Auftakt zur Bundesliga-Rückrunde:Europa in Sicht!

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Haben eines gemeinsam: Urs Fischer (rechts) und Christian Streich, hier vor dem Hinspiel in Berlin, können jeweils die Champions League erreichen - allerdings wohl nicht beide. (Foto: Bernd König/Imago)

Die Meisterschaft ist gefühlt entschieden, doch um die Champions League kämpfen viele Klubs, die dort noch nie waren. Ein SZ-Ausblick von Freiburg über Union unter besonderer Berücksichtigung der neuen Ambitionen des FC Augsburg.

Von Javier Cáceres, Sebastian Fischer und Philipp Selldorf, München

Auf den ersten Blick verspricht die Rückrunde der Bundesliga mal wieder kein Höchstmaß an Spannung: Erster der FC Bayern, Zweiter Borussia Dortmund, das könnte wahrscheinlich auch in der zweiten Saisonhälfte so bleiben. Alle Mannschaften dahinter sind dem Abstiegskampf nach Punkten näher als der Tabellenspitze. Doch diese außergewöhnliche Ausgeglichenheit im Liga-Mittelfeld bedeutet immerhin: Vielleicht schafft es ein Bundesligist in diesem Jahr zum ersten Mal in seiner Vereinsgeschichte in die Champions League. Die SZ sammelt Argumente für sechs Kandidaten - von denen nur einer sehr viel Rückstand aufholen müsste.

SC Freiburg (Hinrunden-Rang 3/29 Punkte)

Das beste Argument, warum der SC Freiburg seinen Tabellenplatz verteidigen könnte, darf man nicht nennen, ohne Ärger zu bekommen. Das beste Argument heißt Christian Streich. Freiburgs Trainer, 56, der gerade sein zehnjähriges Jubiläum im Job feierte, ist nach einhelliger Expertenmeinung einer der versiertesten Fußball-Lehrer und -Gelehrten der Liga. Streich selbst allerdings betrachtet solchen Personenkult mit Skepsis. "Mir wäre es viel lieber, wenn ich weniger im Fokus stünde", sagte er jüngst dem Kicker.

Als nächstes Argument für die Europapokaltauglichkeit des Sportclubs könnte man das neue Stadion erwähnen, aber auch da würde Streich womöglich einhaken: Von seinen Tränen zum Abschied des alten Dreisamstadions weiß man nämlich, dass er den Umzug nicht nur mit Hoffnungen, sondern auch mit Wehmut verband. Bliebe natürlich noch die Mannschaft, der man die Fähigkeit zusprechen könnte, in der Königsklasse zu bestehen. Auch das ist nicht so leicht mit dem Zugeständnis Streichs. "Kümmert euch um Bayern und Dortmund und die anderen und lasst unsere Jungs in Ruhe", sagte er zuletzt. Doch selbst Streich würden die Argumente fehlen, würde er Freiburgs stärkstem Mannschaftsteil absprechen wollen, zu Höherem berufen zu sein. Die Defensive war in der Hinrunde genauso gut wie jene des FC Bayern, Freiburg kassierte nur 16 Gegentore in 17 Spielen. Innenverteidiger Nico Schlotterbeck, 22, stand dabei jedes Mal auf dem Platz. Gemessen an seinem am Kicker-Notendurchschnitt (2,53) war er bislang von allen Bundesliga-Stammspielern gemeinsam mit Bayern-Stürmer Robert Lewandowski der beste. Und aus seinen Ambitionen macht er kein Geheimnis. Schon im November sagte er der SZ: "Ich will mit Freiburg ins internationale Geschäft. Dieses Ziel gebe ich offen zu."

Eintracht Frankfurt (6/27)

"Der Wald stirbt - die Tanne steht." Mit diesem großen Slogan würdigten einst Fans des FC Schalke 04 den nimmermüden, immer aufrechten Libero Klaus "Tanne" Fichtel, als er 43-jährig den Altersrekord der Bundesliga aufstellte. Makoto Hasebe wird 38 Jahre alt sein, wenn er, wie es geplant ist, demnächst seinen Vertrag in Frankfurt verlängert, und die Anhänger der Eintracht dürfen schon mal überlegen, wie sie ihm bei ihrer Rückkehr in den Riederwald Reverenz erweisen möchten. "Die Erde wird heißer, Makoto bleibt cool"? Oliver Glasner hat eine Weile benötigt, um diese Einsicht zu gewinnen, zu Beginn der Saison war der Trainer dem Irrtum aufgesessen, er könne auf den alten Herrn Hasebe verzichten. Nach elf Spieltagen hatte der Japaner erst vier Einsätze bestritten, die Eintracht rangierte auf Platz 15. Dann durfte Hasebe wieder regelmäßig das Kommando in der Defensive übernehmen - und die Frankfurter gewannen sechs der verbliebenen sieben Spiele. Nur der trottelige Inspektor Clouseau würde den ursächlichen Zusammenhang verkennen.

