DFB-Kapitänin Alexandra Popp:Tränen unter der Traube

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Nicht zu fassen: Alexandra Popp erzielt in ihrem ersten EM-Spiel gleich ein Tor, per Kopf - ihr Markenzeichen. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Nach langer Leidenszeit gibt Alexandra Popp gegen Dänemark ihr EM-Debüt - und trifft nach ihrer Einwechslung zum 4:0. Die Rückkehr der Stürmerin könnte für das DFB-Team im Turnierverlauf der entscheidende Joker sein.

Von Anna Dreher, London

Zwei, drei Schritte konnte Alexandra Popp noch gehen. Dann sank sie auf ihre Knie, beugte sich mit geneigtem Kopf vor und war fix und fertig. War das gerade wirklich passiert? Ihr erstes Spiel bei einer Europameisterschaft nach langer Leidenszeit - und dann gleich ein Tor?

Popp war derart bewegt, dass sie die Tränen nicht zurückhalten konnte. Beim Turnierauftakt des deutschen Fußball-Nationalteams war sie nach einer Stunde gegen Dänemark, den EM-Zweiten von 2017, eingewechselt worden. Mit ihrem Flugkopfball zum 4:0 setzte sie den Schlusspunkt hinter einen mutigen Auftritt, mit dem sich die Deutschen international eindrucksvoll zurückgemeldet haben.

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Dem deutschen Nationalteam gelingt der so wichtige Auftaktsieg auf überzeugende Art und Weise. Gegen Dänemark gewinnt die DFB-Auswahl nach einem fulminanten Spiel mit 4:0.

Von Anna Dreher

Ergriffen waren nach dem Abpfiff alle. So emotional wie für Popp aber war der Freitagabend für keine: "Die ein oder andere Träne ist geflossen, als das Tor gefallen ist. Da musste ich mich kurz verstecken unter der Traube der Mannschaft", sagte sie vor dem Brentford Community Stadium im Westen Londons. "Das erste EM-Spiel meiner Karriere mit einem Tor und so einem deutlichen Sieg zu krönen - was Besseres gibt es nicht." Vor der EM 2013 riss Popp ein Außenband im Knie, 2017 im Trainingslager der Außenmeniskus. Und 2021 hätte sie ebenfalls zuschauen müssen, wenn das Turnier nicht wegen der Pandemie auf 2022 verschoben worden wäre.

Wie wichtig Popp für das Nationalteam ist, hat die Bundestrainerin oft betont

Monatelang war Popp aufgrund einer Knorpelverletzung ausgefallen, ehe sie im Januar wieder für den VfL Wolfsburg spielte. Doch nach dem Einsatz in einem Testspiel schwoll das Knie an, Popp musste zum zweiten Mal operiert werden, wieder wochenlang Pause. Die Frage war: Wird das noch was mit der EM? Das Knie hielt der Belastung schließlich stand, im April kehrte Popp in der WM-Qualifikation gegen Portugal auch im Nationaltrikot nach einem Jahr auf den Platz zurück - und wurde schon damals auf für sie ungewohnte Weise von ihren Gefühlen überwältigt: "Man sieht mich selten weinen, aber in dem Moment sind tatsächlich die Tränen gekullert."

Ausgerechnet Popp wurde dann als Einzige im Trainingslager auch noch vom Coronavirus erwischt und in ihrer EM-Vorbereitung zurückgeworfen. Mehrere Tage musste sie sich isolieren, mehr als Kraftübungen waren nicht drin. Nach ausgiebigen kardiologischen Untersuchungen stand aber rechtzeitig vor der Abreise fest: Die Kapitänin geht an Bord, sie kann tatsächlich ihre erste Europameisterschaft bestreiten, mit 31 Jahren, nach 114 Länderspielen, sieben Meister-, neun Pokal- und zwei Champions-League-Titeln sowie Olympiagold 2016.

Der 54. Länderspieltreffer war ein besonderer: Alexandra Popp wird von Jule Brand und Sydney Lohmann (rechts) beglückwünscht. (Foto: Alex Pantling/Getty)

Gegen Dänemark kam sie in der 61. Minute auf den Platz für Lea Schüller, die zuvor das 2:0 erzielt hatte. 25 Minuten später flog Popp nach einer idealen Flanke von Sydney Lohmann vor 15 746 Menschen im Stadion und fast sechs Millionen ZDF-Zuschauern durch den Strafraum. "Der Ball von Syd war wirklich überragend gespielt und ich hab ihn in alter Popp-Manier reingehauen mit dem Kopf", sagte sie zu ihrem 54. Länderspieltreffer.

