Champions League:Alle Wege führen zu Ronaldo

Champions League: Noch Fragen? Cristiano Ronaldo hat natürlich schon wieder getroffen für Manchester United.

Noch Fragen? Cristiano Ronaldo hat natürlich schon wieder getroffen für Manchester United.

(Foto: Marco Bertorello/AFP)

Als hätte ihn jemand auf einer Spielkonsole angeleitet, schießt der Portugiese wieder entscheidende Tore für Manchester United - und hält den Klub allein auf Kurs. Aber wie lange kann er die Probleme des Teams überdecken?

Von Sven Haist, London

An sich hätte Cristiano Ronaldo als Erklärung für seinen jüngsten Geniestreich bloß wieder lässig mit den Schultern zucken können. So wie vor fünf Wochen, als er in der fünften Minute der Nachspielzeit für Manchester United das Siegtor gegen den FC Villarreal (2:1) in der Champions-League-Gruppenphase erzielt hatte. Damals eröffnete der Reporter des Bezahlsenders BT Sport das Gespräch mit einem in den Raum gestellten "Ähm, Cristiano, Sie haben es schon wieder gemacht", woraufhin sich Ronaldo, halb gelangweilt, halb kokettierend, dem Fragesteller zuwandte und einfach nichts sagte. Stattdessen eben: lässiges Schulterzucken und ein neckisches Heben der Augenbrauen, das jede Nachfrage erübrigte.

Aus seiner Sicht gab es keinen Gesprächsbedarf, darauf deutete seine Reaktion hin, denn als Rekordtorschütze der Königsklasse sollte mittlerweile bekannt sein, dass er, Cristiano Ronaldo, fast jedem Europapokalspiel sein Tor aufdrückt. So war es bereits zum Auftakt im September bei YB Bern und kürzlich bei seinem nächsten Siegtreffer in der Schlussphase im Duell mit Atalanta Bergamo (3:2) - sowie nun beim 2:2 im Rückspiel gegen die Italiener am Dienstagabend. Zwei Mal schoss Ronaldo für United den Ausgleich, jeweils in der ersten Minute der Nachspielzeit beider Halbzeiten, als hätte ihn jemand mit einer Tastenkombination auf der Spielkonsole angeleitet.

Angesichts dieser fast Torquote lässt sich wohl für seinen Arbeitgeber United festhalten, dass gerade eher nicht alle Wege nach Rom führen, sondern zu Ronaldo und von dort aus meist direkt ins Tor. Der portugiesische Angreifer hält sein Team durch fünf Treffer in den bisherigen vier Europapokalspielen quasi allein auf Achtelfinal-Kurs. Mit sieben Zählern führt Manchester punktgleich mit Villarreal die Gruppe F jetzt vor den Bergamasken an. Ob der Vorsprung fürs Weiterkommen reicht, hängt vermutlich einzig von Ronaldo selbst ab. Seit Ronaldos Rückkehr im Sommer hat United in allen Pflichtspielen nur gewonnen, wenn er selbst zu den Torschützen zählte.

Durch seinen Doppelpack in der Lombardei ist Ronaldo jetzt der älteste Spieler des Rekordmeisters (36 Jahre und 270 Tage), dem je zwei Europapokal-Tore in einer Partie vergönnt waren, womit er gleichzeitig Uniteds erster Spieler ist seit dem großen Ruud van Nistelrooy 2003, der in vier aufeinanderfolgenden Partien in der Champions League eingenetzt hat.

Normalerweise geht so ein Kunstversuch nicht rein - bei Ronaldo aber schon

Entsprechend fiel das Echo auf der Insel aus. Mehrere Boulevardblätter wortspielten mit seinem Namen. Während der Mirror in ihm einen Auserwählten erkannte ("Ron in a Million"), titelte das Massenblatt Sun, dass Uniteds Ein und Alles ("Ron and Only") es wieder vollbracht hätte ("He has Ron it again") und seine Kritiker so "rong" (wrong, englisch für: falsch) liegen würden. Fast überall war zu lesen, dass Ronaldo einmal mehr seinen schwer angezählten Trainer Ole Gunnar Solskjaer vor dem Aus "gerettet" habe.

