Russland bei Olympia 2024:Große Fragen im Kleingedruckten

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Omnipräsent trotz Flaggenverbots: Russische Athleten werden 2024 unter den Ringen antreten. (Foto: David J. Phillip/AP)

Nachdem russische Athleten bei den Olympischen Spielen in Paris willkommen sind, bleiben zwei große Themen mit Zweifeln behaftet: die angebliche Neutralität der Sportler - und die Dopingproblematik.

Von Johannes Knuth

Der Tag danach rückte flugs wieder in den Dienst der Normalität, oder was man darunter in der olympischen Welt halt so versteht. Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), schlug am Samstag in Riad auf, machte dort Prinz Abdulaziz bin Turki bin Faisal bin Abdulaziz Al Saud die Aufwartung, dem Sportminister und Chef des Olympia-Komitees von Saudi-Arabien. Die staatlichen Nachrichtenagenturen protokollierten gewissenhaft, wie Bach die Sportstätten der Saudi-Spiele inspizierte, die derzeit stattfinden - ehe er mit dem Prinzen, auf Polstersesseln mit goldener Verzierung, "diskutierte", wie Saudi-Arabien sich gerade als Ausrichter und "permanenter Mittelpunkt für den globalen Sport" warmläuft. Auf zu neuen Ufern.

Es ist noch gar nicht so lange her, da öffnete nicht Saudi-Arabien die meisten Schatullen für den globalen Sport, sondern Russland. Zwar kommt das Land dafür schon länger nicht mehr infrage, seit sein großflächiges, staatlich abgeschirmtes Dopingsystem entblättert wurde. Andererseits steht es für sich, dass trotz Staatsdopings und eines brutalen Angriffskrieges so viel schon noch immer möglich ist: Athleten aus Russland werden bei den Sommerspielen 2024 in Paris starten können, das hat die Exekutive des IOC nun abgenickt.

Dobro poschalowat, herzlich willkommen in Paris!

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"Olympia als Waffe": Die Zulassung russischer Athleten bei den Spielen in Paris stößt auf Ablehnung in Kiew. Das Außenministerium unterstellt dem Internationalen Olympischen Komitee, damit den Krieg zu befeuern.

Und Bachs Ringe-Zirkel warf, nach monatelanger Vorbereitung, noch einmal alles in die Debatte, um zu zeigen, mit welcher angeblichen Härte er diese Freigabe begleitet. Es dürften nur einzelne Athleten in Paris starten, keine Mannschaften. Jeder müsse die (recht allgemein gehaltene) Friedensmission der olympischen Bewegung signieren, dürfe den Angriffskrieg in der Ukraine "nicht aktiv" unterstützen. Betreuer und Athleten, die beim Militär oder verwandten Einrichtungen unter Vertrag stünden, blieben ausgesperrt, wie sämtliche Fahnen, Hymnen und Abzeichen.

Die russische Propaganda wird wohl jeden heimischen Olympioniken als Erfolg feiern

Das IOC zitierte auch noch einmal diverse UN-Sonderbotschafter und Athletenvertreter, die zuletzt dafür plädiert hätten, Sportler nicht für die Taten von Kriegstreibern verantwortlich zu machen. Und es betonte, wie zornig die russische Seite die Sanktionen des IOC aufnehme. Zwar klassifizierte der russische Sportminister Oleg Matyzin die Vorgaben aus Lausanne jetzt tatsächlich als "diskriminierend". So richtig einig scheint man sich in Russland über die rechte Dosis an Zorn aber irgendwie nicht zu sein. Die frühere Eiskunstlauftrainerin Tatjana Tarassowa sprach im Portal "Sport Express" von einer "menschlichen Entscheidung" des IOC. Und einem "großen Sieg".

Der Konter aus Kiew klang da schon überzeugender. Es sei egal, so ließen sich die Reaktionen sinngemäß bündeln, ob zwei oder 200 russische Athleten in Paris auftauchten, ob in neutraler Montur oder im Harlekin-Kostüm. Die russische Propaganda werde jeden heimischen Olympioniken als Erfolg feiern, was mehr Menschen an die Front treiben werde - und dem IOC eine Mitschuld aufdrücke, die Ringe in Blut tränke, wie Ukraines Sportminister Matviy Bidniy sagte.

