Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen Fans und Hooligans, zwischen tifosi und ultra, wie die Italiener sagen. Auch bei Lazio Rom. Und vielleicht ist das, was die Anhängerschaft von Lazio gerade so sehr in Wallung bringt, am Ende das Präludium für eine gesunde, interne Bereinigung. Obschon: Sehr wahrscheinlich ist das nicht.
Lazio spielt an diesem Donnerstagabend in der Europa League gegen Olympique Marseille, auswärts, in Frankreich. Mitreisen darf niemand, der Gästesektor im Stade Vélodrome bleibt geschlossen. Und soweit ist alles okay. Vor zwei Wochen, als die Marseillais in Rom antraten, war es auch so gewesen: Die Kurven der beiden Anhängerschaften mögen einander nicht, das hat mit Politik zu tun. Die Ultras der Lazio sind - und hier muss man aufpassen - in stattlicher, jedenfalls nicht unwesentlicher Zahl faschistisch gesinnt.
In den multikulturellen Kurven des Vélodrome, in der Virage Nord und der Virage Sud, neigen sie eher zur extremen Linken, wenigstens die meisten. Hitzköpfe sind auch sie. Vor drei Jahren, als sich die beiden Mannschaften schon einmal in diesem Wettbewerb maßen, prügelten sich zweihundert Hooligans von OM und Lazio in den Straßen von Marseille. Messer kamen zum Einsatz, es gab Verletzte. Deshalb fand man, dass es diesmal gescheiter sei, wenn jeweils keine Tickets an die Gäste gehen.
Der Falkner musste suspendiert werden - er grüßte mit ausgestrecktem Arm
Die Empörung der Laziali entzündete sich an einer Verfügung, die aus Paris kam, aus dem französischen Innenministerium. Darin heißt es, dass es Anhängern von Lazio, die sich als solche verstehen oder als solche zu erkennen geben, am 3. und 4. November nicht erlaubt sei, die Grenzen nach Frankreich zu überqueren: weder mit dem Auto, dem Zug, dem Schiff oder dem Flugzeug. Und wer sich schon in Frankreich aufhalte, der dürfe den Boden von Marseille und Umgebung nicht betreten. Als Begründung für dieses doch recht übertrieben umfassende Einreiseverbot nennt das Ministerium "das gewalttätige Handeln gewisser Fans von Lazio, die regelmäßig Probleme schaffen in den Städten und rund um die Stadien, wo gespielt wird". Und, jetzt kommt's, die "Gewohnheit, faschistische Chöre anzustimmen und den Nazi-Gruß zu machen".
Nun lässt sich schlecht leugnen, dass Ultras aus der Curva Nord faschistische Chöre singen und den "Saluto romano" vorführen. Im Netz gibt es genügend bewegte Bilder davon, mit Audio. Neulich musste der Falkner des Vereins - der Spanier Juan Bernabé, der vor Heimspielen seinen Adler Olimpia durchs römische Olympiastadion segeln ließ - vom Dienst suspendiert werden. Bernabé hatte den Ultras, die "Duce, Duce" intonierten, als er mit dem unschuldigen, symbolisch aber auch nicht gerade unzweideutigen Tier auf dem linken Arm die Kurve passierte, mit dem Hitlergruß geantwortet.
Im italienischen Parlament regten sich Laziali aller Parteien auf
Bezeichnend auch die Geschichte von Elseid Hysaj, dem albanischen Rechtsverteidiger, der im vergangenen Sommer vom SSC Neapel kam. In einem privaten Video sah man ihn "Bella Ciao" singen, die Hymne der Antifaschisten. Das missfiel den Ultras, sie hängten ein Spruchband an eine Brücke, darauf stand: "Hysaj, du Wurm. Lazio ist faschistisch!" Gezeichnet Ultras Lazio, dazu ein stilisiertes Liktorenbündel, ein Machtsymbol des Faschismus. Es gab dann eine Gegenbewegung, gestartet von unideologischen Fans von Lazio, die in den sozialen Medien mit dem Hashtag "IoStoConHysaj" signierten: Ich stehe an der Seite von Hysaj.
Solche Anhänger fühlen sich nun von der Regierungsverfügung aus Paris pauschal und unerhörterweise verunglimpft. Mitgemeint, in einen großen Topf geworfen. Wie Terroristen werde man behandelt, heißt es. Giovanna Botteri, eine berühmte Fernsehkorrespondentin der Rai, empörte sich öffentlich: "Ich bin Laziale", sagte sie, "aber ich bin weder Faschistin noch gewalttätig".
Im italienischen Parlament regten sich Laziali aller Parteien auf. Am Lautesten protestierte aber die oppositionelle Partei Fratelli d'Italia. Ihre Anführerin, die Römerin Giorgia Meloni, forderte den italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi auf, sich mit allen Mitteln der Diplomatie zu wehren. Die "Brüder Italiens", muss man dazu wissen, sind Postfaschisten. In ihrem Parteiemblem züngelt eine Flamme in den Farben Italiens auf einem schwarzen Sarg. Sie symbolisiert das Feuer, das für Nostalgiker von Benito Mussolini noch immer im Grab des Faschistenführers brennt. Nun ja, solche Fürsprecher sind auch kein Segen.