Das Bergbauernmuseum im österreichischen Hochtal Wildschönau. Daniel Brühl ist etwas übernächtigt, aber voll bei der Sache. Am Vorabend hat er den Schnaps probiert, den die Einheimischen aus der weißen Stoppelrübe brennen. Mit seinem Wirt ist er dann morgens um sechs Uhr wandern gegangen. Die roten Stiefel trägt er sogar noch beim Interview. Dazu ein aufgekrempeltes, kariertes Hemd und Jeans. Daniel Brühl ist ein Stadtmensch - in Barcelona geboren, in Köln aufgewachsen, jetzt lebt er in Berlin. In den Bergen hat er immer wieder Filme gedreht, zuletzt "Die kommenden Tage". Jetzt macht er auch Tourismuswerbung.
SZ: Herr Brühl, so oft kommen Sie wohl nicht über den Prenzlauer Berg hinaus, oder?
Brühl: Ich muss schon zugeben, dass ich mich die meiste Zeit des Jahres in großen Städten aufhalte. Aber allein in den vergangenen vier Monaten war ich sechs, sieben Mal wandern, in Island zum Beispiel und in Spanien. Mein Vater ist ein leidenschaftlicher Wanderer. Er hat mich schon als Kind mit in die Berge genommen. Im Urlaub waren wir meistens in Frankreich, in Spanien, in den Nationalparks der Pyrenäen unterwegs.
SZ: Was haben Sie davon behalten?
Brühl: Das gemeinsame Erlebnis. Ich mag es einfach, neben jemandem herzugehen, in einen gemeinsamen Rhythmus zu finden. Eindrücke prasseln auf einen ein, über die man viel reden muss. Dann gibt es wieder Phasen, in denen man gar nicht mehr redet, in denen jeder abdriftet und seinen Gedanken nachhängt.
SZ: Wandern ist also ein Männerding zwischen Vater und Sohn oder Kumpels?
Brühl: Nein, ich bin auch mit Freundinnen gewandert. Überall, wo wir waren: im Dschungel, in Lateinamerika, irgendwelche Vulkane hoch, oder in Australien - einfach den Rucksack gepackt und losgezogen. Aber ich muss auch sagen, dass das alles nichts mit irgendwelchen Höchstleistungen zu tun hat.
SZ: Dann geht es Ihnen nicht so wie etwa Ihrer amerikanischen Kollegin Jessica Biel, die am Kilimandscharo war und soeben verkündet hat, jetzt das Basislager des Everest in Angriff zu nehmen?
Brühl: Nein, nein. Man muss da eine Grenze ziehen. Ich kann natürlich nicht so tun, als wäre ich Reinhold Messner. Die Faszination für solche extremeren Sachen kann ich allerdings verstehen. Es ist aber auch eine Frage der Fitness und der Zeit, die man hat, sich auf so eine Unternehmung vorzubereiten.
SZ: Wie sieht es mit Klettern aus?
Brühl: Ich habe neulich einen Koch, der klettert, in Barcelona kennengelernt. Der hat mir angeboten, mir am Montserrat im Hinterland der Stadt zu zeigen, wie man die Felsen hochgeht. Ich könnte mir vorstellen, dass ich Schiss hätte. Aber wenn man es mit jemandem macht, dem man vertraut, und sich langsam herantastet, kann es sicher toll sein. Ich setze es mal auf meine Liste.
SZ: In Sachen Trittsicherheit sind Sie jedenfalls schon früh aufgefallen - indem Sie Leonardo DiCaprio bei einer Preisverleihung auf die Füße gestiegen sind.
Brühl: Ich wollte ihm einfach mal die Hand schütteln und sagen, dass ich seine Sachen klasse finde. Stattdessen ist so ein Tolpatschmoment daraus geworden. Ein anderes Mal in einer Bar habe ich ihn erst nicht erkannt. Aber da war ich auch nicht in der Verfassung, ihn anzusprechen. Ich dachte mir: Wenn ich schon immer wieder von Betrunkenen angelabert werde, wie muss es ihm dann erst gehen?
SZ: Werden Sie auch in den Bergen angesprochen?
Brühl: Die Deutschen sind ja passionierte Wanderer. Es kommt schon vor, dass man selbst an entlegenen Orten in sie hineinläuft. Das erste Erlebnis dieser Art hatte ich, nachdem "Good Bye Lenin!" in die Kinos gekommen war. Ich war auf den Kanaren unterwegs, mitten in einem einsamen Lorbeerwald, der Himmel düster wie in einem Horrorfilm. Da erschien just ein deutsches Pärchen. Sie riefen schon von weitem "Hey, Lenin!". Da wusste ich: Es hatte sich etwas verändert in meinem Leben.
SZ: Tarnen Sie sich deshalb inzwischen mit Filzhut, Gletscherbrille und Kniebundhose?
Brühl: Um Gottes willen! Abgesehen davon, dass das beknackt aussieht, ist es doch so, dass gerade die Schauspieler, die sich tarnen, erkannt werden wollen. In Berlin lebt man auch als halbwegs bekannter Mensch unbehelligt. Und solche Massen sind in den Bergen dann auch wieder nicht unterwegs, dass man nicht seinen Frieden hätte.
