Hamilton in der Formel 1:Der Mann, der ihm die Schmerzen zufügte

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Wird interessiert beobachten, ob die Formel 1 ihren Rennleiter fallen lässt: Lewis Hamilton. (Foto: Zak Mauger/AFP)

Nach dem denkwürdigen Finale der Formel-1-Saison tauchte Lewis Hamilton für zwei Monate ab. Nun ist er zurück - und dürfte mit Spannung ein Urteil über Rennleiter Michael Masi erwarten.

Von Philipp Schneider, München

Dafür, dass Lewis Hamilton in den vergangenen Wochen halt einfach mal nichts unternommen hat, ist die Aufregung um dieses Nichts enorm. Das muss man erst einmal hinbekommen. Und noch etwas ist ihm gelungen: Er hat ein Rätsel aufgelöst, indem er ein neues Rätsel geschaffen hat.

"Ich war weg! Jetzt bin ich zurück", schrieb er vor einigen Tagen auf Instagram. Dazu teilte er ein Bild, auf dem er in schreiend bunten Anziehsachen schelmisch grinst. Im Hintergrund: der Grand Canyon. Warum der Grand Canyon? Man weiß es nicht. Weitere wuchtige Fragen schießen sich an: Wer hat das Foto aufgenommen? Es ist ja kein Selfie, sondern aus der Distanz geschossen. Hat Hamilton ein Stativ dabei gehabt und einen Selbstauslöser programmiert? Entstand die Aufnahme also am Ende einer einsamen Pilgerfahrt entlang des Colorado Rivers, auf der Hamilton auf der Suche nach innerer Einkehr den Flug der Wanderfalken studierte? Oder hat ihn doch ein Helikopter samt professionellem Studio-Equipment und Fotografen für einen Schnappschuss auf der Klippe abgesetzt und gleich wieder fortgeflogen, um eine knackige politische Botschaft zu arrangieren?

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Etwas Erfreuliches zum Jahresausklang: Lewis Hamilton wird wenige Tage nach dem enttäuschenden Saisonfinale von Charles, dem Prinzen von Wales, auf Schloss Windsor zum Ritter geschlagen. (Foto: Dominic Lipinski/dpa)

Was man weiß: 2,4 Millionen Menschen bekundeten ihre Begeisterung über das Comeback am Canyon, indem sie digitale Herzchen verteilten. Hamilton hatte zwar nie behauptet, dass er über ein Karriereende nachdenke - das hatte nur sein Teamchef Toto Wolff insinuiert. Aber er hatte sich durchaus kurz vor Weihnachten von Prinz Charles zum "Sir" schlagen lassen, und ansonsten in der Öffentlichkeit nur geschwiegen, Beiträge gelöscht und gefehlt seit dem 12. Dezember 2021, jenem dritten Advent, an dem er es verdient gehabt hätte, den achten wuchtigen Pokal seiner Karriere überreicht zu bekommen und damit zum nach der Zahl seiner Titel Besten zu werden, den es jemals gab in der Formel 1.

Hamilton war kürzlich zu Besuch in der Zentrale seines Teams. Er hat sich einen Sitz anpassen lassen für die kommende Saison

Tatsächlich verdichten sich nun die Hinweise, dass der inzwischen 37-Jährige gewillt ist, Revanche zu nehmen für die Genese des irrwitzigen Saisonfinals in Abu Dhabi. Ein Endspiel, an dessen Höhepunkt der Rennleiter Michael Masi mit einer flexibel-anarchischen Safety-Car-Steuerung faktisch entschieden hatte, dass Max Verstappen Weltmeister werden möge und nicht Hamilton. So wurde der Brite nach seinem verschmitzten Blick in den Grand Canyon in dieser Woche schon wieder gesichtet in der Zentrale des Teams Mercedes in Brackley, wo er sich einen Sitz für die kommende Saison anfertigen ließ.

Andererseits: Sollte Hamilton wegen seiner schmerzhaften Erfahrungen in Abu Dhabi tatsächlich jemals an einen Abschied aus der Formel 1 gedacht haben (was er nie behauptet hat, jedoch nicht unwahrscheinlich ist), so dürfte er diese Option noch immer nicht ausschließen. Denn erst in der kommenden Woche wird er erfahren, ob der Mann seinen Job behält, der ihm die Schmerzen zufügte. Dann ist mit dem Ergebnis einer Untersuchung zu rechnen, die der Automobil-Weltverband Fia zur Analyse der chaotischen Vorkommnisse des Finals in Auftrag gegeben hatte.

