Australian Open:Die wohl größte neue Attraktion im Frauentennis

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Behandelt Top-Ten-Spielerinnen so furchtlos wie Riesenschlangen: Mirra Andrejewa. (Foto: David Gray/AFP)

Die 16-jährige Russin Mirra Andrejewa erreicht in ihrem erst vierten großen Turnier nach dem Sieg gegen die Weltklassespielerin Ons Jabeur die dritte Runde - und träumt bereits von 25 Grand-Slam-Trophäen.

Von Barbara Klimke, Melbourne

Um sich dem Phänomen Mirra Andrejewa zu nähern, ist ein Exkurs in die Flora und Fauna Australiens vonnöten: zu den Reptilien, Gattung Schwarzkopfpython. Diese bodenlebende Riesenschlange (Aspidites melanocephalus) ist nicht giftig, der muskulöse Körper erreicht jedoch eine Länge von bis zu bedrohlichen drei Metern. Andrejewa, selbst ein schmales Mädchen von 16 Jahren, hatte, als sich die Gelegenheit ergab, nichts Eiligeres zu tun, als so eine Python in die Hände zu nehmen. Ihren ängstlichen Manager zwang sie dazu, die Schlangenhaut ebenfalls zu berühren.

Was ist dagegen ein Tennismatch gegen eine Weltklassespielerin wie Ons Jabeur?

Andrejewa hat die Python-Episode zur Freude des Publikums am Mikrofon in der Rod-Laver-Arena in Melbourne erzählt, der größten Tennisarena des Kontinents, die ihr offenbar ebenfalls keine Furcht einjagte. Zuvor hatte sie die dreimalige Grand-Slam-Finalistin aus Tunesien geschlagen, 6:0, 6:2, in weniger als einer Stunde.

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Die Begegnung mit den Wildtieren Australiens aus dem Melbourner Zoo, Schwarzkopfpython inklusive, gehört zum Rahmenprogramm für die Profis aus aller Welt bei den Australien Open. Diesen Termin hatte sich Andrejewa lange im Voraus notiert. Dagegen war das Match gegen Jabeur nicht vorab zu planen: Die Chance hatte sie sich selbst erspielt mit einem Erstrundensieg am Montag gegen die 13 Jahre ältere US-Amerikanerin Bernarda Pera.

In der Weltrangliste wird Andrejewa mittlerweile auf Position 47 geführt, kurz hinter der derzeit besten deutschen Berufsspielerin Tatjana Maria (Nummer 42), obwohl sie wegen der Altersrestriktionen der Frauentour-Organisation WTA nur wenige Profiturniere spielen darf. Mehr als zwölf Wettbewerbe pro Saison sind aus Gründen des Jugendschutzes nicht erlaubt.

Dass Andrejewa zu den größten Talenten des Tennissports zählt, ist schon lange kein Geheimnis mehr

Trotzdem hat sich die junge Russin, geboren in Krasnojarsk, binnen eines knappen Jahres in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gespielt: Bei den French Open in Paris 2023, ihrer Premiere bei diesen großen Turnieren, erstaunte sie die Fachwelt mit ihrem außerordentlich effektiven Grundlinienspiel auf rotem Sand, das sie bis in die dritte Runde trug. Danach verkündete sie im jugendlichen Überschwang, dass sie 25 Grand-Slam-Trophäen gewinnen wolle. Wenig später erreichte sie im Rasenreich von Wimbledon als Debütantin bereits das Achtelfinale. Auch bei den US Open in New York nahm sie die erste Hürde. Und in Melbourne, bei ihrem vierten Grand-Slam-Turnier, steht sie nun wieder in Runde drei und hat erstmals eine Rivalin aus den Top Ten des Tennissports besiegt.

"Ich glaube, das war das beste Match, das ich je gespielt habe", sagte Andrejewa danach auf dem Platz in nahezu perfektem Englisch: "Ich hätte gar nicht vermutet, dass ich überhaupt so gut spielen kann, zumindest im ersten Satz."

Die Ballzauberin Ons Jabeur, die zweimal nacheinander im Wimbledonfinale gestanden hatte, wirkte an diesem Tag nicht auf der Höhe ihres Könnens; die Aufschlagquote war miserabel, und zu den Umständen, die die Niederlage hätten erklären können, äußerte sie sich am Mittwoch nicht öffentlich. Auffällig war, dass Andrejewa, die in der Tunesierin ein Vorbild sieht, mitten im Match beschloss, das Idol mit dessen eigenen Mittel zu schlagen, denn sie streute munter Stoppbälle - sonst eine Spezialität Jabeurs - ins Spiel. "Ich kann das auch schon ganz gut", erklärte sie verschmitzt.

Wirkte gegen Andrejewa nicht auf der Höhe ihres Könnens: Ons Jabeur. (Foto: Lukas Coch/dpa)

Dass das Mädchen aus Sibirien, das heute in Cannes wohnt und beim Franzosen Jean-René Lisnard trainiert, zu den größten Talenten des Tennissports zählt, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Als "extrem versiert und furchtlos" hat die Dänin Caroline Wozniacki, 33, sie beschrieben - die am Mittwoch ihrerseits einer jungen Russin, der 20 Jahre alten Maria Timofejewa, in drei Sätzen unterlag. "Ich denke, das ist der Lauf der Dinge", sagte Wozniacki, die einst ebenfalls im Alter von 15 auf der WTA-Tour debütiert hatte: "Es kommt immer eine jüngere Generation nach."

In Melbourne waren es nun sogar drei 16-Jährige, die mit Wucht und Schwung ins Establishment drängten und die Älteren ins Laufen brachten. Auch Alina Kornejewa aus Moskau hatte die zweite Runde erreicht. Kornejewa war als Juniorin sogar noch erfolgreicher als Mirra Andrejewa: Vor Jahresfrist hatte sie die russische Rivalin im Finale des Junioren-Turniers der Australian Open, ebenfalls in der Rod-Laver-Arena, geschlagen. Am Mittwoch allerdings stand sie der routinierten Brasilianerin Beatriz Haddad-Maia, Nummer zehn der Welt, gegenüber und verlor 1:6, 2:6. Die dritte aus dem Trio der Talente, Brenda Fruhvirtova aus Prag, bereits die Nummer 107 der Welt, hatte ein noch unglücklicheres Los gezogen: Gegen Titelverteidigerin Aryna Sabalenka aus Weißrussland hatte sie bei der 3:6, 2:6-Niederlage kaum eine Chance.

Für Mirra Andrejewa dagegen geht die wunderbare Reise weiter. In der nächsten Runde wartet die Französin Diane Parry, die mit 21 Jahren auch zur Zukunft des Tennissports zählt. "Ich bin erst 16, ich muss noch nicht unbedingt an mein Ranking denken", hat Mirra Andrejewa am Mittwoch nach ihrem Coup gegen Jabeur noch gesagt. Aber man sollte sich nicht täuschen in diesem Mädchen, das nicht einmal Pythons fürchtet. Als sie in Wimbledon verlor, hat sie aus Ärger einen Schläger zertrümmert.

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