Nahostkonflikt:Warum Erdoğan vermitteln will

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In der arabischen Welt hat seine Stimme Gewicht: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Montag bei einer Rede in Ankara. (Foto: Adem Altan/AFP)

Während in Israel noch gekämpft wird, bietet sich der türkische Präsident schon als Vermittler an. Er kann mit der Hamas, traf zuletzt aber auch Benjamin Netanjahu. Womöglich kommt seine Initiative jedoch zu früh.

Von Raphael Geiger, Istanbul

Recep Tayyip Erdoğan sieht sich als potenzieller Vermittler im Konflikt zwischen Israel und der palästinensischen Hamas. Der türkische Präsident sagte am Montag, er sei bereit, zwischen den beiden Seiten zu verhandeln, bis hin zu einem Gefangenenaustausch. In einem "gerechten Frieden", sagte Erdoğan, gebe es "keine Verlierer".

Erdoğan bemühte sich um einen neutralen Ton. "Die Unterdrückung, die israelische Sicherheitskräfte über Palästinenser bringen", sei genauso abzulehnen wie "Gewalt gegen israelische Zivilisten". Wichtig sei, dass Israel und Hamas nun in keine Spirale der Gewalt gerieten, wobei Erdoğan allerdings vor allem die Israelis ansprach: Sollten diese das Bombardement des Gazastreifens einstellen, öffne sich "eine Tür zu einem Weg hin zum Frieden". Nur einen Tag später mahnte er angesichts der Abriegelung des Gazastreifens durch Israel die Wahrung der Menschenrechte an - und schickte auch eine Botschaft in Richtung USA, die Israel Unterstützung zugesichert hatten.

Bei einer Pressekonferenz mit Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer in Ankara sprach Erdoğan über den Flugzeugträger USS Gerald R. Ford, den die USA ins östliche Mittelmeer verlegen wollen. "Was wird der Flugzeugträger der USA in der Nähe von Israel tun, warum kommen sie?", fragte der türkische Präsident. "Sie werden Gaza und Umgebung angreifen und dort Schritte hin zu schweren Massakern vornehmen."

Erdoğan traf die Hamas-Führung mehrmals

Schon immer sah sich Erdoğan als Anwalt der Palästinenser, er unterstützte die Hamas offen. Bis heute weigert er sich, sie als Terrororganisation einzustufen, nach türkischer Definition ist sie eine legitime politische Kraft. Erdoğan traf die Hamas-Führung mehrmals, einige von ihnen führen ihren Kampf von Istanbul aus. Israel hat der Türkei vorgeworfen, sie habe einigen der Funktionäre türkische Pässe ausgestellt.

Das Verhältnis zu Israel litt lange unter Erdoğans Sympathie für die Palästinenser. Zuletzt hat der Präsident aber auch im Nahostkonflikt bewiesen, wie flexibel er ist. Er mag das israelische Vorgehen verurteilen, den Präsidenten Israels, Isaac Herzog, empfing er dennoch in Ankara. Aus Israel heißt es, die Türkei habe Hamas-Leute, die zu deren militärischem Flügel zählen, ausgewiesen.

Bei der Uno-Generalversammlung vor wenigen Wochen in New York traf sich Erdoğan sogar mit Premier Benjamin Netanjahu, zum ersten Mal überhaupt. Da gaben sich zwei die Hand, die sich ihr Leben lang verachtet haben. Und ließen dem Handschlag gleich den Plan einer Pipeline folgen, von einem israelischen Gasfeld im Mittelmeer in die Türkei.

Erdoğan ist für viele ein glaubwürdiger Vermittler

Ähnlich wie im Ukrainekrieg ist der türkische Präsident also auch im Nahen Osten einer der wenigen, die mit beiden Seiten können. Am Montag rief er zunächst seinen palästinensischen Amtskollegen Mahmud Abbas an und versicherte ihm die türkische Unterstützung, dann telefonierte er mit Isaac Herzog und bat um "ein rationales Vorgehen" bei der Reaktion auf den Überfall der Hamas.

Was Erdoğan als Friedensvermittler geeignet macht, ist sein Status als Fürsprecher der Palästinenser. Als solcher ist der Türke glaubwürdig, vielleicht eher als die Herrscherhäuser von der arabischen Halbinsel, die sich mit ihrer Anerkennung Israels angreifbar gemacht haben. Erdoğan musste den Schritt nie gehen, die Türkei unterhält zu Israel schon seit 1949 diplomatische Beziehungen. Die Israelis ihrerseits wissen, dass Erdoğans Wort in der islamischen Welt Gewicht hat.

Aus Erdoğans Sicht gibt es gute Gründe, einen größeren Krieg zu verhindern. Sollte der Nahe Osten in Gewalt versinken, würde das seine Versuche stören, in der Region neue Freunde zu finden. Eskaliert die Lage, könnte er wohl nicht anders, als Partei für die Palästinenser zu ergreifen. Ein großer Krieg könnte auch der türkischen Wirtschaft schaden. Erdoğan würde sich schwertun, sich mit den Palästinensern solidarisch zu erklären, während er an dem Gas-Deal mit Israel festhält.

Die Hamas wird zu großen Teilen von Katar finanziert

Nun gibt es in der Region durchaus Akteure, die Erdoğan die Rolle als Schlichter streitig machen. Da ist Ägypten, das schon früher zwischen Israel und Hamas vermittelt hat. Da sind die Vereinigten Arabischen Emirate, auch sie sind in der Region vielseitig vernetzt. Zum Beispiel sollen die Emiratis den syrischen Diktator Baschar al-Assad gewarnt haben, er solle sich aus dem neuen Gaza-Konflikt heraushalten.

Wie unsicher die Zeiten sind, zeigte ein Post von US-Außenminister Antony Blinken auf der Plattform X, früher Twitter. Blinken hatte nach einem Telefonat mit seinem türkischen Amtskollegen Hakan Fidan geschrieben, er unterstütze das türkische Werben um einen "Waffenstillstand". Für den Begriff wurde Blinken scharf kritisiert, immerhin befanden sich währenddessen noch Hamas-Terroristen auf israelischem Gebiet. Blinken löschte den Post.

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Man darf annehmen, dass die USA in dieser Krise einen anderen diplomatischen Kanal nutzen als die Türkei. Katar ist der andere Ort, an dem sich die Hamas-Führung aufhält, das Emirat finanziert die Organisation zum großen Teil. Es soll nun erste Gespräche mit der Hamas führen, bei denen es um eine Freilassung zumindest einiger der israelischen Geiseln in Gaza geht. Katar hat erst kürzlich einen Gefangenenaustausch zwischen den USA und Iran vermittelt, sollte es jetzt indirekte Gespräche zwischen Washington und Teheran über die Krise in Nahost geben, dürften sie wieder über Katar laufen.

Irit Lillian, die israelische Botschafterin in der Türkei, sagte unterdessen, es sei viel zu früh, über einen Frieden zu reden. Es sei nicht die Zeit für Verhandlungen. "Wir zählen gerade noch die Toten", sagte Lillian.

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