Achtelfinale der Fußball-WM:Frankreich spielt wie verwandelt

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Zwei Tore fürs Viertelfinale: Eugenie Le Sommer schießt Frankreich in die nächste Runde - nun geht es gegen Gastgeber Australien. (Foto: Franck Fife/AFP)

Die Französinnen gewinnen klar 4:0 gegen Marokko und stehen im Viertelfinale. Grund für die neue Stärke ist nicht zuletzt eine Spielerinnenrevolte, die einen Trainerwechsel nach sich zog.

Von Anna Dreher, Adelaide

So richtig überbordend war die Freude nicht in Adelaide, die Siegerinnen zeigten ein zufriedenes Lächeln, das musste reichen. Zu eindeutig war dieses Fußballspiel eben zu Ende gegangen, zu erwartbar war der Sieg Frankreichs gegen Marokko im abschließenden Achtelfinale dieser Weltmeisterschaft gewesen. Und zu eng die Verbindung zum Gegner.

Viele Spielerinnen und Betreuer in Blau und Rot kennen sich, insgesamt neun Teilnehmerinnen hätten aufgrund ihrer Wurzeln für beide Nationen spielen können. Sechs Marokkanerinnen stehen in Frankreich unter Vertrag. Als Marokkos Trainer Reynald Pedros nach dem 4:0 in eine dicke Winterjacke gepackt bei Frankreichs Abwehrchefin Wendie Renard angekommen war, umarmten sich die beiden und schäkerten, zweimal haben sie mit Olympique Lyon die Champions League gewonnen. Überhaupt gab es weniges stoisches Abklatschen, Frankreichs Trainer Hervé Renard wiederum hat früher mal Marokkos Männer trainiert. Und irgendwie konnten auch die Verlierer mit dem Ergebnis leben.

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"Dass wir rausgeflogen sind, soll uns nicht unseren tollen Lauf vermiesen", sagte Pedros: "Heute hat es an einigen Punkten gefehlt, aber wir sind trotzdem weit gekommen. Ich bin sehr stolz, das war historisch." An diesem Abend hatten schließlich viele damit gerechnet, dass Frankreichs Gegner Deutschland heißen würde. Doch im dritten Gruppenspiel gewann Marokko 1:0 gegen Gruppensieger Kolumbien, während die Deutschen nur Remis gegen Südkorea spielten. Dieses eine Tor hatte für Marokko das Weiterkommen bedeutet und für die Deutschen das Aus und schlechteste Ergebnis bei einer WM oder EM.

Marokkos Einzug ins Achtelfinale zeigt, dass in dem Land zuletzt massiv in Fußball investiert wurde

Die Marokkanerinnen bemühten sich redlich, die nächste Sensation zu schaffen, doch vor 13 557 Zuschauern im kleinsten Stadion dieses Turniers dürften sie früh erkannt haben, dass dies nicht klappen sollte. Nach einer Viertelstunde kombinierten sich die Französinnen sehenswert über die linke Seite, Sakina Karchaoui flankte aufs Tor, Kadidiatou Diani lenkte den Ball kaltschnäuzig hinein. Fünf Minuten später wurde Diani zur Vorlagengeberin für Kenza Dali, die den Ball aus 15 Metern mit einen Zwischenstopp am linken Pfosten zum 2:0 reindonnerte.

Es ins Achtelfinale geschafft zu haben, war für Frankreich das Minimum. Für Marokko war es eine Errungenschaft. Im Dezember 2022 hatte Marokko als erstes afrikanisches Land bei den Männern das WM-Halbfinale (ebenfalls gegen Frankreich) erreicht. Nun waren die Frauen die Ersten, die es bei ihrer WM-Premiere in die K.o.-Phase geschafft hatten. So überraschend dieses Resultat wirkte und so unverhofft es kam - der Weg dorthin war geplant. 2009 hatte König Mohammed VI eine Fußballakademie gegründet, er gilt als großer Fußballförderer, der genauso die Frauen unterstützt. Sie sollen die gleichen Bedingungen genießen wie die Männer.