Die DFB-Frauen strahlen jene Überzeugung aus, die sie zuletzt vermissen ließen

Wie wichtig Popp als Typ und Anführerin auch abgesehen von ihren Toren ist, das hat Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg oft betont. Die beiden kennen sich seit vielen Jahren. Als Popp 2008 in der Bundesliga debütierte, stand Voss-Tecklenburg beim FCR 2001 Duisburg an der Seitenlinie. "Poppi hatte keinen einfachen Weg. Es ist nicht selbstverständlich, da die mentale Stärke zurückzugewinnen", sagte die 54-Jährige nun. Dass im Vorfeld auch Kritik und die Frage nach Popps Fitness aufgekommen waren, habe die Erfahrenste im deutschen EM-Kader beschäftigt und mitgenommen: "Wir haben versucht, ihr den Glauben zu geben, dass wir sie in diesem Turnier brauchen mit ihrer Art, weil sie der Mannschaft ein gutes Gefühl gibt und auch beim Gegner etwas auslöst", betonte die Trainerin.

Nach drei Jahren ohne große Herausforderung war unklar, wie stark das deutsche Team gerade wirklich ist. Die Partie gegen Dänemark mit Weltklasse-Stürmerin Pernille Harder hat nach der ungewohnt langen Vorbereitungszeit nun eine erste Antwort geliefert. "Die haben sehr viel Power und sind sehr überzeugt von dem, was sie tun", sagte Harder. Deutschland ist nach den Viertelfinal-Enttäuschungen bei der EM 2017 und der WM 2019 wieder auf die Liste der ernstzunehmenden Titelaspiranten gerückt.

Wie aggressiv, selbstbewusst und unermüdlich das eigene Spiel aufgezogen und das dänische unterbunden wurde, war eindrücklich. Die DFB-Frauen strahlten in England jene Überzeugung, Energie und Präsenz aus, die sie zuletzt vermissen ließen. "Ich glaube schon, dass wir den Gegnerinnen gezeigt haben, dass mit uns zu rechnen ist", sagte Popp.

"Wenn es am Ende so läuft, dass Lea erst alle müde spielt, und dann komm ich rein und darf vollstrecken, bin ich damit auch völlig fein", sagt Alexandra Popp. (Foto: John Sibley/Reuters)

Der Spielverlauf hat gezeigt, dass die vor dem Turnier eingeschlagene Richtung die richtige zu sein scheint. Die Defensive stand stabil, die Offensive wirbelte kreativ. Die Deutschen hatten zahlreiche gute Torchancen, trafen unter anderem zwei Mal die Latte und ein Mal den Pfosten. Und an den Treffern waren nach dem 1:0 durch Lina Magull (21. Minute) und dem 2:0 von Schüller (57.) direkt oder indirekt allesamt Einwechselspielerinnen beteiligt: Lena Lattwein - ebenfalls erstmals bei einer EM - traf zum 3:0 (78.), die Vorarbeit zum 4:0 erledigten Jule Brand und Lohmann.

Alexandra Popp dürfte weiterhin für die Joker-Rolle vorgesehen sein. Voss-Tecklenburg deutete an, dass die auf der Neunerposition angreifende Kapitänin "vielleicht auch nicht im zweiten oder dritten" Spiel über 90 Minuten eingesetzt werde. Lea Schüller vom FC Bayern zeigte sich laufstark und torgefährlich, das erkannte auch Popp an. Es sei ein großer Mehrwert, zwei solche Stürmerinnen zu haben: "Wenn es am Ende so läuft, dass Lea erst alle müde spielt und dann komm ich rein und darf vollstrecken, dann bin ich damit auch völlig fein."

Popp und ihre Mitspielerinnen haben sich von viel Druck befreit. Die große Qualität im gesamten Kader kam zur Geltung, ebenso der während der drei Trainingslager gewachsene Zusammenhalt. Beides wird auch im zweiten Gruppenspiel am Dienstag (21 Uhr, ARD) gegen Spanien gefordert sein, das zum Auftakt gegen Finnland überlegen 4:1 gewann und auch ohne die verletzte Weltfußballerin Alexia Putellas zu den Titelkandidaten zählt. Zu diesem Kreis gehört das deutsche Team spätestens jetzt aber auch wieder.

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