Toni Kroos im DFB-Team:Regisseur in Nebenrolle

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Ist das eines der letzten Bilder im Trikot der Nationalmannschaft? Toni Kroos im EM-Achtelfinale im Wembleystadion. (Foto: Ulmer/imago)

Für den rege kritisierten Mittelfeldmann war es eine seltsame Europameisterschaft. Ob er mit 31 im DFB-Team weitermacht, ist offen. Am Verhältnis zum neuen Bundestrainer dürfte eine Fortsetzung nicht scheitern.

Von Philipp Selldorf, München

Dass der Schiedsrichter Manuel Gräfe den DFB wegen "Altersdiskriminierung" verklagt, mag seltsam klingen, ist aber wahr. Gräfe wehrt sich vor Gericht gegen das Regelwerk des Verbandes, das Schiedsrichtern eine Altersgrenze von 47 Jahren vorschreibt. Bei Fußballern gibt es diese in der Tat willkürlich und unsinnig anmutende Altersgrenze glücklicherweise nicht. Andernfalls wären die EM-Einsätze von Portugals Pepe, 38, oder von den Italienern Giorgio Chiellini, 36, und Leonardo Bonucci, 34, wohl ungesetzlich gewesen. Auch der Kroate Luka Modrić, 35, hätte dann vermutlich bereits in den Ruhestand eintreten müssen.

Eine populäre Redensart der Branche besagt, dass man nicht zwischen jungen und alten Spielern unterscheiden soll, sondern zwischen guten und schlechten. Die EM hat bestätigt, dass an dieser Redensart durchaus etwas dran ist. Der Abwehrexperte Pepe zum Beispiel, zuletzt beunruhigend zahm in Erscheinung getreten, hat vor ein paar Tagen mit seinem blitzsauberen Sabotagefoul gegen Thorgan Hazard nachgewiesen, dass er vom Handwerk als Raubein nichts verlernt hat.

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Das Duett Chiellini & Bonucci brilliert bis zum Beweis des Gegenteils immer noch als zeitloser Klassiker, und Modrić mag nicht mehr ganz das zeitgemäße Tempo haben, aber er bleibt ein fantastischer Spieler mit einer fantastischen Hingabe. Und wenn es Klagen über den 36 Jahre alten Cristiano Ronaldo gibt, dann nicht wegen seines Alters, seiner ungenügenden Torquote oder mangelhafter Geschwindigkeit. Die Torquote hat er mit fünf Treffern sogar übererfüllt.

Zum Thema Zukunft hat sich Kroos bisher ausgeschwiegen

Nach dem deutschen Aus in Wembley setzte hierzulande sofort eine Debatte über die vermeintlich "alten" Leute in der Nationalelf ein. Selbst der erst 30-jährige İlkay Gündoğan wird zur Disposition gestellt, und der 31-jährige Toni Kroos hätte sowieso schon längst Anzeige gegen unbekannt wegen Altersdiskriminierung stellen können. Immer wieder wird behauptet, im modernen Tempofußball sei kein Platz für den unbestreitbar nicht besonders sprintstarken Passspezialisten Kroos. Das Fachmagazin Kicker versieht ihn unter anderem deshalb ("zu wenig Dynamik") mit einem roten Punkt. Soll bedeuten: "wenig Perspektive" in Hansi Flicks neuem Nationalteam.

Ob Kroos überhaupt eine Perspektive haben möchte, ist allerdings noch nicht bekannt. Zum Thema Zukunft hat er sich bisher ausgeschwiegen, auch seine Umgebung verhält sich diskret. Es wird wohl darauf hinauslaufen, dass wie nach der total missglückten WM 2018 in Russland der Familienrat ein Grundsatzurteil spricht. An Hansi Flick oder am Verhältnis der beiden Männer zueinander dürfte eine Fortsetzung der Kroos-Karriere im Nationalteam nicht scheitern. Es gibt keine Vorbehalte, weder menschlich noch sportlich. Die zeitliche Nähe des nächsten Turniers - die WM in Katar beginnt bereits in sechzehneinhalb Monaten -ist vielleicht ein Argument, um weiterzumachen. Aber unklar ist, ob Flick dem anspruchsvollen Real-Profi seinen bisherigen Status auch weiterhin garantieren mag.

Mit 36 Jahren zu alt für Profifußball? Auf die Idee würde beim portugiesischen Ausnahmekönner Cristiano Ronaldo (li.) wohl niemand kommen. Die Torquote hat er mit fünf Treffern übererfüllt. (Foto: Thanassis Stavrakis/AFP)

Wenn jetzt rückblickend kritisiert wird, dass Toni Kroos in den vier Turnierspielen zu wenige Steilpässe gespielt hätte, dann ist das nicht falsch. Aber zur ganzen Wahrheit gehört dann auch, dass er in der Rolle, die er versehen musste, kaum Gelegenheit für öffnende Zuspiele hatte. Einerseits, weil er systembedingt vorwiegend in eine defensive Position gezwungen wurde, andererseits, weil sich die deutschen Offensivspieler zu selten in Räumen bewegten, in denen sie Steilpässe hätten empfangen können.

Anerkennung erhielt der verhinderte Regisseur dagegen für sein kämpferisches Engagement, das beim Event in Russland noch Gegenstand von teaminternen Beschwerden war. Für Kroos war es daher ein seltsames Turnier: Er war Stammspieler, aber er spielte nicht mehr als eine tragende Nebenrolle. Der Rückkehr zu Real Madrid wird er daher vermutlich gern entgegensehen. Im königlich weißen Ballett werden wieder seine künstlerischen Neigungen gefragt sein - unter anderem an der Seite der alten Kameraden Modrić und Casemiro.

Würde Kroos nun aus privaten Gründen die Nationalmannschaft verlassen, würde sich das Bedauern in Deutschland vermutlich in Grenzen halten. Seine spielerische Art wird oft missverstanden. Es käme also darauf an, ob Flick ihm den Platz geben mag, auf dem Kroos für die Nationalelf wieder wertvoll sein kann. Am Alter sollte es auf keinen Fall scheitern.

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