Die Tribünen entlang der Geraden sind von den T-Shirts der Tausenden Fans wieder in diese eine knallige Farbe gehüllt worden, ganz so, wie auf den Plakaten angeregt: Tauch ein in die See aus Orange! Die Szenerie am Circuit Park Zandvoort wirkte wie ein Animationsprogramm im XXL-Format, überall hüpften und tanzten Menschen im Rhythmus der dröhnenden Musik und freuten sich. Kurz war die Stimmung gedämpft, als Max Verstappen beim ersten Training am Freitag seinen Boliden mit Getriebeproblemen abstellen und zu Fuß zur Box musste. Wie der 24-Jährige dabei winkte, steigerte die Euphorie aber schnell wieder, da grüßte ja nicht nur der Landsmann und Liebling, sondern auch der designierte Weltmeister.
Seit seinem Sieg in Spa vergangenen Sonntag führt Verstappen die Gesamtwertung der Formel 1 deutlich an. Er ist in seinem Red Bull bisher so souverän aufgetreten, dass er vorzeitig seinen Titel verteidigen dürfte, die WM gilt als entschieden. Im Fahrerlager werden also andere Themen diskutiert, vor allem, wer nächste Saison wo fahren wird - oder womöglich nicht mehr dabei ist. Und im Zentrum des Ganzen steht Mick Schumacher.
In Zandvoort saß er bei der Pressekonferenz recht entspannt in einem der roten Drehstühle. An seiner Sitzhaltung änderte sich während der Runde wenig, doch sein Gesichtsausdruck und die Art und Weise, wie er antwortete, zeigten, wie unangenehm ihm die Fragen zu seiner Zukunft sind. In seinem Blick lag eine gewisse Unsicherheit. Wie auch am besten reagieren, wenn eine wirkliche Aussage nicht möglich ist, weil noch so viel passieren kann? Der 23-Jährige entschied sich für Zurückhaltung. Ob er eine dritte Saison beim Team Haas bleiben wird, diese Frage ließ er unbeantwortet und sagte lieber, dass er sich darauf freue, dieses, nächstes und auch die kommenden Wochenenden Rennen zu fahren. Er denke, dass das Auto stark sein werde und hoffe, wieder Punkte holen zu können.
Oscar Piastri darf für McLaren fahren - nach fünf Tagen wird die Entscheidung des Schiedsgerichts bekannt gegeben
Das war nicht wirklich aussagekräftig, hatte aber einen relevanten Kern. Denn Punkte sind für ihn nun besonders wichtig: Schumacher muss zeigen, was er kann - und überzeugen. Jede schnelle Runde hilft, jeder zusätzliche Zähler auf dem Konto spricht für ihn. In Silverstone und in Spielberg hat er bisher zwölf WM-Punkte gesammelt, damit ist er Fünfzehnter. Sein Garagennachbar Kevin Magnussen kommt mit 22 Punkten auf Platz elf. Schumacher fiel mit zwei Unfällen negativ auf, zuletzt war er jedoch der Stärkere im VF-22. Während der Vertrag mit Magnussen verlängert wurde, betont Teamchef Günther Steiner, bei der Vergabe des zweiten Cockpits keinen Grund zur Eile zu sehen. "Warum sollten wir zu einer Entscheidung drängen, nur weil man eine Antwort haben will?", fragte der 57-Jährige am Donnerstag, zurückgelehnt an einem Tisch im weißen Haas-Motorhome sitzend, umringt von Journalisten. Sich jetzt festzulegen könne bedeuten, eine falsche Entscheidung zu treffen und diese zu bereuen.
Dass ein Team wie Haas überhaupt über Alternativen nachdenken kann, liegt am verbesserten Auto. Und an jener komplexen Konstellation, die so viele beschäftigt und die Sebastian Vettel mit der Bekanntgabe seines Rücktritts Anfang August erst herbeigeführt hat. Seinen Platz bei Aston Martin hat sich der Spanier Fernando Alonso geschnappt. Für Alonso wiederum war bei Alpine das hochgepriesene und von den Franzosen geförderte Talent Oscar Piastri vorgesehen. Der 21-jährige Australier will aber lieber für McLaren fahren. Am Montag setzte sich ein Schiedsgericht wegen der Posse zusammen, am Freitagnachmittag kam die Mitteilung des Automobil-Weltverbandes: Der einzige anzuerkennende Vertrag sei jener zwischen McLaren und Piastri datiert auf den 4. Juli 2022 - Piastri sei berechtigt, für diesen Rennstall zu starten.