Champions League: Wieder mal gerettet von Ronaldo: Manchester United's Trainer Ole Gunnar Solskjaer lobt seinen Stürmer nach der Partie ausgiebig.

Wieder mal gerettet von Ronaldo: Manchester United's Trainer Ole Gunnar Solskjaer lobt seinen Stürmer nach der Partie ausgiebig.

(Foto: Marco Bertorello/AFP)

Der bedankte sich mit einer Lobesarie, indem er seinen "unfassbaren Anführer" auf eine Stufe mit dem früheren Ausnahmebasketballer Michael Jordan von den Chicago Bulls stellte. Wenn er jemanden bestimmen dürfte, sagte Solskjaer, dem jeweils die finale Chance seines Teams zufallen sollte, dann wäre es Ronaldo. Und genau dem fiel wie selbstverständlich gegen Bergamo am Ende nach einem Stochern am Strafraum der Ball vor die Füße. Beispielgebend setzte Ronaldo den Ball aus zentraler Position mit rechts volley in die linke untere Torecke, vorbei an drei unmittelbar vor ihm stehenden Gegenspielern und dem Torwart - ein Volltreffer. Normalerweise geht so ein Kunstversuch nicht rein, es sei denn es wirft Jordan oder es schießt halt Ronaldo. Mit 127 Treffern in 303 Spielen für United hat er nun Trainer Solskjaer (126 Treffer) in der internen Torschützenliste überholt.

Die Zuschauer würden Ronaldo vorwerfen, sagte sein früherer United-Teamkollege Rio Ferdinand am BT-Mikrofon, dass er nicht hart genug arbeite, seinen Gegenspielern nicht hinterher gehe, nicht presse, dabei mache er "das Schwierigste" in einem Spiel: Tore schießen. "Im entscheidenden Moment ist er immer zur Stelle und liefert ab - in jedem Land, in jedem Stadion, zu jeder Zeit", sagte Ferdinand. Aus seiner Sicht gäbe es keine Worte, um angemessen zu würdigen, wie er den Ball jedes Mal aufs Neue ins Tor schieße. Es sei schlicht verblüffend. Ferdinand selbst sprang in der Live-Szene auf und schrie durchs Studio: "Das ist es, was er tut! Es ist illegal!! Alien!!!"

Ronaldos Tore überdecken Uniteds weitgehend zusammenhanglose Darbietungen

Auf der anderen Seite musste Atalantas Trainer Gian Piero Gasperini akzeptieren, dass sein Team wie im Hinspiel (2:3 nach 2:0) erneut eine Führung aus der Hand gegeben hatte. Auf einer Frustrationsskala von 1 bis 100, gab Gasperini zu, sei er weder auf 100 noch auf 180, sondern auf "1000". Er habe geglaubt, seine Spieler könnten den Vorsprung über die Zeit retten, weil es sogar wirkte, als würde United die Kraft ausgehen, aber sein Team sei eben "auf einen unglaublichen Spieler" gestoßen.

Bereits am Samstag erzielte Ronaldo beim Erfolg über Tottenham Hotspur ein ähnliches Tor (volley aus spitzem Winkel nach einer Flanke), das seinem Trainer Solskjaer eine Schonfrist für diese Woche einräumte. Denn seine Tore - so erstaunlich sie sein mögen - überdecken nurmehr Uniteds weitgehend zusammenhanglose Darbietungen. Das Team hätte zwar nie aufgesteckt, lobte Ronaldo, aber die etlichen Unzulänglichkeiten konnte auch er nicht dementieren. Und so viele Tore schießen, wie Manchester United derzeit Fehler begeht, wird selbst Cristiano Ronaldo auf Dauer nicht können.

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