Weltmeister 2021 nach einem umstrittenen Abschlussrennen: Der niederländische Formel-1-Pilot Max Verstappen. (Foto: ANP/imago)

Garantiert kein Zufall ist, dass sich nun - wenige Tage vor der erwarteten Entscheidung über Rennleiter Masis Zukunft - auf Twitter, dem bekanntlich gerne mal hyperventilierenden Spross des Internets, der Hashtag #F1xed außerordentlicher Beliebtheit erfreute; und von den Medien in Hamiltons Heimatland genüsslich aufgegriffen wurde. Denn #F1xed ist Wasser auf die Mühlen derer, die sagen, Masi hab sich beim Saisonfinale vor seiner titelentscheidenden Freigabe des Rennens in der letzten Runde einlullen lassen von den Funksprüchen des Teams Red Bull. Zumindest noch mehr als von den Sprüchen des Teams Mercedes.

Was sich Engländer und andere Hamilton-Fans gerade rauf, runter und immer wieder anhören, das ist ein knarzendes Fundstück von Verstappens Sportdirektor Jonathan Wheatley. In diesem rät er Masi, wie dieser mit den überrundeten Autos verfahren solle, die sich während der finalen Safety-Car-Phase zwischen Hamilton und dem auf frischen Reifen rollenden Verstappen befanden und damit quasi dem Niederländer im Weg standen.

"Diese überrundeten Autos...", funkte Wheatley: "Du musst nicht abwarten, bis sie sich wieder zurückgerundet haben. Du musst sie nur aus dem Weg schaffen, und schon haben wir ein Autorennen." Im englischen Wortlaut sagte Wheatley: "You only need to let them go, and then we've got a motor race on our hands."

Das Hamilton-Lager ist empört: Rennleiter Masi redete mit geborgten Worten

"Understood", funkte daraufhin Masi. Und als der Rennleiter dann exakt so handelte - also nur die fünf Fahrer zwischen Hamilton und Verstappen nach vorne fahren, diese sich aber nicht komplett zurückrunden ließ, weil es zu lange gedauert hätte, um das Rennen abermals zu starten -, da ereiferte sich Toto Wolff unmittelbar und rief in sein Mikrofon, diese Entscheidung sei "so so not right". Woraufhin Masi dem Mercedes-Teamchef erwiderte: "Toto, it's called a motor race, okay?"

A motor race. Derselbe Wortlaut. Dieselbe Begründung. Wheatley und Masi wollten gleichermaßen eine finale Entscheidungsrunde und keine Polonaise hinter dem Safety Car bis zur Zieldurchfahrt. Und für eine Wiederaufnahme des Rennens kurz vor Schluss mussten, darüber besteht weitestgehend Einigkeit, die Paragraphen des komplexen und teils widersprüchlichen Reglements der Formel 1 von Masi zumindest hingebogen werden. Understood?

Steht im Zentrum der Kritik: Rennleiter Michael Masi. (Foto: Andrea Diodato /NurPhoto/imago)

Nun ist Wheatleys Funkspruch nicht erst in dieser Woche aufgetaucht wie Kai aus der Kiste. Er ist Teil des vollständigen Funkverkehrs, den die Fia vier Tage nach dem Saisonfinale zur Untersuchung veröffentlichte. Interessanterweise: Veröffentlichte just nachdem sich Mercedes dazu entschieden hatte, auf eine Berufung gegen den Spruch der Rennkommissare zu verzichten, Masis Entscheidung sei rechtens gewesen. Als sich die selbstverständlich sehr britische BBC in dieser Woche erkundigte, ob auch Wheatleys Spruch einfließen werde in die Entscheidung, ob Masi weitermachen dürfe als Rennleiter, da teilte die Fia 1 mit: ja, gewiss. Das werde er.

Und nun also wird man sehen, ob die Formel 1 Masi fallen lässt. Und ob diese Entscheidung tatsächlich noch Einfluss hat auf Hamiltons Karriereplanung, wie es zumindest britische Medien nicht müde werden zu behaupten. "Keine Worte, sondern Taten" wolle er sehen, hatte Mercedes-Teamchef Wolff der Masi-Kommission schon vor Wochen zugerufen. Wolff, nicht Hamilton.

Als Sebastian Vettel am Donnerstag seinen Rennwagen für die anstehende Saison präsentierte, da hat er auf Nachfrage versucht, für Masi Partie zu ergreifen. Seine Antwort zeigt, wie schwierig das ist. "Für Michael war es schade", sagte Vettel. In den letzten Runden des Saisonfinals seien "zwei Interessen aufeinandergeprallt. Die Show und der Sport. Das hat es schwer gemacht."

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