Mittlerweile Inventar der Bundesliga: Makoto Hasebe. (Foto: Juergen Schwarz/Getty Images)

Anders als seinerzeit Klaus Fichtel muss Hasebe nicht nur dem Alter, sondern auch dem Wandel des Spiels widerstehen. Seit seiner Ankunft in der Bundesliga vor 14 Jahren hat sich der Fußball enorm beschleunigt, doch der Hektik auf dem Rasen begegnet er mit innerer Ruhe: Er schläft stets acht Stunden, nimmt abends ein entspannendes Bad. Ist ein Gegner mal schneller als er, wird er nicht nervös - er nimmt dann ein kleines oder größeres Foul zur Hilfe: Hasebe ist ein höflicher Mann, aber auch ein ehrgeiziger Sportler. Mit Wolfsburg ist er Meister und mit der Eintracht Pokalsieger geworden, aber ein großes Ziel hat er noch: "Die Champions League natürlich." Das kann klappen, nachdem Trainer Glasner gelernt hat, wem er seine Abwehr anvertrauen sollte.

Union Berlin (7/27)

Christian Streich wird es hoffentlich verzeihen, dass er hier noch mal kurz im Fokus steht. Denn als am vorletzten Hinrunden-Spieltag der SC Freiburg beim 1. FC Union Berlin antrat, blieb weniger die torlose Partie an sich im Gedächtnis, sondern die Ehrbezeugung des Freiburger Trainers. "Dass Union Europapokal spielt und jetzt wieder mehr als 20 Punkte hat, das spricht für brutale Mentalität - und Qualität", raunte er. Seine Bewunderung war umso größer, weil er in seinen zehn Jahren Bundesliga viele Opfer der sogenannten "Dreifachbelastung" aus Liga, DFB- und Europapokal erlebt hat. 2014 wäre er mit seinen Freiburgern fast selbst abgestiegen, nachdem sie sich ebenfalls im Europacup versucht hatten. Seinerzeit ähnlich unverhofft, wie es die Unioner nun in den von der Uefa neu erschaffenen Wettbewerb namens Conference League verschlagen hatte.

Taiwo Awoniyi (rechts, mit Marcus Ingvartsen) war der erfolgreichste Torschütze der Unioner. (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Die Berliner schlugen sich dort mehr als achtbar. Obschon Slavia Prag und Feyenoord Rotterdam in der Gruppe waren, kratzten sie an der Qualifikation für die K.-o.-Phase. Das merkte man den Berlinern im Alltag am Wochenende nicht an - weil Manager Oliver Ruhnert die Köpenicker in die Hydra der Bundesliga verwandelt hat. Je mehr Köpfe man den Köpenickern abschlägt, desto mehr Köpfe wachsen nach. Im Sommer gingen Stammkräfte wie Robert Andrich (Leverkusen) oder Nico Schlotterbeck (SC Freiburg, siehe oben), doch das fiel kaum ins Gewicht. Denn Ruhnert hat seinem Trainer Urs Fischer einen vielköpfigen, fußballerisch entwicklungsfähigen und ungemein homogenen Kader hingebaut, mit Offensivperlen wie Taiwo Awoniyi oder Max Kruse. Im Kalenderjahr 2021 gab es nur ein einziges Team, das bei einer Visite in Köpenick einen Sieg landen konnte, und dieses hat unbestreitbar Champions-League-Niveau: das Team des FC Bayern.

1. FC Köln (8/25)

Mancher Spieler des 1. FC Köln wird zurzeit beim Blick in den Spiegel möglicherweise an sich selbst zweifeln: Einerseits sehen Benno Schmitz oder Salih Özcan immer noch das gleiche Bild von sich, das sie dort immer schon gesehen haben. Andererseits sehen sie von sich selbst ein ganz neues Bild, wenn sie sich und ihre Spiele im Fernseh-Spiegel anschauen. Es ist nicht nur der Stil des Fußballs, der sich beim 1. FC Köln geändert hat, seit Steffen Baumgart im Sommer die Regie übernommen hat, auch viele Spieler sind anders als vorher. Reservisten wie Kingsley Schindler und Louis Schaub spielen wie Stammspieler, wenn sie auf dem Platz stehen; Rechtsverteidiger Schmitz ist jetzt ein relevanter Faktor im Angriffsspiel; Abräumer Özcan ein zupackender Stratege mit hoher Zweikampfeffizienz und spielerischer Note; der Kapitän Jonas Hector ist nicht mehr das scheue Wesen, das er früher war, gelegentlich scherzt er sogar.

Besondere Beziehung: Cheftrainer Steffen Baumgart (ohne Kappe) und Stürmer Anthony Modeste (mit). (Foto: Revierfoto via www.imago-images.de/imago images/Revierfoto)

Am auffälligsten wirkt die wundersame Medizin von Doktor Baumgart aber bei Anthony Modeste. Der 33 Jahre alte Mittelstürmer galt im Sommer als, so muss man das sagen, hoffnungsloser Fall, der den Verein obendrein entsetzlich viel Geld kostet. Jetzt ist er wieder ein Erfolgsfaktor, ein Volksheld und der lustigste Narr in der Stadt. Elf Treffer sind an sich bereits beeindruckend, aber unter der Lupe sind die elf Treffer noch viel wertvoller, weil sie immer wieder enge Spiele entschieden haben. Würde Modeste nun auch noch anfangen, Tore zu schießen statt nur zu köpfen - nicht auszudenken, wohin die Reise für den 1. FC Köln im nächsten Jahr gehen könnte.

