AC Mailand:Sehnsucht nach dem alten Ego

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Alte Liebe: Im Juni wurde Zlatan Ibrahimovic bei der AC Milan als Spieler verabschiedet. Nun ist der 42-Jährige wieder da - als Berater. (Foto: Matteo Gibraudi/Bildbyran/Imago)

Für die AC Mailand wird es eng: Die Meisterschaft ist verloren, und auch in der Champions League droht dem siebenmaligen Gewinner ein unehrenhaftes Schicksal. Zum Glück ist Zlatan Ibrahimovic zurück, die personifizierte Siegermentalität.

Von Thomas Hürner

Er ist wieder da, nur ein wenig anders als sonst. Zlatan Ibrahimovic hat sich wieder in ein Arbeitsverhältnis bei der AC Milan begeben, jenem Klub, bei dem er immer der Ibrahimovic sein konnte, den er selbst und das Publikum am liebsten haben: mit seinen Treffern aus Schräglagen, seinen Pässchen aus dem Fußgelenk, seinem obsessiven Bestreben, der am meisten verehrte Bösewicht der Branche zu sein. Bis ins Vorruhestandsalter hatte Ibrahimovic bei Milan gekickt, am Montag postete er nun ein Foto von sich in den sozialen Netzwerken: dunkler Anzug, Fliege, die rechte Hand zur Faust geballt. Wie er halt so ist, hat er den Beitrag mit einem selbst beweihräuchernden "Boooom" überschrieben: "Ibra", der Unberechenbare, wird zum Fußballfunktionär - in einer Rolle, in der er fortan unter anderem Spielerentwicklung, Hochleistungstraining und Markenbildung verantwortet.

Ibrahimovic, 42, tut also, was er immer tat. Nur halt nicht mehr auf dem Rasen. Kein Wunder, denn bei Milan gibt es eine Sehnsucht nach seiner Anwesenheit, sogar von einer existenziellen Notwendigkeit war mitunter die Rede. Auch hier liefert das Kommuniqué Erhellendes. Ibra, heißt es dort, solle "die Erfolgskultur" im Verein stärken. Vielleicht kommt der Schwede ja gerade noch rechtzeitig.

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An diesem Mittwoch steht für Milan das letzte Spiel in der Vorrunden-Gruppe F der Champions League an, in England bei Newcastle United. Die Ausgangslage ist wenig erbaulich, aber auch nicht ganz aussichtslos: Milan muss gewinnen und im Parallelspiel auf einen Sieg der bereits für die K.-o.-Phase qualifizierten Dortmunder gegen Paris Saint-Germain hoffen. Dann klappt es noch mit dem Weiterkommen, andernfalls könnte es in der Europa League weitergehen - einem Wettbewerb, der inkompatibel ist mit der DNA des Klubs, der sieben Königsklassen-Trophäen gewonnen hat. Von einem Aus ganz zu schweigen.

Ein Vorrunden-Aus würde den Druck auf Milan-Coach Pioli massiv erhöhen

Nun also Ibra. Der ehemalige Stürmer, heißt es, solle auch den aktuellen Coach Stefano Pioli beraten, sofern dieser das für nötig hält. Auch da: Dieses Binnenverhältnis ist nicht neu, es existierte schon in Zeiten, in denen Ibrahimovic dem Mailänder Spielerkader angehörte. Seine Anwesenheit elektrisierte die Gruppe bis hoch zu Trainer Pioli, für ihn war der Schwede eine unumstößliche Säule: Als solche trug er das Team zum Meistertitel 2022, auch in Europa wurde Milan wieder zur ernstzunehmenden Nummer - doch von dem Moment an, in dem Ibra aufhörte, war auch dieses Selbstverständnis verschwunden.

