Sommerspiele 2024:Ukraine kritisiert das IOC scharf

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Kontroverse Entscheidung: Thomas Bach, der Präsident des IOC, heißt die Russen wieder bei Olympia willkommen. (Foto: Laurent Gillieron/dpa)

"Olympia als Waffe": Die Zulassung russischer Athleten bei den Spielen in Paris stößt auf Ablehnung in Kiew. Das Außenministerium unterstellt dem Internationalen Olympischen Komitee, damit den Krieg zu befeuern.

Das IOC hat Fakten geschaffen. 22 Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und rund ein halbes Jahr vor den Sommerspielen in Paris hat das Internationale Olympische Komitee unter Vorsitz vom Thomas Bach am Freitag Athleten aus Russland und Belarus wieder in die olympische Familie aufgenommen. Der Bann für Sportler beider Länder wurde unter Auflagen aufgehoben - trotz des anhaltenden Blutvergießens in der Ukraine. Die Regierung in Kiew reagierte mit harscher Kritik auf die Entscheidung: Sie warf dem IOC vor, das Gegenteil der vermeintlichen "vereinigenden Kraft des Sports" zu erreichen - und statdessen der russischen Aggression neuen Auftrieb zu verleihen.

"Die Mitglieder des Exekutivkomitees des Internationalen Olympischen Komitees, die diese Entscheidung getroffen haben, tragen die Verantwortung dafür, dass sie Russland und Belarus ermutigen, ihre bewaffnete Aggression gegen die Ukraine fortzusetzen", teilte das ukrainische Außenministerium in einer Stellungnahme mit. Schon am Freitagabend hatte der ukrainische Außenminister Dmitro Kuleba erklärt, das IOC habe dem Kreml "grünes Licht gegeben, Olympia als Waffe zu benutzen". Jeder Athlet aus Russland und dem verbündeten Belarus werde nun zu Propagandazwecken benutzt.

Schwimmer Mychajlo Romantschuk sieht "Schande für den Sport"

Der ukrainische Schwimmer Mychajlo Romantschuk, Olympiazweiter von Tokio, nahm die Nachricht fassungslos entgegen. Er erinnerte am Rande der Kurzbahn-Europameisterschaften im rumänischen Otopeni an die 400 ukrainischen Athleten, die im Krieg getötet worden seien, an die andauernden russischen Angriffe auf Städte, Zivilisten und Sporteinrichtungen. Die Wiederzulassung sei deshalb eine "große, große Schande" für die Welt des Sports, schrieb er auf Instagram.

Zu den Bedingungen der Rückkehr, die das IOC vorgibt, gehört, dass Russen und Belarussen nur unter neutraler Flagge in Paris teilnehmen. Mannschaften sind nicht zugelassen. Die Nationalhymnen, nationale Symbole und Fahnen sind für die Athleten der beiden Länder untersagt. Außerdem dürfen sie keine Verbindung zur Armee und den Sicherheitsorganen haben und nicht aktiv ihre Unterstützung für den Krieg in der Ukraine gezeigt haben.

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Allerdings glaubt die Ukraine nicht an Neutralität. "Moskau wird bei den Wettkämpfen nicht weiße und neutrale Flaggen schwenken, wie das IOC vorschlägt, sondern den Triumph seiner Fähigkeit demonstrieren, die Verantwortung für den größten bewaffneten Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg abzugeben", argumentierte das Außenministerium. Die Kontroverse spaltet die Sportwelt also weiter. Zumal das IOC nicht nur gegen den Willen des ukrainischen Präsidenten Selenskij handelte, sondern auch gegen die Entscheidung von dreißig westlichen Ländern, einschließlich der USA und Deutschands, die vor Monaten schon einen kompletten Bann russischer und belarussischer Athleten gefordert hatten.

Innenministerin Faeser warnt vor Progapanda

Bundesinnenministerin Nancy Faeser äußerte am Wochenende ihre Sorge, dass womöglich nun die falschen Vertreter von Russland und Belarus nach Paris fahren. Die SPD-Politikerin rief das IOC und die internationalen Fachverbände auf, "sehr genau" zu "prüfen, dass russische und belarussische Einzelathleten konsequent ausgeschlossen werden, wenn sie den russischen Angriffskrieg in irgendeiner Weise unterstützen oder irgendeinen Bezug zur russischen Regierung und zum russischen Militär haben". Olympische Spiele finden nicht im luftleeren Raum statt, sagte sie. "Niemand darf die Augen davor verschließen, dass Russland weiter jeden Tag unzählige Menschen in der Ukraine tötet und seinen verbrecherischen Angriffskrieg mit unverminderter Brutalität weiterführt." Der "Kriegstreiber Putin" dürfe die Olympischen Spiele in Paris "keinesfalls für seine Propaganda nutzen", so Faeser.

Philip Krämer (Bündnis 90/Die Grünen), stellvertretender Vorsitzender des Sportausschusses, nannte die Wiederzulassung "das völlig falsche Signal". Es müsse "allen bewusst sein, dass der Einsatz für Russland in dem Fall bedeutet, dass man der Ukraine und seiner Bevölkerung die Solidarität verweigert", sagte er in einer Stellungnahme. Dagegen begrüßte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), der sich zuletzt auf die Linie des IOC begeben hatte, die nun "herrschende Klarheit" für alle Athleten.

In Russland hingegen, dem sich ewig missverstanden fühlenden Riesenreich, ging die Konzilianz der Ringeverwalter um Thomas Bach vielen Funktionären noch nicht weit genug. So kritisierte Sportminister Oleg Matysin eine Olympiateilnahme unter Auflagen am Freitag als "diskriminierend". Russland hatte schon bei den Winterspielen 2022 von Peking nur unter neutraler Fahne antreten dürfen - als Folge des systematischen Dopingbetrugs der Vergangenheit.

Sebastian Coe hält den Bann für Leichtathleten aufrecht

Bachs IOC hatte zuletzt verstärkt für die Rückkehr der russischen und belarussischen Athleten geworben. Unter anderem argumentierte es mit der Solidarität und Konsenzbildung unter den Athleten. So sei die "überwältigende Mehrheit der Athleten" angeblich der Ansicht gewesen, dass Sportler nicht für die Handlungen ihrer Regierung bestraft werden sollten.

Die Verantwortung hat die Ringe-Organisation mit der Entscheidung vom 8. Dezember, dem "vorgezogenen Weihnachtsgeschenk für Moskau und Minsk" ( Corriere della Sera), nun weitergegeben. Die Athleten müssen selbst entscheiden, wie sie dazu stehen. Und den Weltverbänden kommt wieder eine Filterfunktion zu. Der Leichtathletik-Weltverband hat am Wochenende noch einmal betont, dass er den Bann für Russen und Belarussen aufrechterhält. "Vielleicht werden Sie in Paris einige neutrale Athleten aus Russland und Belarus sehen, aber in der Leichtathletik wird das nicht der Fall sein", sagte World-Athletics Präsident Sebastian Coe.

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