FC Bayern in der Champions League:Sämtliche Birnen brennen wieder

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Läuft doch: Serge Gnabry (links) feiert sein Tor gegen Benfica, Leroy Sané joggt nebenher. (Foto: Andreas Gebert/REUTERS)

Die Bayern geben Rätsel auf: Eine Woche nach dem 0:5 gegen Gladbach feiern sie gegen Benfica ihre Auferstehung - als könnten die Spieler traumatische Erlebnisse einfach ausblenden.

Aus dem Stadion von Philipp Schneider, München

Julian Nagelsmann hatte einen guten Witz mitgebracht aus der Kabine des FC Bayern. Womöglich war es auch der Pressesprecher Dieter Nickles, der diesen guten Witz erzählt hatte. Jedenfalls waren Nagelsmann und Nickles die einzigen Protagonisten, die am Dienstag kurz vor der Geisterstunde das Podium der Münchner Fußballarena bestiegen, zumindest der Trainer prustete und giggelte auf dem Weg zu seinem Stuhl, und weil er auch noch grinste, als er längst hinter dem Mikrofon saß, ist es mit einem Tag Abstand als klares Versäumnis zu werten, dass ihn niemand nach dem Grund für die enorme Heiterkeit fragte.

Erst ein betont sachlicher Einwurf aus dem Plenum riss den 34-Jährigen wieder zurück in die prosaische sportliche Realität, die ja zumindest für die Konkurrenz nicht gerade zum Amüsement taugt: Herr Nagelsmann, wenn man so durch die Vorrunde marschiert, wie zufrieden sind Sie mit ihrem Spiel?

FC Bayern
:Raus aus der Küche, rein ins nächste 5:2

Bei der Rückkehr von Julian Nagelsmann an die Seitenlinie qualifizieren sich die Bayern gegen Benfica vorzeitig für das Achtelfinale der Champions League. Dabei tun sie sich erst schwer - und glänzen gegen Ende des Spiels mit Traumtoren.

Aus dem Stadion von Philipp Schneider

Nun lag ja eine tiefe Pointe über diesem Abend, der soeben beendeten Partie, die allein schon ausgereicht hätte, Nagelsmanns Freude zu rechtfertigen: Innerhalb von nur sechs Tagen hatte der FC Bayern erst im Pokal auf selbstverleugnerische Weise 0:5 gegen Mönchengladbach verloren, dann in der Bundesliga mit vielen defensiven Wacklern 5:2 gegen Union Berlin bestanden - und war nun also in der Champions League mit 5:2 über Benfica hergefallen. In einem Spiel, in dem die einzigen Wackler darin bestanden, dass das Defensivpersonal nach einem sogenannten ruhenden Ball einmal nicht hoch genug gesprungen war, und einmal der eingewechselte Marcel Sabitzer einen derart prächtigen Fehlpass spielte, dass sie in Lissabon noch in ein paar Wochen davon erzählen werden. Aber sonst?

Benfica legte sogar fast ebenso stürmisch und mit scharfem Pressing los wie Gladbach. Aber die Portugiesen trafen eben nicht schon nach 80 Sekunden zur frühen Führung. Und als sie dann nach 15 Minuten fast das 1:0 erzielten, da kassierte der Videoschiedsrichter die Entscheidung wegen einer Abseitsstellung. Jedes Spiel macht eine Entwicklung durch, die es prägt.

Vier Siege in vier Spielen: Die Münchner sind vorzeitig für das Achtelfinale qualifiziert

Dass die Wahrheit auf dem Platz liegt, das weiß man, seit Otto Rehhagel es fachlich herleitete. Der Platz, auf dem nun Benfica strauchelte, unterschied sich von jenem, auf dem die Bayern sich von Gladbach überrennen ließen, vor allem darin, dass der Trainer Nagelsmann auf ihm stand und das Spiel aus der Nähe dirigierte. Aber ist es wirklich so entscheidend, dass die Akteure sehen, wie der Taktstock vom Komponisten der Symphonie höchstselbst geschwungen wird und nicht nur von einem Interpreten, dem Assistenten Dino Toppmöller? Dagegen spricht, dass beispielsweise das Hinspiel in Lissabon (4:0) den gar nicht so erfolglosen Auftakt von Nagelsmanns Isolations-Quadrologie bildete.

