DFB-Pokal:Der letzte reine Frauen-Klub

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Jugendlicher Sturm und Drang: Essens Offensivspielerin Laureta Elmazi setzt sich im Ligaspiel gegen Leverkusen (0:0) durch. (Foto: Eu-images/Imago)

Die SGS Essen hat sich ins Halbfinale des DFB-Pokals gespielt und trifft dort auf Wolfsburg. Über einen Verein, der sein eigenes Konzept verfolgt - und auf familiäre Atmosphäre und Spielerinnen aus der Region vertraut.

Von Anna Dreher

So ganz werden sie bei der SGS Essen in diesen Tagen die Gedanken an das Jahr 2020 nicht ausblenden können, als sie es fast geschafft hätten. Schon nach elf Sekunden führten sie gegen den VfL Wolfsburg im DFB-Pokalfinale. Es entwickelte sich ein wildes Spiel, 2:3, 3:3, Verlängerung und Elfmeterschießen. Essen war nah dran an einer Sensation, vor allem als Alexandra Popp eine Wolfsburger Chance vergab. Aber weil VfL-Keeperin Friederike Abt zweimal parierte, verlor Essen 2:4. Es wäre der größte Erfolg der Vereinsgeschichte gewesen.

Wenn die beiden Klubs am Karsamstag (13 Uhr, Sky) im Pokalhalbfinale wieder aufeinandertreffen, ist der Glaube an eine Überraschung bei der SGS Essen natürlich vorhanden. Aber im Vergleich zu 2020 ist die Ausgangslage ganz anders - und die Wahrscheinlichkeit geringer, im Endspiel auf den FC Bayern oder Eintracht Frankfurt (zweites Halbfinale am Sonntag, 15.45 Uhr, ARD) zu treffen. Nicht nur, weil Wolfsburg in diesem Wettbewerb eine fast schon absurd wirkende Siegesserie angesammelt hat - der VfL verlor zuletzt am 16. November 2013 ein Pokalspiel und könnte dieses Jahr den Titel zum zehnten Mal in Serie gewinnen.

Vor allem hatte die Sportgemeinschaft aus dem Westen der Stadt 2020 in Lea Schüller, Marina Hegering, Lena Oberdorf und Turid Knaak vier deutsche Nationalspielerinnen im Kader, in dieser Saison keine einzige. Schüller, Hegering, Oberdorf und Knaak wechselten wie sechs weitere Spielerinnen. Die SGS musste von vorn anfangen, wieder mal.

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Seit 2004 spielt Essen ununterbrochen in der Bundesliga und durchläuft ständig den Kreislauf eines Ausbildungsvereins. Jedes Jahr stellt sich die Frage, wie man sich am besten aufstellen kann in einem Umfeld, das sich immer weiter professionalisiert, in dem immer mehr Geld fließt. Nachdem sich der frühere Titelabonnent Turbine Potsdam vergangene Saison in die zweite Liga verabschiedet hat, ist die SGS der einzige Bundesligist, der nicht zu einem finanzstarken Lizenzverein gehört. Deshalb wird die SGS als letzter reiner Frauen-Klub betitelt; die Männer spielen in der Bezirksliga.

Das bringt ein Alleinstellungsmerkmal und verändert die Vermarktungsmöglichkeiten - nicht jedoch die Herangehensweise. Nach eigenen Aussagen arbeitet die SGS als ein­ziger Bundesligist kostendeckend, sie baut keine Schulden auf und wird auch nicht querfinanziert. Und es ist bemerkenswert, wie sich der Verein behauptet mit dem Konzept, in einer familiären Atmosphäre auf die Jugend aus der Region zu setzen. Tabellenplatz sechs und das Pokal-Halbfinale liefern aktuell den Beleg der guten Arbeit, für die maßgeblich Markus Högner verantwortlich ist.

"Dieses Spiel machen wir nicht mit", sagt Trainer Högner zu den stetig steigenden Gehältern

Er ist nun in seiner insgesamt elften Saison Trainer der SGS: 2010 fing er an und kehrte 2019 nach drei Jahren als Assistenztrainer in Wolfsburg und beim deutschen Nationalteam wieder nach Essen zurück. Als es nach dem Pokalfinale 2020 zum großen Umbruch kam, setzte sich Högner, 56, mit SGS-Geschäftsführer Florian Zeutschler zusammen und entwickelte einen Dreijahresplan mit dem vorrangigen Ziel Klas­senverbleib. Danach sollte sich das Team etablieren - und dann die Leistung bestätigen. "Ich finde, das ist uns perfekt gelungen", sagt Högner am Telefon. "Die Mädels haben dem Druck standgehalten. Das war wichtig für ihre Entwicklung. Das Ergebnis sieht man jetzt."

Talentschmied im Fußball: Markus Högner, Cheftrainer der SGS Essen, schafft es immer, wieder aus Talenten Nationalspielerinnen zu entwickeln. (Foto: Meusel/Beautiful Sports/Imago)

Zum Saisonstart gewann Essen 2:0 gegen den Champions-League-Teilnehmer Frankfurt und später 3:0 gegen den Tabellendritten Hoffenheim. Dabei ist das Team mit einem Durchschnittsalter von 23 Jahren das jüngste in der Liga, und fast alle Spielerinnen haben noch andere Beschäftigungen neben dem Fußball: Arbeit, Studium, Schule. "Ich hoffe, dass viele die nächsten Jahre in Essen bleiben, weil sie erkennen, dass sie sich hier weiterentwickeln und als gewachsenes Kollektiv vielleicht sogar höhere Tabellenregionen angreifen können", sagt Högner. Ihm ist bewusst, dass andernorts mehr Gehalt gezahlt wird: "Aber dieses Spiel machen wir nicht mit. Wir gehen unseren Weg, und ich glaube, dass es genug Spielerinnen gibt, die sehen: Ich muss erst viel arbeiten, um irgendwann oben anzukommen."

Die SGS muss trotzdem damit rechnen, dass manch eine weiterzieht. Högner und Zeutschler arbeiten bereits an einem neuen Plan, der die kommenden drei bis fünf Jahre umfasst. "Wir haben für nächste Saison wieder Top-Talente wie Kassandra Potsi, damit wir eine neue Generation entwickeln", sagt Högner. Seine Aufgabe besteht darin, aus Talenten immer wieder ein funktionierendes Gefüge zu bilden und Nationalspielerinnen zu formen. Der Klub muss wiederum diese Talente frühzeitig entdecken und fördern. "Das ist viel Arbeit! Ein stetiger Prozess, der Planung, aufwendige Sichtung und Engagement verlangt", erklärt Högner. "Wir müssen immer wieder ein Gefühl dafür kriegen, wer passt zusammen."

Seit dieser Saison arbeitet er mit Robert Augustin als hauptamtlichem Co-Trainer, ein wichtiger Schritt zur Professionalisierung - die anderen Coaches arbeiten nicht in Vollzeit für die SGS. Mit Augustin kann Högner sich nun von morgens bis abends austauschen. Außerdem wird auf der Helmut-Rahn-Bezirkssport­an­lage ein eigenes Funktionsgebäude gebaut. Vom Sommer an hat die SGS dann ein festes Zuhause, das die Nachwuchsförderung verbessern und die Infrastruktur näher an die Bedingungen anderer Bundesligisten bringen soll. Die Heimspiele finden im Stadion des Männer-Drittligisten Rot-Weiss Essen statt, eine Fusion ist aber nicht geplant. Die SGS will lieber unabhängig bleiben: Läuft ja alles nach Plan.

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