Österreich:Ein Skitouren-Traum auch für Anfänger

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Auf den ersten Blick die reinste Winterwildnis. Aber die Skigebiete sind nie sehr weit weg von den Tourengehern. (Foto: Florian Sanktjohanser)

Tagelang auf Skiern durchs verschneite Gebirge: Während das auf der Haute Route recht anspruchsvoll ist, haben in den Kitzbüheler Alpen auch Einsteiger eine Chance.

Von Florian Sanktjohanser

Harald Koidl steht im Steilhang und schaut hinauf zu den Schneewechten, die über ihm hängen wie brechende Wellen. "Hier geht normalerweise keiner rauf", sagt er. "Zu steil, zu schwierig, nicht beschrieben." Dann grinst er und macht die nächste Spitzkehre. Koidl darf das. Der 43-Jährige mit den Korkenzieherlocken ist Bergführer und hier zu Hause. Aufs Feldalphorn ist er schon oft gestiegen, aber meist auf der anderen Seite. "Von Wildschönau aus ist das die Skitour schlechthin", sagt er. Hier dagegen ist kein anderer Tourengeher zu sehen. Wie so oft auf dieser Viertagestour quer durch die Kitzbüheler Alpen.

Am Startpunkt war das nicht gerade zu erwarten. Die Oberlandhütte in Aschau ist voll. Morgens tigern Studenten in langer Unterwäsche über die Gänge und sammeln Socken und Felle von der Trockenleine. Vor der Hütte erzählt ein grauhaariger Bergfex, wie er als Junge dafür verspottet wurde, die Berge auf Skiern hochzukeuchen. "Und jetzt ist Tourengehen ein Massensport", sagt er. Im Hintergrund wartet schon seine Gruppe, junge Leute, ein Skitouren-Anfängerkurs des Alpenvereins.

Dem Bergführer ist unterwegs kalt. Der Gast geht ihm einfach zu langsam

Skitouren boomen, und ein Ende ist nicht abzusehen. In den vergangenen Jahren hat eine neue Generation diese anstrengende Spielart des Wintersports für sich entdeckt. Manche steigen Skipisten hinauf, aus Angst vor Lawinen oder weil sie das Tourengehen als Fitnesstraining betreiben. Viele suchen die Naturnähe, die Stille weit weg von Liften und Schirmbars. Der große Mythos für sie ist die Haute Route: auf Skiern von Hütte zu Hütte wandern.

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Man muss kein Tourenprofi sein, um sich diesen Traum zu erfüllen. Es geht auch eine Nummer kleiner, ohne Viertausender und Gletscherspalten. "In den Kitzbüheler Alpen haben wir vor allem Wiesenhänge mit wenigen Steinen", sagt Koidl. "Selbst bei wenig Schnee kann man überall Touren machen." Ein perfektes Gebiet für Einsteiger, aber nicht nur. "Es gibt alles hier", sagt Koidl, "von leichten Touren mit 600 Höhenmetern und kaum Lawinengefahr bis zu Touren, bei denen man 55-Grad-Abfahrten hat und sich abseilen muss."

Welche Art er selbst bevorzugt, wird schnell klar. Koidl hat raue, kräftige Hände und den sehnigen Körper eines Ausdauersportlers. Als Kind schwamm er Tiroler Rekorde, später war er Profi in militärischem Fünfkampf. Den Weltrekord im Hindernisschwimmen hält er bis heute. Taekwondo und Freitauchen machte er auch, sechs Minuten kann er die Luft anhalten. Und im Skibergsteigen lief er natürlich Rennen. "Jetzt weiß ich, warum mir dauernd so kalt ist", sagt er, "mein Puls ist so weit unten."

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Um seine Gäste zu testen, lässt Koidl sie am ersten Tag auf die Spießnägel steigen. Klingt hart, ist es auch. Denn statt in weiten Serpentinen die Forststraße hinaufzuschlurfen, nimmt Koidl steile Abkürzungen. Bald rutschen die Ski trotz der Felle nach hinten, immer wieder muss man sich unter Ästen hindurchducken. Stehen bleiben, durchatmen. Seit dem Vorabend schneit es durch. "So viel Schnee habe ich hier seit sieben Jahren nicht mehr erlebt", sagt Koidl. "Bessere Bedingungen kann man hier kaum haben."

Koidl spurt weiter voran, durch den Aschenbrödel-Märchenwald und wadentiefen Schnee auf den Almen. Eine Winterwildnis, meint man, weit weg vom Skizirkus. Eine Illusion. "Die Narben, die der Wintertourismus in den Bergen schlägt - die Speicherseen, die Betonbunker für die Pistenraupen - sind jetzt gnädig zugedeckt", sagt Koidl. Als er über den Kamm zum Gipfel aufsteigt, wummern irgendwo im Nebel Bässe. Woher sie kamen, sieht man am nächsten Morgen. Auf dem gegenüberliegenden Hang schneidet ein Skilift durch den Bergwald. "Wir sind auf allen Seiten umgeben von Skigebieten", sagt Koidl. Und so wird das die folgenden Tage auch bleiben. Zumindest sieht man Pisten und Lifte meist nur aus der Ferne. Den Blick fesseln die Gipfel ringsum. Und all die hübschen Stadel, Kapellen und Almen aus verwittertem Holz. Der Wilde Kaiser spitzt aus dem Morgennebel. Nach einem Wäldchen öffnet sich der Blick auf einen geschwungenen Kamm, der noch grandiosere Aussichten verspricht.

