So langsam machte sich Ungeduld breit. Das Finale der Champions League war schon lange vorbei, und noch immer hatte keine Spielerin den Weg in die sogenannte Mixed-Zone gefunden, in jenen Bereich, in dem Reporter ihre Fragen stellen, sofern die Spielerinnen denn vorbeikommen und stehen bleiben. Das eine bedingt nicht immer das andere. Aber dann leuchtete doch ein grünes Trikot in der Sonne vor dem Pavillon auf.
Alexandra Popp kam herein, eine der drei Kapitäninnen des VfL Wolfsburg, der gegen den FC Barcelona eben 2:3 verloren hatte - nach einer 2:0-Führung. "Ziemlich leer" sei sie gerade. "Wir hatten schon das Gefühl, dass wir Barcelona mehr oder weniger im Griff hatten", sagte sie, die Augen noch gerötet. Mit dem Schlusspfiff waren ihr Tränen über die Wangen gerollt. Alexandra Popp hatte inmitten der katalanischen Krönungszeremonie vor 33 147 Zuschauern die Einsamkeit auf dem Rasen gesucht, wann immer es ging. Ausgerechnet sie, die Anführerin, die sonst bei Niederlagen schon so häufig andere getröstet und aufgemuntert hat.
Aber nun tat es "einfach nur brutal weh", wie sie sagte, und ihr blieb keine Energie mehr. Sie war fassungslos, wie dieses hochklassige, dramatische Spiel nach dem frühen Treffer von Champions-League-Torschützenkönigin Ewa Pajor in der dritten Minute und ihrem eigenen wuchtigen Kopfball zum 2:0 (37.) noch hatte kippen können. Popp wirkte nach ihrem siebten Champions-League-Finale niedergeschlagen wie selten. Und es dürfte nicht allein die unerwartete Wende an sich gewesen sein, die ein schwarzes Loch entstehen ließ. Sondern auch der Gedanke: Vielleicht war das die letzte Chance auf diesen Titel.
Das Erreichen des Finals wird in Zukunft nicht einfacher, fürchtet Trainer Stroot
Mit 32 Jahren gehört Popp zu den Älteren im Kader, natürlich kann sie noch eine Weile Fußball spielen, und natürlich ist nicht ausgeschlossen, dass sie wieder in so einem Endspiel steht. Aber die Frage stellte sich auch auf ganz anderer Ebene. "Das Erreichen des Finals war schon ein Riesending", sagte Trainer Tommy Stroot. Es werde in Zukunft "nicht leichter, ins Finale zu kommen, wenn man sieht, was international so passiert". Was er damit meinte: Weil manche finanzstärkere Klubs den Frauenfußball inzwischen für sich entdeckt haben und mehr Geld investieren. Professionellere Strukturen, höhere Gehälter, unter anderem das dürfte auch die früheren VfL-Spielerinnen Caroline Graham Hansen, Ingrid Engen und Fridolina Rolfö von Wolfsburg zum Rivalen nach Barcelona gelockt haben.
Was das Finale von Eindhoven zeigte, war die Qualität der spanischen Meisterinnen und Super-Copa-Siegerinnen. Das Team von Jonatan Giráldez drehte nach der Pause innerhalb von 108 Sekunden die Partie, weil der VfL noch seine Ordnung suchte und nicht hinterherkam bei den Angriffen, die zum gnadenlosen Doppelschlag von Patricia Guijarro (48./50.) führten. Die Präzision im Passspiel wie auch die Leichtigkeit, das hohe Tempo und der quasi nie nachlassende Druck waren eindrücklich. "Barça war in der Hölle und stieg noch in den Himmel", fand die spanische Sportzeitung Marca.
Wäre schon in der ersten Hälfte eine effiziente Chancenverwertung dazugekommen, Barça hätte sich gar nicht erst zurückkämpfen müssen. Was sie vor ihrem vierten Finale innerhalb von fünf Spielzeiten angekündigt hatten, setzten die Siegerinnen von 2021 um: Sie hatten ihre Lehren gezogen aus dem 1:3 vergangenes Jahr gegen Rekordsieger Olympique Lyon. Gegen Wolfsburg profitierten sie jedoch auch von einem fehlgeleiteten Klärungsversuch vor dem Treffer zum 3:2 durch Rolfö (70.), ein Geschenk mit Slapstick-Charakter.
Dass ein solcher Fauxpas über Ruhm oder Resignation entschied, war aus deutscher Sicht bitter. Gleichzeitig hilft diese Tatsache womöglich beim Verdauen der schweren Kost. Denn das Finale von Eindhoven zeigte auch, dass die Wolfsburgerinnen mithalten konnten, obwohl der VfL über weniger Mittel verfügt als der FC Barcelona; und obwohl der Barça-Kader hochkarätiger besetzt ist - was nicht zuletzt bei den Wechseln deutlich wurde. Die zweimalige Weltfußballerin Alexia Putellas, Ende April nach langer Verletzungspause zurückgekehrt, kam erst in der 90. Minute auf den Platz. "Aber wir wissen, dass wir relativ nah dran sind an diesen Mannschaften", sagte Stroot. "Wir haben eine Art und Weise gefunden, wie wir es immer wieder schaffen, uns auf dem höchsten Niveau zu halten. Dafür ist dieses Champions-League-Finale eine weitere Bestätigung." Es gehe um Details.
Nach den Siegen 2013 beim Triple und 2014 haben die Wolfsburgerinnen diesen Titel zwar nicht mehr gewinnen können. Sie haben sich aber immerhin noch viermal als Finalistinnen in die Position gebracht, es überhaupt versuchen zu können - obwohl andere deutlich aufgeholt hatten. Das Wichtigste am nun verpassten Triple sei zu wissen, dass "wir zum größten Teil selbst dran schuld sind, dass wir die Spiele verloren haben", sagte Popp. "Weil wir in entscheidenden Phasen die Fehler machen oder nicht richtig da sind. Daran kann man sehr gut arbeiten." Ziehe das Team daraus die richtigen Schlüsse, gebe das Hoffnung auf mehr. Den DFB-Pokal konnte Wolfsburg diese Saison zum zehnten Mal gewinnen, die Meisterschaft verlor der Titelverteidiger jedoch mit zwei Punkten Rückstand an den FC Bayern.
Um auch in Zukunft zu den besten Vereinen zu zählen, braucht es weiter einen starken Kader mit sogenannten Unterschiedsspielerinnen, Akteurinnen des Kalibers von Popp also. Aufsehen erregte auf dem Transfermarkt zuletzt von den deutschen Klubs aber weniger der VfL, sondern München. Nach der Weltmeisterschaft wechseln Magdalena Eriksson und Pernille Harder, prominente und begehrte Fußballerinnen, vom FC Chelsea zum Dauerkonkurrenten. Auch Harder war einst Leistungsträgerin und Torjägerin beim VfL Wolfsburg.