IOC-Präsident Thomas Bach. (Foto: Hansjürgen Britsch/Pressefoto Baumann/Imago)

Diese Argumente hatten zuletzt noch mal Nahrung erhalten. Die Verantwortung, welche russische Athleten unter angeblich ganz strikten Auflagen in den Weltsport zurückkehren, obliegt in erster Linie den einzelnen Weltverbänden. Und die hatten ihren Interpretationsspielraum bisweilen recht freimütig genutzt. Der Weltverband der Ringer, der auf seiner Homepage weiter zwei Exekutivmitglieder aus Russland listet, hatte etwa die Olympiasieger Saurbek Sidakow, Abdulraschid Sadulajew und Saur Ugujew zur WM im Sommer nach Belgrad geladen (wo Sidakow Gold gewann). Alle drei, so protokollierten es ukrainische Sportler in sozialen Medien, standen im März 2022 bei einer Kriegsdemo im Moskauer Luschnikistadion Staffage, wo Putin den Überfall auf die Ukraine legitimierte.

Oder Wladislaw Larin, Olympiasieger 2021 im Taekwondo, 2022 und 2023 siegreich bei internationalen Wettkämpfen in Albanien und China: Der hatte einst dazu aufgerufen, Spenden für die russische Armee einzutreiben.

Oder Judoka Madina Taimasowa, Dritte 2021 in Tokio und seit 2022 wieder international unterwegs, unter anderem bei der WM im vergangenen Mai in Katar. Eine Aufnahme zeigte Taimasowa vor einer Mauer, in der Putin mit Judoka posiert, unter dem Slogan: "Für Putin, für den Sieg, für das Volk!" Ob da nur völkische Erfolge auf der Matte gemeint waren?

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Russlands Antidoping-Agentur ist von der Wada noch gar nicht als regelkonform eingestuft

Das IOC betonte nun, dass man jeden russischen Athleten, den die Fachverbände für Paris vorschlagen werden, "unabhängig evaluieren" werde. Wie viele das sein könnten, blieb zunächst völlig offen. Thomas Bach hatte zuletzt auch erwähnt, dass man sich bei den Nachforschungen ja "auf unsere ukrainischen Freunde sehr verlassen" könne. Als sei das völlig normal: Die Angegriffenen erst die Kloake der russischen Kriegspropaganda durchwühlen lassen, dann zu Friedensspielen rufen. Aber selbst wenn sämtliche Prüfungen gewissenhaft verlaufen sollten: Was Russland nach Paris mit seinen Athleten und deren Erfolgen anstellt, können nicht mal die Friedensengel des IOC beeinflussen.

So blieb fürs Erste noch das zweite Thema offen: das großflächige Dopingproblem.

Die IOC erwähnte jetzt nochmals 10 500 Dopingproben, die allein in diesem Jahr von russischen Athleten eingereicht worden seien - Russland rangiere so "weiter unter den zehn meist getesteten Nationen". Die Welt-Anti-Doping-Agentur bestätigte auf SZ-Nachfrage indes, dass sämtliche dieser Proben von der russischen Anti-Doping-Agentur (Rusada) genommen wurden. Die ist von der Wada selbst nur noch gar nicht wieder als regelkonform eingestuft, nachdem sie über Jahre großflächig im Betrugssystem verstrickt war - und erst zuletzt in der Sportrechtsprechung vom Wada-Code abgewichen sei. Zwar verweist die Wada darauf, dass man sämtliche russische Dopingproben im Ausland analysiere; räumt aber selbst ein, dass sie mit Bezug auf Russland noch immer "misstrauisch" sei.

Auch spannend: Die Wada dementierte auf Nachfrage nicht, dass auch die russische Leichtathletik unter die vom IOC erwähnten 10 500 Proben fällt. Wie groß der Anteil der Leichtathleten in diesem Jahr bislang war, sagte die Wada nicht. Im vergangenen Jahr waren es laut Leichtathletik-Weltverband 2053 Proben. Russische Leichtathleten werden in Paris aber gar nicht starten - wegen des Angriffskrieges, betonte Weltverbandspräsident Sebastian Coe jetzt noch einmal. Seitenlange Anforderungskataloge und Neutralitätsprüfungen? Fehlanzeige.

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