In der aktuellen Saison gilt der Kampf um den Scudetto bereits als verloren, dafür haben sich der Stadtrivale Inter und Juventus Turin in der Tabelle zu weit abgesetzt. Der Mannschaft, kritisieren die Gazetten, fehle es an Identität, an der Resilienz eines Spitzenteams. Allein an der Qualität kann es jedenfalls nicht liegen: Mike Maignan ist der wohl beste Tormann der Serie A, der breitschultrige Ruben Loftus-Cheek und der umtriebige Tijjani Reijnders können an guten Tagen jedes Mittelfeld beherrschen, und ganz vorn knipst Stürmer Olivier Giroud weiter zuverlässig. Über allen steht aber Rafael Leão, der so begnadete wie pfeilschnelle Flügelmann. Zuletzt hat der Portugiese verletzt gefehlt, für die "finalissima" in England wird er nun mit allen Mitteln fit gemacht, denn ohne sein Zutun geht wenig: Leão ist die personifizierte Zuspitzung im Angriff, selbst dann, wenn er auf der Flanke um seine Gegner herumtänzelt.

Hier beginnen aber Milans Probleme - und die Kritik an Trainer Pioli. Die Gazzetta dello Sport hat neulich ein paar Statistiken gesammelt, die Milans Rezession belegen: So dürftig sah es in den vier Jahren unter Pioli bislang nie aus, egal, ob bei den zu diesem Zeitpunkt gesammelten Punkten oder den erspielten Torchancen. Der Trainer steht für einen aktiven Ansatz, doch Laufwege und Ballzirkulationen sind weitestgehend entschlüsselt. Pioli, so der Vorwurf, verharre bei seinem Stil, obwohl dieser ein paar Modifizierungen bräuchte. Ein vorzeitiges Aus in der Königsklasse würde den Druck massiv erhöhen.

Der geschasste Sportchef Maldini wollte weiter auf sein Gespür vertrauen

Jedoch, und das gestehen Pioli auch seine härtesten Kritiker zu: Allein am Trainer liegt es selten. Zumal dann, wenn alle Linien zu einer Figur führen, ohne die es Milans Glorie nie gegeben hätte: Paolo Maldini, fünfmaliger Königsklassen-Gewinner mit den Rossoneri, der ewige Kapitän. Vor der Saison wurde er als Sportchef abgesetzt, ohne Rücksicht auf seine Verdienste, das Thema wurde mitunter sogar in den italienischen Feuilletons diskutiert. Es handelte sich schließlich um eine Art Kulturkampf: Maldinis Demission wurde beschlossen von Gerry Cardinale, einem Harvard-Absolventen, der 2022 über seine Investmentfirma "Red Bird Capital" die Kontrolle bei Milan übernommen hat. Cardinale will den Verein umgestalten, von Grund auf amerikanisieren. Datenanalysen sollen in die Nischen der Branche hineinleuchten, dort gefunden werden sollen verborgene Potenziale und lukrative Wertanlagen.

Auf diese Weise wurde etwa Mittelfeldmann Reijnders bei der PSV Eindhoven gescoutet, das hat prächtig funktioniert - bei anderen Zugängen dagegen weniger. Dem streng metrischen Vorgehen wurde sogar mal der oscarprämierte Film "Moneyball" gewidmet, mit Brad Pitt in der Hauptrolle. Er basiert auf realen Ereignissen beim Baseballteam Oakland Athletics. Maldini fand allerdings, dass Mailand doch ein ganzes Stück entfernt ist von Kalifornien; weniger geografisch, sondern vor allem ideell. Er wollte weiter auf sein Auge vertrauen dürfen, aufs Gespür. So wie er früher eben verteidigte, allein 647 Mal im Trikot von Milan. Und so, wie er auch als Verantwortlicher Milans Rückkehr unter Europas Großklubs organisiert hat.

Maldini und Cardinale tragen seit der Trennung einen medialen Kleinkrieg aus, es geht mitunter schmutzig zu. Interessant ist aber: Vor ein paar Jahren war es Maldini, der den gealterten Stürmer Ibrahimovic zurückholte, damit Milan wieder eine Gewinnerkultur verpasst bekommt. Jetzt ist er wieder da.

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