"Man sieht sofort, welche Spur von einem Bergführer gelegt wurde", sagt Koidl. "Ich versuche, dass die Spur gleichmäßig ansteigt, ohne Spitzkehren." Auf den letzten Metern vor dem Gipfel ist es damit allerdings vorbei. Spitzkehre um Spitzkehre arbeitet man sich am eisigen Rand eines Steilhangs hinauf. Die Ski rutschen weg, man landet auf dem Bauch, rappelt sich auf, geht tastend weiter. Und steht endlich auf dem Brechhorn, 2032 Meter. Koidl deutet auf einen gewundenen Grat, über den Wechten hängen. Dort will er rüber. Auf Skiern. Zum Glück bietet er nach längerem Studium der Karte noch eine "Hasenvariante" an. Er meint: für Hasenfüße. Gerne.

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Über sanft abfallende Hänge wedelt Koidl talwärts. Wie müheloses Hoppeln sieht das bei ihm aus, selbst wenn der Schnee tief und schwer ist. Doch bald wird das Gelände bucklig, und der schwere Rucksack macht das Skifahren nicht einfacher. Gerät man in Rücklage, zieht er nach hinten; wird man in eine Mulde gestaucht, schlägt er auf den Hinterkopf. Damit all das noch spannender wird, kommen Bäume als Slalomstangen hinzu. Und irgendwann wird die einzige Schneise im Bergwald so eng und steil, dass man lieber abschnallt und auf dem Hosenboden hinabrutscht.

Viele folgen erst den Forststraßen - und dann den Spuren anderer Tourengeher

"Das Brechhorn ist kein Berg für Skitouren-Anfänger", sagt Koidl später, bei Wiener Schnitzel und Kaiserschmarrn am warmen Kachelofen des Jagerhäusls. Und gibt zu, dass es eine noch hasenmäßigere Variante über das Skigebiet Westendorf gegeben hätte. "Im Grunde könnte man die gesamte Durchquerung mit Liftunterstützung machen", sagt Koidl, "und sich so die Hälfte der Höhenmeter sparen." Für die Gruppe am Nebentisch wäre das wohl ein Sakrileg.

Drei von ihnen seien Halbprofis, erklärt ein junger Langhaariger wichtigtuerisch. Einen Bergführer bräuchten sie nicht. Koidl hört ihm milde lächelnd zu. Seine erste Skitour machte er als Zehnjähriger mit seinem Vater, heute geht er mehr als 100 Touren pro Saison, überall in den Alpen. "Ja, die unteren 150 Höhenmeter kann man hier oft auf Forststraßen gehen", sagt er. "Danach folgen viele einfach den Spuren, die schon da sind." Als Nichtmal-Viertelprofi ist man jedenfalls froh um einen Bergführer. Er warnt, wenn eine Straße eine Klippe in den Hang schneidet oder ein Stacheldraht quert. Vor allem aber spürt er unverspurte Hänge auf.

Den Einstieg zum Lodron hätte man allerdings auch ohne ihn gefunden. Grüne Schilder weisen den Weg, auf einer Schautafel sind Routen eingezeichnet und Ruheräume für Wildtiere schraffiert. Aber heute spurt Koidl ohnehin mal nicht querfeldein, sondern gönnt seinen Gästen einen entspannten Aufstieg über die Straße. Die Luft ist am Morgen so kalt, dass die Nasenhaare sich wie zusammengeklebt anfühlen. Doch es dauert nicht lange, bis man Lage um Lage auszieht. Selbst im Unterhemd schwitzt man in der Sonne. Koidl schlägt einen Umweg ein, um den fantastischen Wintertag auf dem Bergrücken voll auszukosten. Selbst hier ist längst eine Spur gelegt. "Der Lodron ist ein Skitouren-Klassiker", sagt Koidl. Und nach den Abenteuern am Vortag ein wunderbar einfacher Berg.

Am Gipfelkreuz erwartet einen ein Dutzend Tourengeher. Die Aussicht ist bildschön, rundum breiten sich Hohe Tauern, Karwendel, Zillertaler Alpen aus. Aber zum ausgiebigen Schauen und Merken pfeift der Wind zu garstig über den flachen Gipfel. Koidl wedelt voraus, bis sich ihm die Demmelshütte in den Weg stellt. Der Balkon, windstill und sonnenseitig, lockt mit Sirenengewalt, und schon stehen Weißbier und Zirbenschnaps auf dem Tisch.

Von hier könne man die Tour Berg um Berg verlängern, sagt Koidl, bis ins Zillertal. "Alles Tourenberge, die man nach Gusto kombinieren kann." Klingt wie ein Versprechen.

© SZ vom 15.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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