Als feststand, dass der Afrika-Cup der Frauen 2022 in seinem Land stattfinden würde, wurde mehr investiert und die Liga professionalisiert. Die afrikanische Champions League hat der marokkanische Klub AS FAR gewonnen, beim Afrika-Cup erreichten die Marokkanerinnen das Finale. Dass Ende 2020 Reynald Pedros das Team als Trainer übernahm, half überdies bei der Entwicklung. Der frühere französische Nationalspieler gewann als Coach nicht nur zweimal die Königsklasse mit Lyon, er wurde 2018 überdies als Welttrainer ausgezeichnet. "Ich bin so stolz auf das Team. Wir gehören zu den besten 16 Mannschaften der Welt", hatte er vor der Partie gesagt. "Vor drei Jahren waren wir noch dabei, ein Team aufzubauen."

Mit Hervé Renard an der Seitenlinie wirkt es, als sei die Atmosphäre im französischen Nationalteam weniger angespannt. (Foto: Franck Fife/AFP)

Dass in so kurzer Zeit die Leistungslücke zu einem mit internationalen Routiniers gespickten Kader nicht geschlossen werden kann, stand dann endgültig in der 22. Minute fest: Wieder wurde Diani zur Vorlagengeberin, nach einem langen Ball gewann sie einen Zweikampf und bediente Eugénie Le Sommer optimal, Frankreichs Rekord-Torjägerin bei WM-Endrunden traf diagonal links unten. Spätestens das war die Entscheidung - und das 4:0 in der 70. Minute von Le Sommer, die freistehend am langen Pfosten nur noch einnicken musste, eine reine Zugabe.

Einer Spielerinnenrevolte folgte die Entlassung der Trainerin

Dass die 34-Jährige mit ihrem Doppelpack dafür sorgte, dass Frankreich im Viertelfinale am Samstag in Brisbane auf Gastgeber Australien trifft, stand für die Verwandlung dieses Teams in den vergangenen Monaten. Im Februar waren Kapitänin Wendie Renard sowie Kadidiatou Diani und Marie-Antoinette Katoto vorläufig aus dem Nationalteam zurückgetreten. Sie forderten Veränderungen und leiteten mit ihrem Schritt eine Revolte gegen Corinne Diacre ein. Mit ihr hatten sie bei der EM zwar das Halbfinale erreicht, doch dieser Erfolg konnte nur bedingt all die Risse verdecken. Im März musste die umstrittene Trainerin gehen - und Frankreich suchte viereinhalb Monate vor der WM einen neuen Chefcoach.

Es übernahm: Hervé Renard, der dafür den sicher gut dotierten und bis 2027 geschlossenen Vertrag bei Saudi-Arabiens Männern schmiss und dem Ruf seiner Heimat folgte. Mit ihm kehrten auch unter Diacre ausgemusterte Spielerinnen wie Le Sommer zurück. Sie mit mehr als 180 Einsätzen und Renard mit mehr als 140 Partien bringen die meiste Erfahrung im Kader von Les Bleues mit. Und zumindest nach außen wirkt es, als sei die Atmosphäre nun nicht mehr von Spannungen geprägt, sondern von Harmonie und Leichtigkeit.

Dabei gilt Renard in seinem Spielstil alles andere als sanft, er will, dass seine Teams aggressiv und überzeugt auftreten - und sieht vor allem in der großen Aufgabe, nun gegen ein ganzes Land anzutreten, keinen Grund für das Ende der WM-Reise. "Wir haben die Fähigkeit, das zu schaffen", sagte der 54-Jährige am Dienstagabend. "Aber man will natürlich immer mehr." Zum Beispiel seinen Coup bei der Männer-WM 2022 in Katar toppen: Da führte Renard das Team Saudi-Arabiens in Katar zu einem sensationellen 2:1 gegen den späteren Titelträger Argentinien um Lionel Messi.

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