Wieder da und höchst zufrieden: Bayern-Trainer Julian Nagelsmann. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

"Es hat Spaß gemacht, den Jungs zuzuschauen", sagte Nagelsmann nach dem ersten Spiel seit der Rückkehr aus seiner Quarantäne-Küche. Er habe ein "unfassbar gutes Spiel" erlebt von seiner Mannschaft, "mit kleinen Makeln", aber "eigentlich unser bestes". Kein Lächeln, kein Grinsen mehr, er sprach das mit dem heiligen Ernst eines Bestatters.

Eigentlich unser bestes - was klang wie aus der Werbung, in der ein kleiner Junge im Kiosk nebenan tagein, tagaus das immergleiche Bonbon überreicht bekommt, galt zumindest für die Spätphase dieser Partie, in der die Bayern schlenzten, zauberten und tricksten, als käme es am Ende der Gruppenphase noch auf die Tordifferenz an. Kommt es nicht. Qualifiziert sind die Münchner für das Achtelfinale vorzeitig nach vier Siegen in vier Spielen. Diese unbändige Spiellust der Bayern verriet daher vermutlich mehr über die Integrität des Mannschaftsgefüges, als der von Ehrenpräsident Uli Hoeneß derentwegen angestrengte Vergleich über seinen Musikgeschmack ("Das liebt der Zuschauer. Der zahlt bei einem Elton-John-Konzert auch nicht nur für die ersten zehn Songs, sondern bis zum Schluss").

Rückkehrer Nagelsmann urteilt, seine Mannschaft habe "eine unglaubliche Aktivität" gezeigt

Am Dienstagabend spielten ungeimpfte und geimpfte Profis der Bayern wie eine Einheit, vor allem Joshua Kimmich brillierte neben dem dreifachen Torschützen Robert Lewandowski und dem im Zentrum quirligen Leroy Sané als nimmermüder Vorlagengeber. Eine Mannschaft, die intern zerrissen wird von jenen Debatten, die längst bei Markus Lanz diskutiert werden, spielt nicht so. "Eine unglaubliche Aktivität" habe die Mannschaft gezeigt, sie sei "sehr spielfreudig" gewesen und "mit viel Tempo hinter die Kette" gekommen, urteilte Nagelsmann mit einigem Recht.

Sie brachte sogar das seltene Kunststück fertig, inmitten einer Wer-ist-hier-der-Chef-Diskussion über die Abwehrkette dadurch Stabilität zu schaffen, dass dem zuletzt kritisierten Dayot Upamecano der 19-jährige Innenverteidigungs-Azubi Tanguy Nianzou zur Seite gestellt wurde. Vor Benficas Anschlusstreffer zum 1:2 sprang Morato höher als Upamecano und Benjamin Pavard, Nianzou war an anderer Stelle beschäftigt.

So aber bleibt die Auferstehung der Bayern nach der Erniedrigung im Pokal und der Wurschtelei gegen Union ein Rätsel. "Wenn man 0:5 verliert, ist man immer am Boden zerstört", auch diese Weisheit hat Rehhagel seinen sportlichen Nachfahren hinterlassen. Offenbar gilt das nicht für Nagelsmanns Bayern, die auf ein zugegeben weniger traumatisches 1:2 gegen Frankfurt schon einmal ein 5:1 gegen Bayer Leverkusen folgen ließen, woraufhin das Spiel gegen die Eintracht im Rückblick flimmerte wie eine Fata Morgana.

Die Münchner spielen in dieser Saison, als wären sie ein binärer Automat. Eins oder null. An oder aus. Zugegeben: 95 Prozent an, fünf Prozent aus. Am Dienstagabend liefen sie mal wieder heiß wie beim 5:1 gegen Leverkusen und beim 4:0 gegen Hoffenheim. Sämtliche Birnen brannten. Es wirkt fast, als könnten sie traumatische Erlebnisse mit einer kollektiven Amnesie ausblenden. Ihr Chef-Torschütze Lewandowski hat es in dieser Disziplin zur Meisterschaft gebracht. Bevor er in seinem 100. Champions-League-Spiel die Tore Nummer 80 und 81 beisteuerte, vergab er einen Handelfmeter auf eine Weise, nach der sich andere Fehlschützen schon einen Kartoffelsack übers Haupt gezogen haben sollen. Lewandowski allerdings, er lächelte.

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