklima in Gefahr.

Von Javier Cáceres, Paris

Am Ende erinnerte das neue Heim von Lionel Messi sogar an die Bombonera, das Stadion des argentinischen Traditionsklubs Boca Juniors aus Buenos Aires. Denn ganz zum Schluss wackelten die vollbesetzten Tribünen im Prinzenparkstadion von Paris tatsächlich wie die Wände in Bocas legendärer Pralinenschachtel, dem sagenumwobenen Tempel vom Rio de la Plata, unter dem rhythmischen Gehüpfe der 46 000 Zuschauer.

"Qui ne saute pas/est un Lyonnais-nais!", riefen sie, wer nicht hüpft, ist Lyoner, voller Euphorie, weil es im Spitzenspiel der Ligue 1 doch noch zu einem 2:1-Sieg gereicht hatte, durch ein Kopfballtor des eingewechselten Mauro Icardi in der Nachspielzeit. Und weil damit eben auf den letzten Drücker das Spiel gedreht worden war - nach dem Führungstor durch Lyons Brasilianer Paquetá (54.) und dem Ausgleich durch PSG-Stürmer Neymar Jr. (66.), von dem noch die Rede sein wird. Oder riefen die PSG-Pilger vielleicht doch, voll feiner Ironie: "Qui ne saute pas/est Lionel", und nicht etwa "Lyonnais"? Denn Lionel, Lionel Messi also, um den es an diesem Tage gegangen war, weil er nach seinem Wechsel aus Barcelona an die Seine sein Heimdebüt feierte, er hüpfte nicht.

Messi bebte. Innerlich, gute 15 Minuten lang.

Messi auswechseln? Das macht man nicht!

Die 76. Minute lief, und Trainer Mauricio Pochettino tat etwas, was man besser nicht macht, wenn man nur rudimentäre Kenntnisse in Messiologie besitzt: Pochettino wechselte seinen argentinischen Landsmann aus. Nun muss man auf der Trainerbank nicht die Messi-Biografie von Guillem Balagué parat haben. Aber man kann wissen, was dort steht: dass vor ein paar Jahren ein mittlerweile verstorbener argentinischer Nationaltrainer, Alejandro Sabella, von Pep Guardiola wissen wollte, wie man Messi, der tyrannische Züge entwickeln kann, bei Laune hält; Guardiola trainierte Messi seinerzeit beim FC Barcelona. "Wenig mit ihm reden", raunte Guardiola, "ihn mit Spielern abschirmen, die die einfachsten Arbeiten für ihn verrichten; dem Wenigen, was er sagt, aufmerksam zuhören, und niemals vergessen, dass man Messi nicht mal vom Platz holt, damit er eine Ovation entgegennimmt." Denn sonst gibt es Ärger. Wie am Sonntag.

Messi ging mürrisch vom Feld, umarmte den eingewechselten Achraf Hakimi, machte kaum Anstalten, die ausgestreckte Hand Pochettinos zu ergreifen und verfehlte diese auch. Denn sein Blick galt den Augen Pochettinos, und er wirkte, als verheiße er nichts Gutes. Sondern barg, bestenfalls, eine bohrende Frage: "Warum nur, Coach, warum?"

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Als Messi auf der Bank angekommen war, nahm er sichtlich angesäuert Platz und registrierte wohl nicht einmal, dass sein Landsmann Leandro Paredes mit tellergroß aufgerissenen Augen entsetzter wirkte als die Bürgermeisterin von Paris beim Brand von Notre-Dame. Wobei: Angesäuert war gar kein Ausdruck!

Stinksauer war Messi. Denn es stand doch 1:1, nach einem Elfmeter zwar, der ein Thema für sich wäre, weil er doch nach einem Strafstoß fiel, der ein ungeheuerliches Geschenk war, Brot und Salz zu seinem Einzug in die nouvelle maison sozusagen: Ehe er zu Boden ging, hatte Neymar seinem Bewacher Malo Gusto in den Nacken gegriffen und ihn im Stile eines Wrestlers zu Boden gedrückt. Es war also noch alles drin. Dachte Messi.

