Schwedens Nato-Beitritt:Erdoğan hat unterschrieben. Und jetzt?

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Wie lässt sich sein plötzlicher Sinneswandel erklären? Recep Tayyip Erdoğan hatte sich viel Zeit gelassen beim Thema Schweden. (Foto: Mindaugas Kulbis/AP)

Nach Monaten des Zögerns handelt der türkische Präsident: Er übergibt die Entscheidung über den Nato-Beitritt Schwedens dem türkischen Parlament. In Schweden herrscht Freude, aber der Champagner bleibt noch im Kühlschrank.

Von Raphael Geiger und Alex Rühle, Stockholm/Istanbul

Dies sei "der erste von drei Schritten", sagte der schwedische Außenminister Tobias Billström, nachdem sich am Montagabend in Stockholm die Nachricht verbreitet hatte, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan soeben den Nato-Antrag seines Landes unterschrieben und dem türkischen Parlament zur Ratifizierung vorgelegt habe.

"Frohe Neuigkeiten", hatte Premierminister Ulf Kristersson eine Stunde zuvor auf X geschrieben. Kristersson hat den Nato-Beitritt vor einem Jahr als wichtigstes Thema der Regierung bezeichnet. Wenige Wochen nach Amtsantritt war er frohgemut nach Ankara gereist, um sich dort dann wie ein Schuljunge von Erdoğan abkanzeln zu lassen: Viel zu wenig habe Schweden bisher gegen den "Terrorismus" unternommen; bevor man überhaupt weiterrede, müsse die Regierung in Stockholm Mitglieder der kurdischen Arbeiterpartei PKK ausliefern.

Natürlich kannte Erdoğan die schwedische Rechtslage und wusste, dass kaum einer der Kurden einfach ausgeliefert werden kann. Aber er stand danach daheim als Sieger da - und konnte außerdem von den Amerikanern F-16-Düsenjäger im Tausch gegen seine Unterschrift fordern.

Zugesagt hat er schon im Juli, aber wirklich eilig hatte er es bisher nicht

Die US-Regierung hat dem Verkauf zwar zugestimmt, im Kongress aber waren einige Abgeordnete dagegen. Außerdem kann nichts beschlossen werden, bevor das Repräsentantenhaus sich auf einen neuen Sprecher einigt. Insofern rätselt man in Schweden, was den Ausschlag gegeben haben mag für Erdoğans plötzliche Unterschrift. Schließlich ist das Image der Schweden seit den jüngsten Koranverbrennungen noch schlechter als vor einem Jahr. Und der türkische Präsident hatte zwar beim Nato-Gipfel im Juli seine Unterschrift zugesagt, sich zuletzt aber mehr Zeit damit gelassen als versprochen; er würde die Schweden-Entscheidung gleich nach der Sommerpause dem Parlament übergeben, sagte Erdoğan damals.

Am 1. Oktober, als das Parlament erstmals wieder zusammenkam, traf ein PKK-Anschlag das Zentrum von Ankara. Zwei Attentäter schafften es bis vors Innenministerium, das Parlamentsgebäude liegt gleich gegenüber. Erdoğan wies in den vergangenen Wochen wieder häufiger darauf hin, was er von Schweden noch so alles erwarte - zusätzlich zu den F-16-Jets aus den USA. Erdoğan, schien es, hatte es mit seiner Unterschrift nicht eilig.

Jens Stoltenberg, der Generalsekretär der Nato, gab sich in einem internen Memo am 11. Oktober zuversichtlich, Schweden als 32. Mitglied begrüßen zu können. Und zwar schon, wenn sich die Außenminister des Bündnisses am 28. und 29. November treffen. Stoltenberg hat Erdoğan monatelang umworben, am Dienstag kam er nach Stockholm und sprach neben Premier Kristersson von seiner Hoffnung, dass die Türkei den schwedischen Beitritt nun "zügig" ratifiziere. "Ich freue mich", so Stoltenberg, "Schweden bald in der Nato zu begrüßen."

Erdoğans Koalitionspartner setzen den Präsidenten unter Druck

Was Billströms Bild von den drei Schritten angeht: Als nächstes muss das türkische Parlament zustimmen, in dem Erdoğans AKP gemeinsam mit der rechtsextremen MHP die Mehrheit stellt. Wie schnell die Ratifizierung vonstatten gehen wird, ist unklar. So Erdoğan es will, kann es innerhalb weniger Tage geschehen. Bisher hat der Präsident nur unterschrieben, erklärt hat er sich nicht. Er gab seine Zustimmung, wie das mit Unterschriften so ist, auf dem Papier. Ob er Schwedens Beitritt nun tatsächlich genehmigt hat, oder ob er sich offen lässt, ihn im Parlament noch scheitern zu lassen, weiß niemand.

Als es aus den USA hieß, man könne die Kampfjets ohne Zustimmung des Kongresses nicht freigeben, drohte Erdoğan zumindest damit, auch er habe ein Parlament. In der türkischen Nationalversammlung sitzen Abgeordnete, die Schweden und der PKK gegenüber eine viel härtere Linie vertreten als Erdoğan selbst. Unter anderem die MHP, sein Koalitionspartner. Sie setzt den Präsidenten derzeit unter Druck, weil sie findet, dass Erdoğan mit Israel zu sanft umgeht. Sowieso will sie, dass der Präsident sich wieder gegen den Westen wendet. Gerade in diesem Moment geht Erdoğan mit seiner Unterschrift auf die Nato zu.

Ein Schritt fehlt noch

Dass das Parlament Erdoğan nicht folgt und ihn damit brüskiert, ist dennoch unwahrscheinlich. Für Schweden bliebe dann als dritter und letzter Schritt noch die Zustimmung aus Ungarn: Viktor Orbán hatte seine Unterschrift verweigert, weil Schweden Ungarn immer wieder wegen des Demokratieabbaus, der eingeschränkten Pressefreiheit und seines Umgangs mit EU-Geldern kritisiert hatte. Andererseits hatte er mehrmals betont, man werde nicht das letzte Land sein, das unterzeichnet.

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Schweden hat ein Annus horribilis hinter sich. Inflation und Immobilienkrise, die neu eskalierende Bandengewalt, Koranverbrennungen und Massenproteste in der muslimischen Welt, zuletzt die Erschießung zweier Schweden, nur weil sie ein gelb-blaues Trikot trugen - und dazu das ganze Jahr das demütigende Warten im Vorzimmer der Nato. Es gab zwischendurch Stimmen, die dafür waren, den Mitgliedsantrag wieder zurückzunehmen, einfach um sich weitere Demütigungen zu ersparen.

Jetzt ist man endlich optimistisch, allerdings nur verhalten: Die schwedische Regierung könne den Champagner in den Kühlschrank stellen, schrieb das Svenska Dagbladet, nur mit dem Öffnen solle man noch warten.

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