SZ: Außer dieser Art von Ruhe - wozu ist die Stille der Berge sonst noch gut? Brühl: Sie schärft meine Sinne. Es ist etwas ganz Elementares, das da einsetzt: Die Augen gewöhnen sich plötzlich wieder an andere Räume, andere Weiten. Das tut auch dem Kopf gut. Und diese feine Stille! Da wird das Hören wieder spannend. In der Stadt hat man doch andauernd diesen konstanten Lärm-Dauerbrei. Wir sind uns gar nicht mehr bewusst, wie stressig das ist, wenn ständig ein Rauschen da ist. Auch das Riechen wird wieder interessant. In den Bergen geht für alle Sinne der Punk ab. Man ist halt schnell bei Plattitüden und Klischees, aber ich kann es nicht anders sagen: Es ist einfach ergreifend, durch schöne Natur zu gehen.
SZ: Was sagen denn Ihre Berliner Freunde, wenn Sie solche Plädoyers fürs Landleben halten?
Brühl: Es gibt da durchaus so eine Art Rückbesinnung, gerade in meiner Generation. Du bist zerfahren zwischen den Jobs, musst ständig von A nach B, wo du immer zu spät kommst zu irgendwas und wischiwaschimäßige Entscheidungen triffst. In den Bergen herrscht Klarheit: Da ist dein Ziel, hier machst du Rast, weil es dir an diesem Platz gefällt. Man reduziert alles und ist konzentriert bei einer Sache.
SZ: Sogar heute morgen, als Sie kurz nach Sonnenaufgang losgezogen sind?
Brühl: Mein Begleiter hat gesagt, ich soll die Schuhe ausziehen. Dann sind wir eine halbe Stunde lang barfuß über eine Almwiese gegangen. Da plagt dich nichts mehr, nichts lenkt dich ab, du befasst dich nur damit, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Dazu kommt dieses angenehme Gefühl von Mickrigkeit: Wenn ich mir vorstelle, wie lange die Bäume und Berge schon dastehen mit ihrer Größe und Ruhe, dann rücken sich viele Dinge in meiner Birne zurecht. Dann findet man heraus, was wirklich ein Problem ist und was nicht.
SZ: Holt Sie eine Übernachtung in einem stickigen Matratzenlager wieder von so einem Höhenrausch herunter?
Brühl: Nein, die Unterkunft muss sich schon urig anfühlen. Das ist Teil des Erlebnisses. Im Matratzenlager war ich zum Beispiel mit Regisseur Hans Weingartner, als wir uns für den Dreh von "Die fetten Jahre sind vorbei" vorbereitet haben. Klar, es ist ein großer Raum mit vielen fremden Männern, die schnarchen. Aber alles, was Chichi ist, passt nicht zum Wandern. Da schläft man doch nicht in einem Fünf-Sterne-Wellness-Tempel.
SZ: In "Die fetten Jahre sind vorbei" spielen Sie einen Großstadtrevoluzzer, der einen Bonzen auf eine abgelegene Almhütte über dem Achensee entführt. Würden Sie auch mal einen Bergfilm wie "Nordwand" mit Benno Fürmann machen?
Brühl: Den Film finde ich richtig gut. Benno wandert und klettert ja selbst. Er passt total in der Rolle - obwohl er kein Bayer ist...
SZ: ...was er aber mit einer Art Dialekt darzustellen versucht.
Brühl: Es ist schwierig, so eine historische bayerische oder österreichische Figur zu spielen. Aber per se finde ich Berge als Kinomotiv super. Seit der Wanderung heute morgen bin ich völlig besessen von der Idee, einen Actionfilm in den Bergen zu machen, einen Thriller mit Verfolgungsjagden und einem Mörder, den ich am besten selbst spiele.
SZ: Interessant, dass Sie vor der Figur eines Bayern zurückschrecken würden. Sie gelten ja als einer, der in seine Rolle regelrecht hineinschlüpfen kann.
Brühl: Manchmal ist einfach zu wenig Zeit zur Vorbereitung. Man muss deshalb wissen, was man sich zutraut. Ich frage mich also: Nimmt man mir diese Rolle ab? Nehme ich mir selbst diese Rolle ab? Wenn ich mir vorstelle, ich würde mit meinen Münchner Freunden im Biergarten sitzen und über einen Film diskutieren, in dem ich einen Bayern spiele - da kriege ich einen Horror.
SZ: Dafür getrauen Sie sich, fürs Wandern zu werben, eine Tätigkeit, die vielleicht manche für opamäßig halten.
Brühl: Wandern hat sicher nicht die Coolness, die andere Sportarten haben. Das ist bei vielem so, was ich mache. Was sagt das jetzt über mich?
SZ: Sie sind ein Publikumsliebling - Wandern passt zum netten Image.
Brühl: Dann fehlt jetzt wohl nur noch Minigolf. Oder Curling.