Okay, er war nach der Pause abgetaucht, als hätte er sich im Bois de Boulogne versteckt, dem Park in der Nähe des Stadions. Unmittelbar vor dem Wechsel hatte er sich gekrümmt und ans Knie gefasst. Glaubte Pochettino, sein Star sei verletzt? Andererseits: Hatte Messi vor der Halbzeit nicht etwa gezeigt, dass da Magie entstehen kann? Dass er mit Kylian Mbappé und mit Neymar harmonieren kann? Hin und wieder war da große Kunst aufgeschienen. Zum Beispiel, als ihm einmal Mbappé und einmal Neymar den Ball im Strafraum mit der Hacke zuspielten und er nur knapp scheiterte, und erst recht, als er einen 25-Meter-Freistoß ans rechte Lattenkreuz schoss (37.). Warum also, Pochettino, warum?

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Die Gründe für die Auswechslung Messis

Weil er sich von Hakimi, dem früheren Dortmunder, eine größere Tiefe versprochen hatte, ohne die Abwehr zu vernachlässigen. Und weil er nur das Beste für die Mannschaft und den Spieler wolle, und er doch am Ende "am Spielfeldrand stehe, um Entscheidungen zum Wohle der Mannschaft und der Spieler zu treffen; manchmal gehen sie besser, mal schlechter auf", sagte der Trainer im bestens gefüllten Presseauditorium. Was Messi zu ihm gesagt habe, als er vom Platz ging? "Ich habe ihn gefragt, ob alles in Ordnung sei, und er sagte: 'Gut, keine Probleme'", berichtete Pochettino.

Was Messiologen wohl als Vorwurf interpretieren dürften. Wenn man ihn jemals schonen wolle, dann lieber, indem man ihn zu Beginn einer Partie auf die Bank setzt, und nicht, indem man ihn am Ende vom Platz holt, weil das doch der Moment sei, wo der Gegner anfange, Verschleiß zu zeigen, hat Messi einmal zu Guardiola gesagt. Und Guardiola, der in der kommenden Woche mit ManCity in Paris antritt, hat das beherzigt, um des Betriebsfriedens willen, nachdem es sich einmal begeben hatte, dass Messi am Tag nach einer Auswechslung nicht zum Training erschienen, nicht aufzufinden gewesen war. Messi schmollte. Am Montag in Paris erschien er immerhin und trainierte.

Wie sehr das Klima nun gestört ist, werden die kommenden Tage zeigen. PSG ist ein Klub, der vielen Zerrkräften ausgesetzt ist: Hier die katarischen Geldgeber, die den ganzen Spaß mit Mbappé, Neymar und Messi bezahlen (und diese auch spielen sehen wollen); in den Büros die nur bedingt autonomen Vereinsführer, die viel mit den Chefs in Doha telefonieren; auf dem Trainingsplatz die großen Egos mit all ihren Eitelkeiten, die oft genug eine eigene Dynamik entfalten.

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Denn dass Pochettino eine Verbesserung gegenüber dem ersten Spiel mit seinem "MNM"-Dreizack und ein besseres Gleichgewicht zwischen Offensive und Defensive erkannt haben wollte als am Mittwoch beim 1:1 in der Champions League in Brügge, das ging unter. "Es war ein verdienter Sieg", behauptete Pochettino, und erntete den Widerspruch von Lyons Trainer Peter Bosz, ehedem in Dortmund und Leverkusen aktiv. Er ärgerte sich zu recht, dass der Videoschiedsrichter nicht eingegriffen hatte, als der Elfmeterpfiff ertönt war: "Ich dachte, es gäbe einen VAR ...", sagte Bosz, "es war eine Fehlentscheidung."

Bosz fand (übrigens in fantastischem Französisch) lobende Worte für seinen Zugang Jérôme Boateng, der eine wirklich sichere Leistung bot und dessen Auswechslung nicht einmal ansatzweise so aufregend wie die von Messi war, die alles überstrahlte. Pochettino wird etwas geahnt haben, denn am Ende der Pressekonferenz wirkte er gereizt. Wann PSG "Angst" verströmen würde, wollte ein Journalist von ihm wissen, und er reagierte irritiert. "Angst? Wir sollen also Angst verströmen?", fragte er zurück, ehe er mit grimmigem Gesicht davonzog, als ob er wisse, dass seine dringlichste und schwerste Aufgabe darin besteht, einen gewissen Lionel Messi zu besänftigen.

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