1. FSV Mainz 05 (9/24)

Erst haben ihn die Experten vom Ligaverband und die online teilnehmenden Fans zum "Trainer des Monats" für den Zeitraum Juli/August 2021 bestimmt, dann auch für September. Im Oktober wählte die Jury ausnahmsweise einen anderen Mann zum besten Coach der Liga, aber für November/Dezember war wieder der ehemalige Trainer von Mainz 05 die klare Nummer eins.

Die Frage des Monats ist jetzt natürlich die, von welchem Groß-Meister und ehemaligen Mainzer die Rede ist: Von Jürgen Klopp oder Thomas Tuchel? Die richtige Antwortet lautet: C, Sandro Schwarz, der zurzeit als Fußball-Lehrer von Dinamo Moskau eine private Auszeichnung an die andere reiht. Schwarz war zwar nicht ganz so lang bei den 05ern, dass er wie Klopp und Tuchel eine Periode prägen konnte, doch er ist im Nachhinein ähnlich dringend vermisst worden. Nachdem ihn der Sportchef Rouven Schröder auf Drängen der Funktionäre im Klub im November 2019 beurlaubt hatte, ging es beim Karnevalsverein äußerst unlustig zu. Ein Jahr nach Schwarz' Entlassung waren die Mainzer Letzter und kaum noch zu retten. Bis sich der Klub bei der Renovierung im vorigen Winter auf sich selbst besann: Erst wurde Christian Heidel wieder Klubchef, dann kehrte Martin Schmidt in die Kabine zurück - zum Glück aber nicht als Trainer, der er als Vorgänger von Sandro Schwarz war, sondern als Sportdirektor, der den Ex-Spieler und neuen Trainer Bo Svensson unterstützt.

Die Kausalität zwischen dem Erfolg von Mainz 05 und dem Trainer Bo Svensson ist offensichtlich. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Leute, die es witzig oder schlau finden, Chef-Trainer als "Übungsleiter" zu bezeichnen, als ob der Job von jedermann erledigt werden könnte, müssen beim Blick auf das Debütjahr von Bo Svensson in Scham versinken. Der 42 Jahre alte Däne verkörpert wie Schwarz die Familien-Tradition des FSV und erfüllt zugleich den hohen Leistungsanspruch seiner Ahnen Klopp und Tuchel. Anders als diese beiden muss er Mainz möglicherweise nicht verlassen, um in die Champions League aufzubrechen.

FC Augsburg (15/18)

Die ambitionierten Ziele des FC Augsburg hat bisher kein Trainer oder Manager formuliert, sondern jemand, von dem viele bis vor Kurzem wahrscheinlich noch nicht mitbekommen hatten, dass er überhaupt etwas mit dem Verein zu tun hat. "Ich möchte, dass Augsburg um Europa mitspielt", diese Worte sind überliefert von David Blitzer, Private-Equity-Manager aus den USA mit Beteiligungen an diversen Sportklubs weltweit. Im April 2021 kaufte er für 5,5 Millionen Euro 45 Prozent von FCA-Präsident Klaus Hofmanns Investoren GmbH, die wiederum 99,4 Prozent an der FC Augsburg GmbH und Co. KGaA hält.

Von Blitzers Investment hat das deutsche Fußballpublikum nun erstmals so richtig Notiz genommen, als ausgerechnet der kleine FC Augsburg in Zeiten der vielerorts verordneten Corona-Sparsamkeit einen Rekordtransfer verkündete: den Einkauf des Stürmers Ricardo Pepi, 18 Jahre jung - und ebenfalls aus den USA. Der Deal, angeblich mehr als 13 Millionen Euro teuer, wurde im Internet derart pompös präsentiert, dass es bisweilen ein bisschen überdreht wirkte.

Im Fokus: Neuzugang Ricardo Pepi vom FC Augsburg. (Foto: Klaus Rainer Krieger/imago images/Krieger)

Ein Stürmer ist zwar tatsächlich das, was die mit nur 17 Treffern ziemlich torungefährliche Mannschaft gebrauchen kann. Aber trotzdem geht es mit dem Rückrundenbeginn in Augsburg natürlich zunächst wieder um Abstiegskampf. Europa wirkt noch recht fern. Und die Verantwortlichen bemühen sich erst mal, den selbst verursachten Hype wieder etwas einzufangen: "Ganz verdutzt" habe er bemerkt, dass Pepi einen Monat jünger sei als sein ältester Sohn, sagte Trainer Markus Weinzierl am Freitag. "Wenn ich mir vorstelle, dass ich den nach Amerika schicke und er da vor der Presse stehen und sich erklären muss und dann vor den Fans die riesigen Erwartungen erfüllen, das ist sehr, sehr viel."

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