Dort fuhr bisher Daniel Ricciardo, der für 2023 durch die vorzeitige Trennung ebenfalls auf dem Markt ist. Außerdem laufen die Kontrakte von Nicholas Latifi bei Williams, Guanyu Zhou bei Alfa Romeo und Yuki Tsunoda bei AlphaTauri aus. Um alles noch komplizierter zu machen, wird dessen Teamkollege Pierre Gasly bei Alpine ins Spiel gebracht und Ex-Alfa-Romeo-Pilot Antonio Giovenazzi bei Haas. Nicht zuletzt, weil Letzterer in Monza und Austin Testfahrten absolviert. Der Italiener ist wie Schumacher auch Ersatzfahrer für Ferrari.
Haas? Alfa Romeo? Alpine? Williams? So einfach kann zwischen den Teams nicht gewechselt werden
Fünf Cockpits sind also noch frei für 2023. Ihre Besetzungen hängen miteinander zusammen und unterliegen gewissen Verbindungen. Schumacher beispielsweise ist ein Zögling von Ferrari, das enge Beziehungen zu Alfa Romeo und Haas pflegt. Hinter Alpine steckt Renault, Williams arbeitet mit Mercedes zusammen. Ganz so einfach können die Stühle nicht gewechselt werden.
Zwischen Spa und Zandvoort kam zu all den Spekulationen das Gerücht auf, dass Schumacher nach diesem Jahr nicht mehr Teil des Nachwuchsprogramms der Scuderia sei. Ferrari äußerte sich dahingehend, dass die weitere Entwicklung beobachtet werde und es zu früh für ein Urteil sei. Schumacher sagte: "Was zwischen uns diskutiert wird, behalte ich lieber unter uns und spreche nicht öffentlich darüber." Nicht mehr zur Ferrari-Akademie zu gehören, würde zwar die Bindung zum Traditionsrennstall schwächen, mit dem sein Vater Michael fünf seiner sieben WM-Titel gewann. Andererseits brächte ihm das mehr Freiheit für andere Optionen.
Alpine-Fahrer Esteban Ocon würde gerne mit Schumacher fahren. "Die Leute wissen, dass meine Wahl Mick wäre", sagte der Franzose. "Er ist ein toller Kerl und könnte sehr Gutes zeigen, wenn er ein konkurrenzfähiges Auto hat." Auch Vettel bekräftigte in Zandvoort seine hohe Meinung. "Ich wäre überrascht, wenn Mick keine Chance mehr erhält. Er verdient ein Cockpit, er ist besser, als die Leute denken", sagte der viermalige Weltmeister. Schumacher sei unglücklich in die Saison gestartet und dafür ungerechtfertigt viel kritisiert worden, zuletzt habe er starke Rennen gezeigt: "Ich weiß, dass da noch mehr kommen wird." Zu Schumachers Fürsprechern zählt auch einer der mächtigsten Männer im Motorsport: "Er verdient es, in der Formel 1 zu fahren, und zwar nicht wegen seines Namens. Er hat die Fähigkeiten, um hier zu sein", sagte Formel-1-Chef Stefano Domenicali neulich, der unabhängig von persönlicher Wertschätzung gerne weiterhin einen deutschen Fahrer im Feld hätte.
Als Mick 2021 in die Königsklasse kam, war sein Aufstieg begleitet von viel Freude und Euphorie. Erinnerungen an den Papa kamen auf, endlich würde wieder ein Schumacher in der Formel 1 fahren. Es ist schwer vorstellbar, dass seine Zeit nach nur zwei Jahren als Stammfahrer unterbrochen oder gar beendet sein könnte. Ausgeschlossen aber ist es nicht.